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»Bloß was?«

»Ich weiß nicht. Dinge ausprobieren, die gut klingen.«

»Und, wie läuft es so?«

Swan saß im Halbdunkel da, irgendwo in New Jersey. Draußen war die freie Luft der Erde. »Nicht so gut.« Sie machte eine lange Pause. »Genau genommen habe ich Schlimmeres getan als das, wovon du gehört hast, wenn du es wirklich wissen willst.«

Zasha starrte sie an. »Da bin ich mir nicht so sicher.«

»Haha. Jetzt, wo ich es mir überlege, fällt mir ein, dass Alex auch darüber Bescheid wusste, weil ich nämlich Mqaret davon erzählt habe.«

»Das heißt noch lange nicht, dass er es ihr weitererzählt hat.«

»Ich habe ihn nicht darum gebeten, es zu unterlassen.«

»Tja«, sagte Zasha. »Also wusste sie vielleicht davon. Etwas Schlimmeres als Tiergehirne? Etwas Schlimmeres als ein Qube in deinem Schädel? Vergiss es, ich will es gar nicht wissen. Aber vielleicht hat Alex es gewusst, und vielleicht gab es Sachen, die sie …«

»Die sie mir nicht anvertraut hätte.«

»Die sie für sich behalten musste. Und jetzt bist du hier und ziemlich übel zugerichtet.«

»Ich bin nicht übel zugerichtet!« Allerdings schmerzte ihre angeknackste Rippe, weil sie sich vor Empörung verkrampfte. Außerdem erfüllte sie Trauer um Alex – und ein kleines bisschen wütend auf sie war Swan nun auch.

»Nach dem, was du erzählst, klingt das aber so«, bemerkte Z. »Im Laufe der Jahre hast du fünf- oder sechs- oder siebenmal an deinem Kopf herumgedoktert, du hast einen Qube im Kopf – genau genommen hast du alles, was zum entsprechenden Zeitpunkt gerade in Mode war.«

»Ja, ja.«

»Denk doch mal darüber nach!«

Swan stellte ihre Teetasse auf den Tisch. »Ich glaube, ich mache mal einen Spaziergang.«

»Gut. Verlauf dich nicht. Ich koche uns was, während du unterwegs bist, in sagen wir fünfundvierzig Minuten gibt’s Essen.«

Swan verließ die Hütte.

Draußen vor der Tür zog sie ihre Slipper aus, stopfte sie sich in die Tasche, grub die Zehen ins Erdreich und wackelte mit ihnen. Wie eine Tänzerin beugte sie sich aus der Hüfte vor und grub auch ihre Finger in die Erde, hob dann die Hände ans Gesicht und atmete ein. Schmutz, das ultimative Ambrosia. Schmeckte nach matschigen Pilzen.

Es war bereits nach Sonnenuntergang. Neben einem grüngelben Sumpf verlief eine Asphaltstraße. Der Wind peitschte das Schilf. Sie ging am Straßenrand über den Erdboden und ließ den Blick an Sumpf und Himmel entlangschweifen. Auf der anderen Straßenseite kauerten ein paar alte Gebäude unter einer Baumgruppe. Weiter hinten sah man Reihen von alten Wohnblocks. Froschquaken. Sie saß am Rande des Sumpfes und sah die schwarzen Punkte weiter unten, halb über und halb unter Wasser. Ein Chor von quakenden Fröschen. Eine Weile hörte sie zu und betrachtete den Sumpf im Wind, und dann hörte sie mit einem Mal, dass die Frösche einander antworteten. Wenn ein Frosch »Ribit« machte, wiederholten die anderen das Geräusch eine Weile überall entlang der Straße, so weit sie es hören konnte, bis in einer kurzen Pause einer »Robot« machte, worauf alle diesen Laut wiederholten. Dann wurde »Limit« daraus, und wieder legte der Rest los, als spräche eine Art griechischer Chor in Gestalt von Fröschen zu ihr. So viele Limits! So viele Roboter. Der Klops, der am nächsten bei ihr saß, trug nur gelegentlich etwas bei, plusterte kurz seinen Kehlsack auf und quakte. Ansonsten verharrte er vollkommen reglos, bewegte nur die Augen, die sie im Dämmerlicht sehen konnte, ein gleitendes Blinzeln, immer wachsam. »Romper!«, quakte er in einer Pause, und Swan rief: »Schön für dich!«, und quakte das Wort eine Weile mit.

Der Oktober auf der Nordhalbkugel der Erde, prall und glänzend. All die Schnittstellen zwischen ihrem Körper und dem Planeten brummten. Mit einem Mal kam ihr das Leben im All wie das nackte Grauen vor, ein Exil im Vakuum, wo jeder unter Reizentzug in seiner Zelle saß, für sich, virtuell, angepasst. Hier war die Wirklichkeit wirklich.

»Röbber!«

»Röbber röbber röbber röbber …«

Die Magie des Augenblicks, die man ihnen geraubt hatte. Hier war sie, zog durchs All. Ein Fetzen Gegenwart. Dämmerung in einem Sumpf in einem flüchtigen Universum, so fremdartig, so geheimnisvoll. Warum existierte etwas Derartiges überhaupt? Der Wind war kühl, die Wolken hatten noch ein wenig Zwielicht bewahrt. Es sah nach Regen aus. Die Blätter der dornigen Ranken am Boden waren rot wie Ahorn. Der Sumpf war wie ein Mensch, der dort draußen lag und atmete. Krähen flogen krächzend über sie hinweg, in Richtung Stadt mit ihren Hitzeinseln. Swan kannte ein paar Worte in der Krähensprache. »Kräh, kräh, kräh«, sagten sie gerade zueinander, reines Geplapper, bis dann irgendwann eine ein Wort rief, das so klar verständlich war, dass es in die englische Sprache Einzug gehalten hatte – »Hork!«, Hawk, und dann stoben sie in alle Richtungen davon. Natürlich stammte das Worte Krähe ebenfalls aus der Krähensprache. In Sanskrit hatte es kaaga geheißen. Importierte Worte aus fremden Sprachen.

Bei den Häusern in der Nähe der Baumgruppe standen ein paar Leute. Irgendwie wirkten sie klein. Niedergedrückt. War das möglich, so dicht bei dieser großartigen Stadt? Gehörte es vielleicht sogar zur Stadt dazu, zu den Dingen, die sie am Laufen hielten, nicht nur die Feuchtgebiete, sondern auch die Legionen Armer und Marginalisierter, die in den halb überschwemmten Ruinen lebten? Das Gewicht des Planeten begann, sie runterzuziehen. Die Leute dort drüben waren wie Gestalten von Bruegel, Menschen aus dem 16. Jahrhundert, von der Zeit gebeugt. Vielleicht standen diese Menschen für das wirkliche Leben, und was Swan draußen im All betrieb, waren bloß die Spielereien einer Gaga-Aristokratin. Vielleicht wäre es am besten für sie, hier zu leben und Dinge zu bauen, Häuser vielleicht, klein, aber funktional, eine andere Art von Goldsworthy. Unter freiem Himmel, im unverfälschten Licht der Sonne – der totale Luxus des Realen. Die einzige wirkliche Welt. Die Erde, Himmel und Hölle zugleich – der Himmel der Natur, die Hölle des Menschen. Wie hatten sie nur etwas Derartiges tun können, warum hatten sie sich nicht mehr angestrengt?

Aber vielleicht hatten sie das. Vielleicht war ihr Aufbruch ins All ein Teil von ihren Bemühungen gewesen, eine Art verzweifelte Hoffnung. Wie eine Samenkapsel hatte man sie von der Erde fortgeschleudert, dorthin, wo sie mit Sicherheit erfrieren und verrotten und wieder zu Humus werden würden. Ein Klumpen Erde am Straßenrand. Sie lag im Dreck, achtete darauf, die dornigen Ranken nicht zu berühren; wand sich, als wollte sie sich eingraben. Eine Raumerin, die den Dreck fickte – das sahen die Leute hier wahrscheinlich dauernd, sodass es keinen Eindruck mehr auf sie machte. Diese armen Verirrten, dachten sie sich wahrscheinlich. So etwas gab es im All nämlich nicht, nicht wirklich. Nicht mit dem Wind und mit einem weiten Himmel, an dem es schon beinahe Nacht geworden war, und mit einer Feuchtigkeit in der Luft, die sich noch nicht ganz zu Wolken verdichtet hatte – wie sie das nur hatten zurücklassen können! Der Weltraum war ein Vakuum, ein Nichts. Sie konnten ihn nur bewohnen, indem sie ihn mit kleinen Schutzräumen übersäten, kleinen Blasen; die Stadt und die Sterne, ja doch, aber das genügte eben nicht! Man brauchte eine Welt dazwischen! Das war es, was die Stadtmenschen nicht bedacht hatten. Und tatsächlich vergaß man das im Weltraum auch besser, sonst drehte man durch. Hier konnte man sich daran erinnern und nicht gleich verrückt werden – nicht direkt zumindest.

Aber es war so jämmerlich. Schmuddelig, geschmacklos, niedergedrückt. Geradezu verstörend, sodass es einem einen Stich der Verzweiflung versetzte. Dass sie es so weit hatten kommen lassen. Dass sie all das wirklich mit sich gemacht hatte. Selbst Zasha war der Meinung, dass sie zu weit gegangen war, und Z war ein sehr toleranter Mensch. Vielleicht hätte ihre Beziehung sogar gehalten, wenn Swan nicht fortgegangen wäre. Und jetzt war sie nicht länger der Mensch, mit dem Zasha zusammen ein Kind großgezogen hatte, das spürte sie, obwohl sie nicht genau wusste, was sich verändert hatte. Es sei denn, es war dieses enceladanische Zeug in ihrem Körper … jedenfalls war sie eine seltsame Person. Eine Person, die am einzigen Ort, der sie wahrhaft glücklich machte, gleichzeitig in tiefste Trauer verfiel. Wie sollte sie das miteinander vereinen, was hatte es zu bedeuten?