Supercomputer und künstliche Intelligenzen ermöglichten die vollständige Koordination einer nicht-marktwirtschaftlichen Ökonomie, indem sie den Mondragon berechenbar machten. Jedes Jahr wurde der Bedarf mit demografischer Präzision ermittelt und die Produktion darauf abgestimmt. Alle ökonomischen Transaktionen – von Energieerzeugung und Rohstoffgewinnung über Herstellung und Verbreitung bis hin zu Verbrauch und Abfallverwertung – wurden von einem einzigen Computerprogramm berechnet. Nachdem man erst einmal die grundsätzlichen Fragen in verbissenen politischen Auseinandersetzungen geklärt hatte, ließ sich die Wirtschaftsleistung des gesamten Sonnensystems innerhalb von weniger als einer Sekunde durch einen Quantencomputer berechnen. Das daraus hervorgegangene Qube-programmierte Mondragon, das manchmal auch als Albert-Hahnel-Modell oder Spuffor’sches kybernetisches Sowjet-Modell bezeichnet wird, könnte
hätten alle in einem programmierten Mondragon gearbeitet, wäre es allen gut gegangen; aber es handelte sich um nur eines von mehreren auf der Erde konkurrierenden Wirtschaftssystemen, die sich allesamt unzweifelhaft unter der Knute des Spätkapitalismus befanden, der noch immer mehr als die Hälfte des Kapitals und der Produktion der Erde kontrollierte und mit jeder einzelnen Transaktion hartnäckig seinen Besitzanspruch geltend machte und mehr Kapital akkumulierte. Diese Machtkonzentration blieb bestehen, obwohl sie zwischenzeitlich ins Fließen kam und dann an anderer Stelle wieder aushärtete, vor allem auf dem Mars, wie die Gini-Zahlen dieses Zeitraums deutlich erkennen lassen
in Residualemergenz-Modellen ist jedes beliebige Wirtschaftssystem und jeder historische Augenblick eine instabile Mischung von alten und zukünftigen Systemen. Der Kapitalismus war damit die Kombination oder das Schlachtfeld seines Residualelements Feudalismus und seines emergenten Elements – welches wäre?
mit dem Erfolg der marsianischen Revolution und der Entstehung seines den gesamten Planeten umfassenden sozialdemokratischen Systems waren für den Rest des Sonnensystems die Tore geöffnet, diesem Beispiel zu folgen. Zahlreiche Raumsiedlungen blieben jedoch Kolonien terranischer Nationen und Kombinate, sodass letztlich ein anarchistisch anmutender Flickenteppich verschiedener Systeme entstand. Ein Großteil der Weltraumökonomie geriet unter den Einfluss einer Liga von Siedlungen, die man den Mondragon-Bund nannte. Dieser Zusammenschluss wurde alle fünf Jahre auf einer Konferenz bestätigt, und einmal im Jahr gaben die KIs des Mondragon die wirtschaftlichen Einzelheiten bekannt, die allerdings immer wieder nachträglich korrigiert wurden (oft mehr als einmal)
je länger der Mondragon-Bund Bestand hatte, desto robuster wurde er. Im Vertrauen darauf, dass der Bund für alles Notwendige sorgte, wurden in den einzelnen Siedlungen mehr und mehr individuelle Geschäfte abseits der zentralen Ökonomie abgewickelt, die sogenannten Übererfüller. All das waren Randerscheinungen. Wären nicht der Mars und seine
so wie der Feudalismus das Residuum auf der Erde ist, so ist der Kapitalismus das Residuum auf dem Mars
in den Randbereichen selbst wächst und gedeiht der Wohlstand, wodurch auch Bildung und Kultur erblühen
die Existenz dieser Randökonomie, semiautonom, praktisch unreguliert, anarchisch, voller Lug und Trug und Verbrechen, ließ die Freihändler, Libertären, Anarchisten und noch viele andere frohlocken. Die einen erfreuten sich an dem Bonobo-Tauschhandel, andere am Wildwest-Machismo oder dem Überfluss
Randkapitalismus ist ein Sport für harte Kerle wie Rugby oder American Football, besonders ansprechend für Leute mit einer leichten Überdosis Testosteron. Andererseits kann es erwiesenermaßen wie Baseball oder Volleyball ein interessantes, sogar schönes Spiel sein, wenn man die Regeln und Gepflogenheiten etwas anpasst. Als Randerscheinung ist es ein legitimes Projekt, eine Form von Selbstverwirklichung, die nicht auf das Lebensnotwendige angewendet werden darf, aber abgesehen davon ein nettes Hobby oder vielleicht sogar eine Kunstform ist
den Kapitalismus an den Rand zu drängen, war eine der großen marsianischen Leistungen, vergleichbar mit einem Sieg über die Mafia oder andere Banden von Schutzgelderpressern
Wahram und Swan
Wahram war wieder in Terminator, noch bevor Swan von der Erde zurückkehrte. Die Stadt fuhr gerade durch die gewaltige Ebene des Beethoven-Kraters, und Wahram nahm all seinen Mut zusammen und fragte Swan, sobald sie wieder da war, ob sie mit ihm eine Anlage in der Westwand von Beethoven besuchen würde, um sich ein Konzert anzuhören und sich gegenseitig auf den neuesten Stand zu bringen. Er musste zugeben, dass er ziemlich nervös war, als er bei ihr anrief. Aufgrund ihres flatterhaften Temperaments wusste er nicht, was ihn erwartete. Er wusste noch nicht einmal, ob er im Zweifelsfall mit ihr oder mit Pauline nach Beethoven gehen würde. Andererseits mochte er Pauline, sodass das eine hoffentlich ebenso gut sein würde wie das andere. Und mit etwas Glück würde Swan nicht mehr so erpicht darauf sein, alles über Alex’ Pläne bezüglich der Qubes in Erfahrung zu bringen. Dieses Wissen, das hatte Inspektor Genette sehr deutlich gemacht, mussten sie ihr vorenthalten.
In jedem Fall war die Aussicht darauf, etwas von Beethoven zu hören, Antrieb genug für ihn. Er rief sie an, und Swan erklärte sich bereit, ihn zu begleiten.
Danach sah sich Wahram das Programm für die Vorstellung an, die sie besuchen wollten, und stellte erfreut fest, dass bei dem Konzert drei selten aufgeführte Transkriptionen gespielt werden würden: Zuerst würde ein Bläser-Ensemble eine Bearbeitung der Appassionata-Klaviersonate spielen. Dann gab es Beethovens Opus 134, seine eigene vierhändige Klavierfassung von Opus 133, der Großen Fuge, für Streichquartett. Schließlich sollte ein Streichquartett eine Bearbeitung der Hammerklaviersonate spielen.
Ein brillantes Programm, fand Wahram, und als er sich an der südlichen Luftschleuse mit Swan traf, überlagerte seine freudige Erwartung völlig sein Unbehagen, das die Begegnung mit ihr und ein Aufenthalt auf Merkurs Oberfläche mit sich brachten. Der Drang nach Westen war immerzu spürbar – vielleicht hatte er sogar etwas Allgemeingültiges, sagte er sich, und richtete seine Gedanken dann ganz auf das Konzert. Vielleicht gab es überhaupt keinen Grund zur Sorge. Die Vorstellung, dass seine Angst vor der Sonne irrational sein mochte, war interessant.
In dem kleinen Museum in der Westwand Beethovens stellte er zu seiner Überraschung fest, dass es außer ihnen fast kein Publikum gab, abgesehen von den Musikern, die gerade nicht spielten und zum Zuhören in den ersten Reihen saßen. Die Anlage verfügte über eine leere Haupthalle, in die ein paar Tausend Menschen gepasst hätten, aber glücklicherweise fand dieses Konzert in einem Nebensaal mit nur wenigen Hundert Plätzen statt, die wie bei einem griechischen Theater in einem Halbkreis um die kleine Bühne herum angeordnet waren. Die Akustik war hervorragend.
Das Bläserensemble, das etwas größer war als das Publikum, spielte das Finale der Appassionata derart ausgelassen, dass es eines der großartigsten Stücke für Holzbläser wurde, die Wahram je gehört hatte. Es sprudelte vor Tempo. Die Bearbeitung für Holzbläser verwandelte das Stück zu etwas völlig Neuem, etwa so wie Ravel Mussorgskis Bilder einer Ausstellung in etwas Neues verwandelt hatte.