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Es sah ganz danach aus, dass sie zwischen den Wegstationen die eine oder andere Nacht auf dem nackten Tunnelboden wurden verbringen müssen. »Jeden dritten Tag können wir Vorräte fassen«, sagte Swan. »Das ist ein gutes Ziel.«

»Vielleicht schaffen wir sogar noch mehr«, sagte Tron schüchtern.

Tron war der oder die mit dem gebrochenen Arm, also hielt Wahram sich zurück und sagte nicht, dass für ihn persönlich 33 Kilometer am Tag wahrscheinlich genug waren, wenn nicht gar zu viel. Die Vorstellung, dass er dem Rest der Gruppe möglicherweise ein Klotz am Bein sein würde, war entmutigend. In jedem Fall beaufsichtigte Swan das Packen der Rucksäcke, die sie in den Schränken mit den Notvorräten gefunden hatten: Hinein kamen ihre Raumhelme, ein Notvorrat Luft, Wasserflaschen, Essen, Luftmatratzen und ein kleiner Topf mit Kocher. Eine Rolle Aerogel-Decken, die nicht besonders warm aussahen, aber Swan erklärte, dass die Temperatur im Tunnel sich halten würde, und es war recht warm.

Also folgten sie dem Gang. Wahrscheinlich würde es wie eine ausgedehnte Höhlenexpedition werden. Ihre Rucksäcke enthielten auch kleine Stirnlampen, obwohl sie die im Moment nicht brauchen, da sich etwa alle zwanzig Meter ein Quadrat aus warmem, gelbem Licht an der Decke befand, das den harten Felsboden erleuchtete. Swan erklärte, dass sie sich etwa fünfzehn Meter unter der Oberfläche befanden. Der Tunnel war durch Regolithgestein gebohrt und heiß geglättet worden, sodass zahlreiche Wirbel und mineralische Farbeinsprengsel entstanden waren, die an die Schnittflächen mancher Meteoriten erinnerten. In einigen Abschnitten zogen sich Silberbögen über einen Zinnfarbton und dann über Pechschwarz. Man hatte den Boden so weit aufgeraut, dass er den Füßen guten Halt bot. Aufgrund der engen Krümmung des Merkur verschmolzen die weiter entfernten Deckenlichter zu einem einzigen Lichtbalken. Es war, als könnten sie eine Linie sehen, die rund um den Planeten lief, was Wahram irgendwie ermutigend fand. Die Vorstellung, dass sie vierzig Tage am Stück täglich 33 Kilometer laufen mussten, machte ihn fertig. Er musste sich daran erinnern, dass sie sich auf dem 45. südlichen Breitengrad befanden, der Weg also nicht so weit war, wie er am Äquator gewesen wäre. Er erinnerte sich, dass die Schienen Terminators an einigen Stellen sogar noch weiter nach Süden reichten. Es hätte schlimmer kommen können.

Also. Eine Stunde laufen, in einem Tunnel, der sich kaum und nur in wiederkehrenden Mustern veränderte. Anhalten, sich auf den Boden setzen, ein Weilchen ausruhen. Dann eine weitere Stunde laufen. Nach insgesamt drei Stunden anhalten und essen. Schon dieser Abschnitt kam ihm lang vor, wie eine Woche oder mehr in normaler menschlicher Zeit, in der Zeit im Kopf. Aber sie wiederholten den Vorgang dreimal, bevor sie für eine größere Mahlzeit haltmachten. Dann schliefen sie acht bis neun Stunden.

Stunde, Stunde, Stunde; Stunde, Stunde, Stunde; Stunde, Stunde, Stunde.

Wahrams Gefühl, dass die Zeit sich dehnte, nahm stetig zu. Es war schwer zu sagen, warum es ihm so lang vorkam; er hätte gedacht, dass die Wiederholung der täglichen Ereignisse dem Ablauf eine gewisse Stromlinienförmigkeit geben und die Stunden schneller verstreichen lassen würde; aber nein. Stattdessen zog sich alles deutlich in die Länge. Am Ende eines jeden Tages, wenn er sich fußwund und erschöpft zum Schlafen niederließ, konnte er sich auf seiner Luftmatratze ausstrecken und sagen: »Einer geschafft, bleiben noch siebenunddreißig«, oder sogar: »bleiben noch dreiunddreißig«, und dabei verspürte er einen kleinen Stich der Verzweiflung. Jede Stunde kam ihm wie eine Woche vor. Konnten sie das durchhalten?

Die Sonnenläufer gingen normalerweise ein Stück voraus, und wenn Wahram und Swan bei den Pausen zu ihnen aufschlossen, machten sie bereits Tee. Dann, eine ganze Weile, bevor Wahram bereit zum Aufstehen und Weitergehen war, machten die jungen Wilden sich mit einem beinahe verlegenen Nicken und Winken schon wieder davon. Also verbrachte er den Großteil seiner Zeit mit Swan.

Offenbar war sie nicht besonders glücklich mit dieser Wanderung, obwohl es ihre Idee gewesen war. Doch die Alternative war wohl in ihren Augen noch schlimmer, und man musste sie einfach in stummem oder beredtem Elend ertragen. An manchen Tagen ging sie vor, an anderen fiel sie zurück. »Irgendwann wird mir schlecht werden«, sagte sie einmal. Wahram wurde klar, dass ihr die Lage noch weniger gefiel als ihm – weit weniger als ihm, und das sagte sie ihm auch. Es war abscheulich hier unten, erklärte sie ihm; sie litt an Klaustrophobie; sie ertrug es nicht, sich in geschlossenen Räumen aufzuhalten; sie brauchte täglich große Mengen Sonnenlicht; und sie brauchte viel Abwechslung und neue Eindrücke bei ihren täglichen Verrichtungen. All das war für sie unabdingbar, und das sagte sie Wahram ziemlich deutlich. »Es ist alles so grauenhaft«, rief sie oft aus, wobei sie die drei Silben des letzten Worts jeweils einzeln betonte, um ihm Nachdruck zu verleihen. »Grauenhaft, grauenhaft, grauenhaft. Ich halte das einfach nicht aus.«

»Lass uns von etwas anderem reden«, schlug Wahram dann meistens vor.

»Wie denn bitte? Es ist grau-en-haft.«

Trotzdem war nur die jeweils erste Stunde ihrer einschließlich Pausen zwölfstündigen Tagesmärsche von Swans endloser Wiederholung dieser Feststellung angefüllt. Danach befand Wahram es normalerweise für angemessen, darauf hinzuweisen, dass sie über etwas anderes reden mussten, wenn sie unnötige Belastungen auf beiden Seiten vermeiden wollten.

»Bist du mich schon leid?«, schlussfolgerte Swan aus dieser Feststellung.

»Ganz und gar nicht. Ich fühle mich hervorragend unterhalten. Es ist interessant mit dir. Aber dieses Motiv einer ebenso unglückseligen wie unvermeidlichen Reise ist begrenzt. Es gibt nichts Neues mehr aus ihm herauszuholen. Ich will eine andere Geschichte hören.«

»Da hast du ja Glück, ich wollte nämlich gerade das Thema wechseln.«

»Das ist tatsächlich ein Glück.«

Sie trottete vor ihm her. Es gab keinen Grund, sich mit der Fortsetzung ihres Gesprächs zu beeilen: Sie hatten den ganzen Tag lang Zeit. Wahram beobachtete, wie sie vor ihm herging: Ihre Schritte waren elegant und ausgreifend, sie war in ihrer heimatlichen Schwerkraft und bewegte sich geschmeidig, effizient. Innerhalb kurzer Zeit konnte sie einen großen Vorsprung vor ihm gewinnen. Bislang wirkte sie nicht krank. Manchmal hörte er, wie sie sich mit ihrem Qube unterhielt. Aus irgendeinem Grund hatte sie Paulines Stimme so eingestellt, dass man sie auch von außen hören konnte; vielleicht wollte sie ihr kleines Versprechen ihm gegenüber halten. Die Unterhaltungen zwischen den beiden klangen fast immer nach Streit. Swans Tonfall war bestimmt und einschüchternd, aber Paulines durch Swans Haut leicht gedämpfte Alt-Stimme klang ebenfalls auf eine störrische Art streitlustig. Je nachdem, wie man sie programmierte, konnten Qubes zähe Diskussionsgegner sein, Wortklauber erster Güte. Einmal konnte Wahram eine Unterhaltung belauschen, die wohl schon seit einer Weile lief. Swan sagte gerade: »Arme Pauline, an deiner Stelle wäre ich wirklich traurig! Du tust mir ja so leid! Es muss sich schrecklich anfühlen, nur ein Paket von Algorithmen zu sein!«

Pauline sagte: »Das ist das rhetorische Mittel namens Anacoenosis, bei der man so tut, als wäre man anstelle seines Gegners.«

»Nein, überhaupt nicht«, versicherte ihr Swan. »Ich fühle wirklich mit dir. Nur aus so ein paar Qubits zu bestehen, nur aus einer Folge von Algorithmen. In Anbetracht dessen machst du dich eigentlich recht gut.«

Pauline sagte: »Das ist das rhetorische Mittel namens Synchoresis, bei dem man ein Zugeständnis macht, um dann gleich wieder zum Angriff überzugehen.«