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»Das ist doch Existenzialismus, oder?«

»Ja, ich glaube, das stimmt. Ich wüsste nicht, wie man es sonst angehen soll.«

»Hmm.« Sie dachte darüber nach. Das Licht glänzte in weißen Bahnen auf ihrem schwarzen Haar. »Erzähl mir von deinem Hort. Wie lief das?«

»Auf dem Titan gab es normalerweise Gruppen von Leuten im gleichen Alter, die zusammen unterrichtet wurden und zusammen arbeiteten. Innerhalb dieser Gruppen schlossen sich dann wiederum kleinere Gruppen zusammen, um Kinder großzuziehen. Normalerweise waren das Gruppen von etwa einem halben Dutzend Leuten, die ganz unterschiedliche Strukturen aufwiesen. Das hing von Kompatibilitäten ab. Damals war man allgemein der Meinung, dass Paarbindungen aus zu wenig Menschen bestanden, um auf Dauer zu funktionieren – dass sie in weniger als der Hälfte der Fälle von Erfolg gekrönt waren, und Kinder brauchten mehr als das. Also fand sich eine größere Zahl zusammen. Praktisch alle betrachteten das als eine Methode, Kinder großzuziehen, und nicht als lebenslange Einrichtung. Daher die Bezeichnung Hort. Letztlich waren eine Menge verletzter Gefühle im Spiel. Aber wenn man Glück hat, dann ist es eine Weile lang gut, und das muss man dann einfach mitnehmen und weiterziehen, wenn die Zeit dazu gekommen ist. Ich halte nach wie vor den Kontakt zu den anderen; wir sind sogar noch ein Hort. Aber die Kinder sind erwachsen, und wir sehen einander kaum noch.«

»Ich verstehe.«

Eine ganze Weile gingen sie schweigend weiter, und Wahram fühlte sich Swan sehr verbunden und verspürte kaum Schmerzen.

Dann sagte Swan heftig: »Ich halte es hier drin nicht aus. Nichts ändert sich hier. Es ist wie ein Gefängnis oder eine Schule

»Unser Leben unter der Oberfläche des Merkur«, sagte er ein kleines bisschen beleidigt, weil er sich eigentlich gerade recht wohlgefühlt hatte. Andererseits war sie krank. »Bald ist es zu Ende.«

»Nicht bald genug.« Sie schüttelte missmutig den Kopf.

Sie gingen weiter, Stunde um Stunde. Alles blieb gleich. Swan konnte besser laufen als unmittelbar nach ihrem Zusammenbruch, aber sie war nach wie vor langsamer als zuvor. Wahram störte sich nicht daran; tatsächlich gefiel ihm das langsamere Tempo. Morgens hatte er immer noch ziemlichen Muskelkater, aber es schien nicht schlimmer zu werden; und er verspürte auch keine Schwäche oder Übelkeit, obwohl er voller Sorge auf solche Symptome achtete. Oft war ihm ein bisschen schwummrig. Swan hatte sich alle Kopfhaare ausgerissen und dabei eine ganze Reihe verschorfter Stellen hinterlassen.

»Was ist mit dir?«, sagte er einmal. »Erzähl mir mehr von dir. Hast du wirklich Stunden am Stück nackt auf Eisblöcken gelegen? Hast du dir Darstellungen des Sonnensystems in die Haut geritzt und dir mit Blut Muster auf den Leib gezeichnet?«

Sie ging vor ihm, und jetzt zögerte sie, blieb dann stehen und überließ ihm die Führung. »Ich möchte dir nicht über die Schulter zurufen«, erklärte sie, als er an ihr vorbeiging.

»Und ja«, sagte sie, als es weiterging, »ich habe all das getan, und auch andere Abramovics. Ich bin der Meinung, dass der Körper ein gutes Rohmaterial für Kunst darstellt. Aber das war vor allen Dingen in meinen Fünfzigern.«

»Und davor?«

»Geboren wurde ich wie gesagt in Terminator. Damals hat man die Stadt gerade erst errichtet, und als ich ein Hofkind war, baute man noch das Bewässerungssystem ein. Es war eine große Sache, als die Erde eintraf. Sie kam aus großen Rohren, wie flüssiger Zement, nur schwarz. Ich habe mit meiner Mutter inmitten von alldem gespielt, während sie die ersten Ernten eingeholt haben und die Pflanzen im Park zu sprießen begannen. Als Kind war es da toll. Kaum vorzustellen, dass all das bereits tot ist, wenn wir wieder nach oben gelangen. Das muss ich sehen, damit ich es glaube. Jedenfalls bin ich dort aufgewachsen.«

»Die Vergangenheit ist immer verloren«, sagte Wahram. »Ob die Orte nun noch existieren oder nicht.«

»Für dich vielleicht, o Weiser«, sagte sie. »Ich habe das nie so gesehen. Wie dem auch sei, danach habe ich eine Weile auf der Venus gelebt und für Shukra gearbeitet. Und dann habe ich Terrarien entwickelt. Danach bin ich zu Kunstwerken übergegangen und habe mit Landschaften und Körpern gearbeitet. Goldsworthys und Abramovics, die mich beide immer noch sehr interessieren und mit denen ich meinen Lebensunterhalt verdiene. Ich gehe dorthin, wo ich gerade Aufträge bekomme. Aber ich habe ein ständiges Zimmer in Terminator. Meine Eltern sind beide gestorben, weshalb meine Großeltern Alex und Mqaret in gewisser Weise ihren Platz für mich eingenommen haben. Wenn man sich die beiden ansieht, kann man schwerlich etwas gegen Paarbindungen sagen. Der arme Mqaret.«

»Nein, ich weiß«, sagte er. »Ich habe ja auch vom Großziehen von Kindern gesprochen, dafür braucht man anscheinend mehr als zwei. Das musst du doch auch festgestellt haben?«

Sie warf ihm einen Blick zu. »Eines der beiden ist irgendwo dort draußen. Das Kind, das ich mit Zasha hatte, ist gestorben.«

»Tut mir leid.«

»Nun ja, sie war alt. Ich will im Moment nicht darüber reden.«

Tatsächlich wurde sie langsamer, und er hatte den Eindruck, dass sie leicht vornübergebeugt lief. »Geht es dir gut?«

»Ich fühle mich wieder schwächer.«

»Möchtest du eine Pause machen?«

»Nein.«

Also schleppten sie sich schweigend weiter.

Er half ihr für den Rest der Stunde und stützte sie beim Gehen, indem er ihr einen Arm um den Rücken legte und sie aufrecht hielt. Nach der Pause richtete sie sich unter Mühen auf und ging weiter, ohne irgendwelchen Widerspruch zu dulden. Als sie die nächste Station erreichten, schaute er in alle Schränke und Kammern, und in der letzten (aber man fand das, was man suchte, eben immer am letzten Ort, an dem man nachsah) fand er einen kleinen vierrädrigen Rollwagen mit einer Stange auf Brusthöhe an einer Seite. Der Rest bestand aus einer Ladefläche unmittelbar über den Rädern, die etwa ein mal zwei Meter groß war. Die beiden lenkbaren Räder befanden sich von der Stange aus gesehen am anderen Ende.

»Wie wär’s, wenn wir unsere Rucksäcke hier drauflegen und ich sie schiebe«, schlug er vor.

Sie schaute ihn an. »Du denkst, du könntest mich durch die Gegend schieben.«

»Es wäre leichter, als dich zu tragen, falls es so weit kommt.«

Sie warf ihren Rucksack auf den Wagen und ging am nächsten Morgen vor ihm los. Erst musste er sich beeilen, doch dann holte er sie ein, und dann wurde er gemeinsam mit ihr langsamer.

Stunde für Stunde. Manchmal setzte sie sich, ohne dass sie ein Wort darüber verloren, auf den Wagen. Über ihnen an der Oberfläche zogen die nach großen Künstlern der Erde benannten Krater und Steilhänge vorbei: Sie liefen unter Ts’ao Chen, Philoxenos, Rumi und Ives vorbei. Wahram pfiff Columbia, the Gem of the Oceans, eine Melodie, die Ives in so denkwürdiger Weise in eine seiner ungezügelteren Kompositionen eingebaut hatte. Er dachte an Rumis Ich starb als Stein und wünschte, dass er es sich besser gemerkt hätte. »Ich starb als Stein und sprosst’ als Pflanze auf. Ich starb als Pflanze und ward Tier darauf. Ich starb als Tier und bin zum Mensch geworden. Was grauet mir, hab’ durch den Tod ich je verloren?«

»Von wem ist das?«

»Rumi.«

Wieder Stille. Sie folgten der langen Krümmung des Tunnels. Die Wände waren hier rissig, und es sah aus, als hätte man sie ausgiebiger als den Rest erhitzt, um das Gestein undurchlässig zu machen. Eine splittrige Glasur, Schwarz auf Schwarz. Eine endlose Krakelüre.