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Weniger erfreulich waren die Anstrengungen, die man unternehmen musste, um die erworbenen Einsichten in Taten umzusetzen. Insbesondere in Umfeldern mit unklarer Rechtslage – weniger nachsichtig konnte man es auch als Anarchie bezeichnen – hatte Genette schon viel zu oft Deals abschließen müssen, damit auf Ermittlungsergebnisse reales Handeln folgte. Doch bislang hatte niemand ernsthafte Vorwürfe gegenüber Interplan erhoben, und mehr konnte man in diesem Geschäft eigentlich nicht erwarten.

Genette gehörte zu den altgedienten Mitarbeitern, die sich normalerweise die Fälle aussuchen konnten. Aber die Zerstörung Terminators hatte natürlich Vorrang vor allen anderen Fälle und verlangte überall im Sonnensystem sofortige Aufmerksamkeit. Und da Terminator dem Mondragon angehörte und Interplan zu diesem Weltenbund engere politische Bande hatte als zu irgendeinem anderen politischen Gebilde, verstand es sich von selbst, dass die Behörde sich einmischte. Außerdem hatte es so einen Fall im Prinzip noch nie gegeben. Jemand hatte die einzige Stadt des Merkur in Brand gesetzt (allerdings baute man gerade die Stadt Phosphor, deren Schienen auf der Nordhalbkugel des Planeten verliefen; damit musste man sich mal näher befassen, wäre nicht das erste Mal gewesen, dass Landstreitigkeiten Brandstiftung zur Folge hatten): Natürlich schlug ein solches Ereignis das ganze Sonnensystem in seinen Bann. Nach wie vor war unklar, was geschehen war, wie oder warum es geschehen war und wer dahintersteckte, und die Menschen waren ganz vernarrt in solche Rätsel und verlangten Antworten. Tatsächlich würde es mehrere konkurrierende Ermittlungsverfahren in dieser Sache geben. Doch die Löwin vom Merkur war eine gute Freundin Genettes gewesen, und sobald die Jungen der Löwin sich nach der Evakuierung wieder zusammengefunden und dem Merkur die Führungsrolle bei den Ermittlungen gesichert hatten, hatten sie Genette darum gebeten, sich der Sache anzunehmen. Ein solches Gesuch, das gleichzeitig eine Gelegenheit darstellte, die gemeinsamen Projekte mit Alex und Wahram weiter voranzutreiben, ließ sich unmöglich ablehnen. Tatsächlich vertrat Genette die Meinung, dass die Zerstörung Terminators so kurz nach dem Angriff auf Io und dem Tod von Alex möglicherweise Teil eines Musters war. Eine Autopsie hatte bestätigt, dass Alex eines natürlichen Todes gestorben war, aber Genette verspürte nach wie vor eine nagende Ungewissheit – bei manchen natürlichen Todesarten konnte man durchaus nachhelfen.

Dann, zu Beginn der Reise zum Merkur, auf dem Weg durch den Raumhafen zu dem Tor, hinter dem die Fähre wartete, beim Anblick all der Menschen, die kein bisschen überlegen mussten, um sich zurechtzufinden, fiel Genette mit einem Mal des Rätsels Lösung ein, was den Angriff auf Terminator betraf. Das lebhafte Bild war wie das letzte Überbleibsel eines Traums, und es brachte eine ganze Reihe brauchbarer Ermittlungsansätze mit sich, die sich auf dem Flug ins Innere des Systems weiterverfolgen ließen, vor allem aber ein sehr angenehmes Gefühl der Gewissheit; und Erleichterung von einer potenziell großen Sorge.

Als Genette den Merkur erreichte, hielten die Bewohner Terminators sich bereits entweder in Flüchtlingsunterkünften auf oder hatten den Planeten eilig verlassen. Es hatte 83 Tote gegeben, die meisten davon aufgrund gesundheitlicher Probleme oder infolge von Raumanzug- und Luftschleusenunfällen; die übliche Kombination von Fehleinschätzungen, Ausrüstungsversagen und Panik, die in Notsituationen entsteht. Evakuierungen waren dafür bekannt, zu den gefährlichsten menschlichen Aktivitäten zu gehören, noch vor Geburten.

Deshalb, und weil Terminator immer noch dort draußen in der Sonne briet, standen die Ermittler noch ganz am Anfang. Man hatte festgestellt, dass die Kameras auf dem betreffenden Schienenabschnitt durch den Aufschlag zerstört worden waren, zusammen mit einem Bahnsteig namens Hammersmith. Man ging davon aus, dass dabei eine Gruppe von Konzertbesuchern und Musikern ums Leben gekommen war. Allerdings gab es für den entsprechenden Zeitraum Aufzeichnungen des Meteorabwehrsystems in der Umlaufbahn Terminators, und weder per Radar noch visuell noch im Infrarotbereich war vor dem Einschlag etwas von einem Meteor zu sehen gewesen. Die Satellitenbilder von der Unglücksstelle zeigten keine Reste eines eingeschlagenen Körpers. Angriff aus der fünften Dimension!, sagten die Leute dazu.

Genette hatte die Antwort auf diesen Teil der Frage bereits erkannt und beschlossen, dass vorgetäuschte Unwissenheit dem Täter vielleicht Zeit geben würde, einen Fehler zu machen. Außerdem konnte niemand das Verbrechen nachahmen, solange keine Einzelheiten bekannt waren. Also hielt Genette den Mund und verhörte in einem Zimmer im Rilke-Raumhafen Zeugen. Ein heller Lichtblitz. Ah, vielen Dank. Vielleicht war es an der Zeit, Wang Bescheid zu geben, Genettes Theorie auf ihre Durchführbarkeit hin zu überprüfen.

Dann wurde bekannt, dass man auf der Tagseite zwei weitere Flüchtlinge aufgegriffen hatte, und dass es sich bei einem der beiden um Alex’ Enkelin Swan Er Hong handelte. Es war seltsam, dass man die beiden mitten auf der Tagseite gerettet hatte. Genette ging sie im Krankenhaus von Schubert besuchen.

Swan lag in einem Bett und war an mehre Infusionsnadeln angeschlossen. Sie war sehr blass und musste sich offenbar von der Strahlenkrankheit erholen, die eine Sonneneruption bei ihr ausgelöst hatte, kurz bevor sie und ihr Begleiter unter die Planetenoberfläche gelangt waren.

Genette kletterte in den Stuhl neben dem Krankenbett. Swan hatte dunkle Ringe unter den rot geränderten Augen. Wahram, der sie auf ihrer Wanderung durch das Tunnelsystem begleitet hatte, saß auf der gegenüberliegenden Seite des Betts. Anscheinend war er weniger schwer erkrankt. Er sah allerdings ziemlich erschöpft aus.

Swan bemerkte Genettes Gegenwart. »Sie schon wieder«, sagte sie, »Scheiße aber auch.« Sie warf Wahram einen finsteren Blick zu, worauf dieser erbleichte und sogar eine Hand hob, um sich zu schützen. »Was führt ihr beiden im Schilde?«, fragte Swan.

Genette schaltete Passepartout ein, einen Qube, der wie eine alte Armbanduhr aussah, und sagte: »Bitte regen Sie sich nicht auf. Ich ermittle in allgemeinen Angelegenheiten für die Interplanetare Polizei, wie ich schon sagte, als wir uns das erste Mal begegnet sind. Ich hatte ein ungutes Gefühl, als ich von Alex’ unerwartetem Tod hörte, und obwohl die Todesursache anscheinend natürlich war, stelle ich weiterhin Nachforschungen zu einer Reihe unschöner Ereignisse an, die damit in Zusammenhang stehen könnten. Sie haben Alex nahegestanden, und Sie waren bei dem Angriff auf Io zugegen und konnten ihn beobachten. Und bei dem kürzlichen Angriff auf Terminator waren Sie wieder hier. Auch wenn es sich nur um Zufälle handelt, dürfte es Sie nicht wundern, dass wir einander immer wieder über den Weg laufen.«

Swan nickte unglücklich.

Wahram sagte: »Hast du jemals etwas über die Überreste der Gestalt in Erfahrung gebracht, die auf Io in die Lava gestürzt ist?«

»Lass uns darüber später reden«, sagte Genette und warf Wahram dabei einen warnenden Blick zu. »Fürs Erste müssen wir uns auf die Zerstörung von Terminator konzentrieren. Würde es euch beiden etwas ausmachen, mir zu erzählen, was ihr gesehen habt?«

Swan setzte sich auf und beschrieb den Einschlag und anschließend ihre Rückkehr zur Stadt, und wie ihnen klar geworden war, dass sie die Evakuierung verpasst hatten; wie sie dann nach Osten zur nächsten Plattform gelaufen und in den Tunnel hinabgestiegen waren. Wahram nickte nur dann und wann zustimmend. Bis dahin dauerte der Bericht ein paar Minuten. Swans darauffolgende Schilderung ihrer Zeit im Tunnel war sehr knapp, und Wahram fügte ihr nichts hinzu und nickte auch nicht. Vierundzwanzig Tage konnten eine lange Zeit sein. Genette schaute zwischen den beiden hin und her. Keiner von ihnen hatte bei der Explosion viel gesehen, das war klar.

»Und … brennt Terminator noch?«, fragte Swan.

»Genaugenommen ist diese Phase vorbei. Die Stadt glüht jetzt.«