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Noddall huschte aus der Schlafkabine, über dem Arm Bolithos Rock. Der hatte sich gerade umgezogen, als er die Pfeifen hörte:»Alle Mann auf Stationen! Klarschiff zum Gefecht!»

Trommeln wirbelten, und er spürte den Rumpf unter dem hastigen Getrappel der Besatzung beben. Als er das Achterdeck betrat, war der Befehl ausgeführt, selbst die Planken rund um die Geschütze waren schon mit Sand bestreut. Sie würden ihn nicht brauchen, dessen war er völlig sicher. Aber Sand war reichlich vorhanden, und die Mannschaft gewann mit jeder Übung mehr Erfahrung.»Laden und ausrennen, Sir?»

«Nein, Mr. Herrick. «Er sprach ebenso formell. Über die schwarzen Kanonen und nackten Rücken der Männer blickte er nach vorn und wünschte sich, es wäre der Pirat Tuke, der ihm dort entgegensegelte.

Midshipman Fitzmaurice kam zum Achterdeck gerannt und rief hinauf:»Verzeihung, Sir, aber Mr. Jury meldet mit Respekt, es ist die Fregatte Narval, sechsunddreißig Geschütze, und er hat sie schon in Bombay gesehen. «Bolitho lächelte.»Meinen Dank an den Bootsmann. «Er sah Herrick an. Immer war es das Gleiche; immer war einer da, der auf dem anderen Schiff gedient oder es schon einmal gesehen hatte. Zweifellos erhielt der Kommandant der Narval die gleiche Meldung über die Tempest: sechsunddreißig Kanonen, die gleiche Bewaffnung wie seine.

Mit Sachkunde beobachtete er, wie das andere Schiff Segel kürzte: ein schlankerer Rumpf als die Tempest und wettergegerbt, als wäre es schon lange Zeit im Einsatz. Die Segelmanöver klappten ausgezeichnet, ein weiteres Zeichen für lange Dienstzeit.

Bolitho beschattete die Augen und blickte zum eigenen Masttopp auf. Hier draußen segelte die Tempest unter der weißen Nationalflagge, und er fragte sich, ob der französische Kommandant ebenfalls erinnerungsschwer zu ihr hinaufsah.

«Sie hat beigedreht!«Keen spähte auf dem Batteriedeck über einen Zwölfpfünder.»Und sie setzt ein Boot zu Wasser.»

Herrick grinste.»Nur ein Leutnant, Sir. Wahrscheinlich will er von uns den richtigen Kurs nach Paris wissen.»

Doch als der junge Leutnant schließlich an Bord geklettert war, schien er keineswegs ratlos zu sein. Er salutierte zum

Achterdeck und stellte sich Bolitho vor.

«Ich überbringe die Empfehlungen meines capitaine, m'sieu,

und seine Einladung, ihn an Bord zu besuchen. «Die dunklen Augen wanderten schnell über die bemannten

Geschütze, die lange Linie der angetretenen Seesoldaten.

«Gewiß.»

Bolitho trat zur Pforte und sah auf das französische

Langboot hinunter. Die Matrosen waren sauber in gestreifte

Hemden und weiße Hosen gekleidet. Aber es war kein

Leben in ihnen; sie wirkten verschreckt.

«Und wer ist Ihr Kapitän?»

Der Leutnant schien um einen Zoll zu wachsen.

«Es ist Jean Michel Comte de Barras, m'sieu.»

Bolitho hatte noch nie von ihm gehört.

«Danke.»

Leise sagte er zu Herrick:»Gehen Sie in Luv-Position und sorgen Sie dafür, daß sich die Eurotas in Deckung hält, bis ich zurückkomme.»

Dann folgte er mit einem Nicken für die salutierende Seitenwache dem Leutnant ins Boot. Die Matrosen zogen die Riemen gleichmäßig durchs Wasser, nahmen und überwanden jeden Wellenkamm mit geübter Leichtigkeit. Bolitho spürte, wie ihm Gischt erfrischend ins Gesicht sprühte. Der Gischt des endlos weiten Ozeans, auf dem sich durch Zufall zwei Schiffe an einem Punkt trafen: das eines französischen Grafen und eines englischen Kapitäns.

Der Offizier bellte einen Befehl, und die Riemen hoben sich in zwei triefenden Reihen aus dem Wasser, während der Buggast das Boot mit einer schwungvollen Bewegung an der Hauptkette der Narval festhakte. Eine vorzügliche Leistung, aber Bolitho hatte das Gefühl, daß ebensoviel

Angst wie Übung dahintersteckte.

Er hielt seinen Degen fest und zog sich unter den beobachtenden Augen oben an Bord zur Schanzkleidpforte hinauf.

Die große Kajüte der Narval unterschied sich drastisch von Bolithos eigener. Bolitho war von dem französischen Kapitän mit kaum einem Wort an Bord empfangen worden; die Eile, mit der die Begrüßungszeremonie durch die Seitenwache erfolgte, grenzte schon an Unhöflichkeit. Jetzt saß Bolitho in einem prunkvollen, vergoldeten Sessel, die Augen vom grellen Sonnenlicht noch halb geblendet, und musterte seinen Gastgeber zum erstenmal genauer. Der Comte de Barras war sehr schlank und wirkte beinahe mädchenhaft. Sein Uniformrock war leicht ausgestellt und erstklassig geschnitten; jetzt wünschte Bolitho, er hätte sich von Allday nicht zu seinen Alltagsbreeches verleiten lassen. Der einzig weitere Anwesende war ein junger Inder oder Ma-laye, der geschäftig Gläser und ein schön geschnitztes Weinkabinett auf einem der beiden Tische bereitstellte. Die Kajüte war atemberaubend. Zwar hatten auch die Erbauer der Tempest ihr ganzes Können eingesetzt, um die Unterkunft des Kommandanten mit Schnitzarbeiten und den besten Hölzern auszustatten, doch die der Narval konnte man dagegen nur als luxuriös bezeichnen. Schwere Portieren verhüllten die Türen, und die Bodenplanken waren von mehreren großen Teppichen bedeckt, die ein Vermögen gekostet haben mußten.

Bolitho bemerkte, daß Barras auf seine Reaktion wartete. Er sagte:»Sie leben nicht schlecht, capitaine.«De Barras runzelte die Stirn. Vielleicht hatte es seinen Stolz verletzt, daß Bolitho ihn nicht mit seinem Adelsprädikat ansprach, sondern ihm eher wie einem Gleichrangigen gegenübertrat. Doch der Unmut wich schnell, und er setzte sich sehr behutsam in einen zweiten vergoldeten Sessel, ein Gegenstück zu dem, auf dem Bolitho saß.»Ich lebe so gut, wie es unter den frugalen Verhältnissen hier geht. «Er sprach perfekt englisch, nur mit leichtem Lispeln.»Aber nehmen Sie doch ein Glas Wein, äh, Captain. «Scharf beobachtete er den jungen Inder, ob er auch nur einen Tropfen auf den Teppich verschüttete. Das ließ Bolitho mehr Zeit, de Barras zu studieren, nachdem sich seine Augen an das Licht in der Kajüte gewöhnt hatten. Er mochte zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig sein. Mit der feingemeißelten Nase und dem schmalen Kinn sah er eher wie ein eleganter Höfling als wie ein Schiffsführer aus. Er trug eine Perücke, und auch das war ungewöhnlich und verstärkte den Eindruck des Unwirklichen.

Aber der Wein war gut. Mehr als das: ausgezeichnet. Das Kompliment schien de Barras zu behagen.»Mein Vater besitzt viele Weingärten. Dieser Jahrgang verträgt die Reise recht gut. «Wieder das kurze, gereizte Stirnrunzeln — wie Borlase, dachte Bolitho.»Und das muß er auch. Dieses Schiff ist jetzt seit drei Jahren ununterbrochen im Dienst, und seit zwei Jahren bin ich sein Kommandant.«»Verstehe. «Bolitho fragte sich, was dieser Mann in Wirklichkeit von ihm wollte. Er bemerkte, wie sich der junge Diener an de Barras' Seite bereithielt. Er war nicht nur aufmerksam, er war verängstigt.

De Barras fragte beiläufig:»Und was ist Ihr Bestimmungsort?»

Mit Geheimnistuerei war nichts zu gewinnen.»Die Levu-Inseln.»

«Rechnen Sie, äh, mit Schwierigkeiten?«Beiläufig deutete er mit spitzengesäumter Hand hinaus.»Weil Sie im Verband segeln?»

«Wir hatten Schwierigkeiten.»

Bolitho hätte gern gewußt, ob Raymond ein Fernglas auf die Narval gerichtet hielt. Hoffentlich. Hoffentlich kochte Raymond vor Zorn, weil er ausgeschlossen blieb.»Piraten?»

Bolitho lächelte leise.»Wie ich sehe, überrascht Sie das nicht.»

Darauf war der französische Kapitän nicht gefaßt gewesen.»Ich bin nur neugierig. «Er boxte den jungen Diener scharf gegen die Schulter.»Mehr Wein!»