Bolitho sagte:»Sie wird nicht hier ankern. Aber sobald ich genau weiß, was von uns erwartet wird, möchte ich gern erfahren, wo sie steckt.»
Herrick hob die Schultern.»Manche würden sagen, es wäre nur gerecht, wenn dieser de Barras Tuke vor uns erwischte, Sir. Ich bin der Meinung, daß wir mit Piraten dieser Sorte zu sanft umgehen.»
Bolitho sah ihn ernst an. Nach de Barras' Vorstellung war Hängen für Tuke sicher zu sanft.
«Haben Sie je an die andere Seite der Medaille gedacht, Thomas? Tuke könnte die gleichen Absichten gegenüber der Narval haben. «Er ging auf den Niedergang zu.»Tuke hatte die Eurotas beinahe erobert und besitzt jetzt schwere Geschütze, die ihn zu einer Macht machen, mit der man rechnen muß.»
Herrick eilte ihm nach, von Bolithos Worten tief betroffen. Eine Meuterei auf einem Schiff des Königs war schon schlimm genug; aber daß ein gewöhnlicher Pirat ein Kriegsschiff angreifen und erobern könne, den Gedanken konnte er unmöglich hinnehmen.
Widerstrebend räumte er ein:»Nun ja, die Narval ist natürlich ein Franzose.»
Bolitho lächelte.»Macht das für Sie einen Unterschied?«»Ja. «Herrick grinste verlegen.»In gewisser Weise. «Auf dem Batteriedeck waren jetzt noch mehr Früchte ausgebreitet, die Netze und Laufgänge hingen voller Flechtmatten und fremdartiger Gewänder, voll langer, schmaler Wimpel in leuchtenden Farben.»Was würde der Admiral zu all dem sagen?«fragte Herrick. Bolitho trat zur Pforte. Die Aufmerksamkeit und das Interesse, das er erregte, entging ihm nicht. Mehrere Mädchen umdrängten ihn und versuchten, ihm eine Blumengirlande um den Hals zu hängen, während andere nach seinem goldbestickten Rock tasteten und ihn fröhlich anstrahlten.
Ein alter Mann nickte ständig und wiederholte mehrmals:»Ka-pi-tän Cook«, wie ein Papagei. Es war denkbar, daß Cook diese Inseln angelaufen hatte; vielleicht hatte der alte Mann aber auch nur von seinen Schiffen und bezopften, fluchenden Matrosen, von ihrem rauhen Humor und Rum gehört.
Bolitho hörte Allday seiner Bootsmannschaft zurufen:»Hier gibt's ein paar kleine Mädchen, die mir gefallen würden, Jungs!»
Bolitho ließ sich in das Boot hinab, während die Pfeifen schrillten, was weiteres Jubeln und Gelächter auslöste. So war es auf der ganzen Fahrt zu der kleinen Pier: Mädchen und junge Männer umschwammen das Boot, berührten die Riemen und brachten Alldays Schlagrhythmus durcheinander. Selbst seine Drohungen bewirkten nichts; Bolitho war seinetwegen erleichtert, als sie das Ufer sicher erreicht hatten.
Er blieb in der brennenden Sonne stehen, prüfte die verschiedenen Gerüche des dichten Unterholzes und der Palmen, der Holzfeuer und des trocknenden Fischs. Allday sagte:»Sieht reichlich primitiv aus, Captain. «Er deutete auf die Palisade aus unbehauenen Stämmen, welche die Siedlung umschloß.
«Ja. «Bolitho schob seinen Degen zurecht und schritt über die Pier auf eine Gruppe uniformierter Milizen zu, offenbar seine Eskorte. Aus der Nähe wirkten ihre gelb abgesetzten, roten Uniformen abgetragen und liederlich geflickt. Die Männer waren von der Sonne tief gebräunt und schienen hart wie Stahl. Wie die Männer des Corps in Neusüdwales waren sie Abenteurer. Nicht gewillt, sich der Disziplin und dem reglementierten Leben in der Armee oder an Bord eines Schiffes zu unterwerfen, aber auch ohne die Ausbildung oder die Intelligenz, sich ganz auf eigene Füße zu stellen. Einer, dem zottiges Haar unter seinem zerbeulten Tschako hervorragte, hob seinen Säbel zu einem Salut, bei dem Sergeant Quare in Ohnmacht gefallen wäre.»Willkommen, Captain. «Er zeigte grinsend die Zähne, was ihn nur noch wilder erscheinen ließ.»Ich soll Sie zu dem Residenten, Mr. Hardacre, geleiten. Wir haben Ihr Schiff den ganzen Tag beobachtet, ein schönes Bild, Sir. Das kann ich Ihnen versichern. «Er fiel neben Bolitho in Gleichschritt, während seine Gruppe hinterherschlenderte. Auf dem kurzen Marsch zur Siedlung entdeckte Bolitho, daß Hardacre die Anlage mit sehr wenig Unterstützung errichtet hatte, doch daß es ihm irgendwie gelungen war, sich im
Umkreis von einigen Meilen Respekt zu verschaffen. Unwahrscheinlich, daß Raymond ihm sehr willkommen sein kann, dachte Bolitho.
Die Milizen waren vorwiegend in Sydney angeworben worden, und ihre Zahl war im Lauf der vergangenen zwei Jahre auf dreißig Mann und zwei Offiziere geschrumpft. Die übrigen waren entweder desertiert, hatten die Inseln mit Eingeborenenbooten oder einem der gelegentlich aufkreuzenden Handelsschoner verlassen oder hatten sich einem Eingeborenenstamm angeschlossen, um das Leben mit Frauen, reichlicher Nahrung und ohne jede Arbeit zu genießen. Und einige waren verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen.
Der redselige Leutnant, er hieß Finney, vertraute ihm an:»Ich bin gekommen, um hier mein Glück zu machen. «Er grinste.»Aber noch ist davon nichts zu entdecken, fürchte ich.»
Vor dem Tor der Siedlung, das durch kleine Wachthäuser oberhalb und zu beiden Seiten geschützt wurde, blieb Bolitho stehen und sah zu seinem Schiff zurück. Herrick hatte sich nicht getäuscht. Die Siedlung war gut gelegen, und eine Handvoll Männer mit Musketen, selbst diese Raufbolde, konnten sie gegen eine zwanzigfache Übermacht halten. Er runzelte die Stirn. Vorausgesetzt, der Angreifer war nicht mit schweren Waffen ausgerüstet. Hinter dem Tor blieb Bolitho wieder stehen und starrte auf einen rohgezimmerten Galgen. Ein Strick hing noch daran, war aber mit einem Messer sauber abgeschnitten worden. Finney saugte an seinen Zähnen und sagte:»Das war wirklich peinlich, Captain. Wir waren nicht vorgewarnt worden, verstehen Sie?«Er entschuldigte sich ehrlich.»Wir haben ihn auf der Stelle abgeschnitten, aber sie hat den armen Teufel trotzdem noch gesehen«. Bolitho beschleunigte seine Schritte, Haß gegen Raymond schüttelte ihn.»Was hatte er verbrochen?»
«Mr. Hardacre sagt, er war hinter der Tochter eines Häuptlings auf der anderen Seite der Insel her. Er verbietet jedem, dort hinzugehen, denn der Häuptling sei der wichtigste Freund, den wir bei den Stämmen haben.»
Sie hatten den Schatten des Haupteingangs erreicht.»Und dafür hat er den Mann hängen lassen?»
Finneys Antwort klang unterwürfig.»Sie können das nicht verstehen, Captain. Mr. Hardacre ist hier draußen wie ein
König.»
Bolitho nickte.»Aha. «Es wurde nur immer schlimmer statt besser.»Dann bin ich sehr gespannt darauf, ihn kennenzulernen.»
John Hardacre bot einen imponierenden Anblick. Weit über mittelgroß, war er wie eine menschliche Festung gebaut, breit und mit gewölbter Brust und entsprechend volltönender Stimme. Als ob das alles nicht genug wäre, um seine Besucher zu beeindrucken, war seine gesamte Erscheinung das Abbild eines selbsternannten Königs, wie sein Leutnant ihn bezeichnet hatte. Er hatte buschiges Haar und einen großen, spatenförmigen Bart, beides früher wohl dunkel, jetzt aber grau wie Holzasche. Irgendwo dazwischen blickten seine Augen unter pechschwarzen Brauen wie zwei Leuchtfeuer hervor.
Er trug eine weiße, lose hängende Kutte, die seine kräftigen Beine bloß ließ; die großen Füße staken nur in Sandalen. Er stand breitbeinig da, nickte Bolitho zu und betrachtete ihn nachdenklich.»Fregattenkapitän, wie? Gut, gut. Die Regierung seiner Majestät scheint also endlich zu denken, daß wir Schutz brauchen. «Sein verhaltenes Lachen klang wie das Rauschen eines unterirdischen Stroms.»Sie werden mit uns eine Erfrischung nehmen. «Es klang nicht wie ein Angebot, sondern wie ein Befehl.
Raymond, der neben einem offenen Fenster stand und sich das Gesicht mit einem durchnäßten Taschentuch abwischte, klagte:»Es ist heißer, als ich für möglich gehalten habe. «Hardacre grinste und entblößte zwei Reihen fleckiger Zahnstummel.
«Ihr werdet zu weich in England. Das hier ist ein Land für Männer. Reif zum Pflücken wie eine gute Frau, was?«Er lachte über Raymonds Pikiertheit.»Sie werden es erleben. «Zwei Eingeborenenmädchen kamen leise über die Binsenmatten und stellten Gläser und Krüge auf einen schweren Tisch.