Allday sagte linkisch:»Ich hole Ihnen etwas zu trinken, Captain.»
Etwas in Alldays Ton riß Bolitho aus seiner Depression. Der bullige Bootsführer fügte hinzu:»Dieser letzte Treffer, Captain. Dabei hat's den armen Noddall erwischt. «Er wandte den Blick ab, unfähig, Bolitho in die Augen zu sehen.»Ich hole Ihnen etwas.»
Bolitho machte ein paar Schritte, zögernd erst und dann plötzlich bedrängt. Der arme wehrlose Noddall. Ergeben und sich nie beklagend, war er trotz seines Entsetzens vor dem Lärm des Kampfes immer bereit gewesen zu dienen, über ihn zu wachen. Es erschien ihm unmöglich, daß er jetzt nicht mehr unten war — mit Händen wie Pfötchen, den Kopf schüttelnd und emsig.
Lakey beobachtete Bolitho grimmig, während Jury, der Bootsmann, in der Nähe seine Arbeit mit den erschöpften, verschmutzten Matrosen unterbrach, um Bolitho prüfend anzusehen. Er hatte Alldays Worte gehört und staunte verwundert, daß der Kapitän trotz dieser Hölle es fertigbrachte, um einen bestimmten Mann zu trauern. Bolitho hob plötzlich den Kopf, und sein Blick fiel auf ihn.
«Ihre Leute halten sich gut, Mr. Jury. Aber doch nicht gut genug, um zu faulenzen, finde ich. «Jury seufzte auf. Für ihn war es eine Erleichterung, daß Bolitho sich von seinem inneren Schmerz freimachte, gleichgültig, welche Folgen es haben mochte.
X Zuviel Mut
«Bajonett pflanzt auf!»
Herrick knirschte mit den Zähnen, um seine Ungeduld zu unterdrücken, als Prideaux seine Marinesoldaten in einer Reihe antreten ließ. Ein Stück entfernt auf dem unebenen Abhang folgte Finneys Miliz diesem Beispiel mit angespannten Gesichtern.
Die Luft wurde plötzlich von dumpfem Kanonendonner erschüttert, und Herrick wußte, daß die versteckte Batterie das Feuer eröffnet hatte. Die Kanoniere mußten die Tempest jenseits der Landzunge sehen können, die sie jetzt noch für Herrick bis auf ihre Mastspitzen verdeckte. Prideaux befahl schneidig:»Vorwärts!«Sein schlanker Degen glänzte in der Sonne, fuhr von Seite zu Seite wie eine stählerne Zunge, als er durch das Gestrüpp und über das von der Sonne gedörrte Gestein vorging. Weitere Schüsse, und ehe er dem Hauptteil seiner Leute in Richtung auf die brennenden Hütten folgte, drehte Herrick sich noch einmal um und sah Wasserfontänen wie Gespenster im Schatten der Fregatte aufsteigen, die weiter in die Bucht vordrang.
In Gedanken wiederholte er Warnungen und Befürchtungen, so daß er kostbare Sekunden lang nur stehenbleiben und sich durch das, was er sah, selbst bestrafen konnte. Die Bucht war zu schmal. Das Schiff würde auflaufen. Es konnte bis zur Unterwerfung zerschlagen werden, ohne seine Henker auch nur zu sehen.
Er fluchte wild. Er war hier, nicht auf dem Achterdeck, wo er hingehörte.
Er schrie:»Vorwärts, so schnell ihr könnt!»
Dann rannte er mit den anderen, stolperte den Abhang hinab. Die Seesoldaten jubelten wie die Wilden, während sie in treibendem Rauch und Funkenregen vordrangen.
Wenn sie nur eines dieser Geschütze eroberten, konnten sie es auf die anderen richten. Der Schock über den Angriff von hinten mochte genug Verwirrung auslösen, um Bolithp die
Ablenkung zu bringen, die er verzweifelt brauchte.
Ein Matrose stürzte zuckend, preßte die Hände an den Kopf,
Blut strömte über sein Haar und seine Schultern. Herrick starrte ihn an, während die Matrosen und Marinesoldaten zögerten oder in dem erstickenden Rauch gegeneinander taumelten.
Dann, wie auf Signal, wurde die Luft von fliegenden Felsbrocken und scharfkantigen Steinen erfüllt. Herrick hörte, wie sie auf Fleisch und Knochen trafen. Die Männer fluchten und stolperten und versuchten, ihre Angreifer zu entdecken.
Prideaux rief:»Dort drüben! Hinter der Lichtung!«Er hob seine Pistole und feuerte.»Die Eingeborenen!»
Mehr Steine kamen durch den Rauch geflogen, und zwei
Männer fielen besinnungslos zu Boden.
Midshipman Pyper kauerte mit gebleckten Zähnen neben
Herrick.»Weshalb greifen sie uns an? Wir sind doch hier,
um ihnen zu helfen!«Es klang eher wütend als verängstigt.
Herrick hob seine Pistole und drückte ab. Er empfand nichts,
als eine dunkle Gestalt kopfüber den Abhang hinunterrollte und die verkohlte Wand einer Hütte durchschlug.
«Sie halten uns alle für das gleiche!»
Er fluchte gotteslästerlich, als ein Stein seine Schulter traf,
seinen Arm lahmte, so daß er die Pistole verlor.
«Kommen Sie, Prideaux!»
Der Hauptmann der Marinesoldaten spähte mit brennenden Augen durch den wirbelnden Rauch. Schemenhafte, nackte Gestalten wurden drohende Wirklichkeit, während sie den Abhang heraufgestürmt kamen.
«Achtung!«Sein Degen schwankte nicht, als ein Seesoldat stöhnend neben ihm zusammenbrach. Ein Stein hatte ihm den Kiefer zerschmettert.»Zielen!«Herrick wischte sich den Schweiß aus den Augen, ergriff seinen Degen mit der linken Hand. Er konnte die Angreifer jetzt hören. Wie bellende Hunde, Laute, die sich zu einem
Crescendo des Hasses und der Verzweiflung steigerten. Besser zu sterben, als ihnen in die Hände zu fallen, dachte er.
«Feuer!»
Die Musketen krachten gleichzeitig. Ihr Mündungsfeuer trieben Rauch über den grimmigen Gesichtern der Marinesoldaten nach oben.»Laden! Takt einhalten!»
Etwas oberhalb am Abhang begannen nun auch Finneys
Milizen zu schießen, ohne Ordnung, ohne Vorbereitung.
Herrick hörte die Geschosse in Bäume einschlagen und auf
Steine treffen. Wilde Aufschreie sprachen für sich selbst.
Aber sie stürmten weiter.
Herrick räusperte sich. Seine Kehle war rauh.
«Auf, Leute!«Ein Speer flog über seinen Kopf. Er sah es,
war aber so sehr mit seinen rasenden Gedanken beschäftigt,
daß es ihm nichts bedeutete. Mühsam bewahrte er das
Gleichgewicht auf den lockeren Steinen.»Haltet euch zusammen!»
Er nahm wahr, wie die Marinesoldaten mit eingeübten, ruckartigen Bewegungen ihre Musketen luden. Wie rote Marionetten rissen sie gleichzeitig die Arme hoch, und wie ein Mann stießen sie sie herunter, als sie mit dem Ladestock die Ladung für die nächste Salve feststampften.»Ziel nehmen!»
Einer der Soldaten schrie auf und fiel, versuchte mit blutigen Händen, einen Speer aus seinem Leib zu ziehen.»Feuer!»
Wieder fegte die tödliche Welle der Musketenkugeln in die geduckt anstürmenden Reihen. Gezielt, aber weniger wirksam, da zwei weitere Seesoldaten unter dem ununterbrochenen Bombardement von Steinen und Speeren gefallen waren.
Wilde und laute Schreie der Milizen ließ Prideaux seine äußerliche Ruhe verlieren. Er sah zu Herrick hinüber.»Finney wird von der anderen Seite angegriffen. «Der Degen sank an seiner Seite herab, und mit enttäuschter Erbitterung fügte er hinzu:»Mein Gott, die Feiglinge reißen aus!»
Herrick riß die Muskete eines gefallenen Seesoldaten an sich, spannte sie und, ohne auf die Schmerzen in seiner Schulter zu achten, überzeugte er sich, daß sie schußbereit war.
Zwischen den Zähnen sagte er:»Schicken Sie noch einmal jemanden auf den Gipfel. Er soll feststellen, ob das Schiff in Sicherheit ist. So schnell es geht.»
Prideaux nickte.»Mr. Pyper, gehen Sie. «Er duckte sich, als ein Speer zwischen ihnen hindurchflog. Von seiner Ordonnanz nahm er eine frischgeladene Pistole entgegen.»Da kommen sie wieder.»
Er lächelte verkrampft.»Geben Sie mir eine Kugel, ehe Sie mich zurücklassen, ja?«Er kehrte zu seinen Leuten zurück.»Ich werde das gleiche für Sie tun. «Herrick sah ihm nach. Ein paar Sekunden lang war der Mann ihm beinahe sympathisch.
Dann schossen sie wieder, luden und hasteten weiter, schossen und drängten sich zusammen wie die letzten Menschen auf der Welt. Herrick hörte regellose Schüsse aus einiger Entfernung und vermutete, daß sie von Finneys Leuten kamen, die sich auf den Schoner zurückzogen und jeden Gedanken an Widerstand aufgegeben hatten. Er drückte ab. Ein Versager. Er stand mit gespreizten Beinen da und benutzte die Muskete als Keule, spürte Schmerzen in den Handgelenken, als er einen kreischenden Wilden niederschlug und nach zwei anderen ausholte. Ringsum tobte lärmend der Kampf. Die Musketen wurden nur noch mit den Bajonetten eingesetzt oder als Krücken von den Verwundeten.