«Das meine ich nicht. «Herrick beobachtete das näherkommende Boot, die beiden bedrückten Gestalten zwischen den Marinesoldaten.»Wir brauchen jeden gesunden Mann, und, bei Gott, die beiden werden arbeiten!«Er sah Jury mit einem seiner Unteroffiziere auf sich zukommen, und aus der entgegengesetzten Richtung tauchte die rote Weste des Zimmermanns auf. Fragen, Dinge, die gesucht wurden, Dinge, die kaputtgegangen waren. Er lächelte. Das alles gehörte zur täglichen Arbeit eines jeden Ersten Offiziers.
Es war eine gemischte Gesellschaft. Raymond, sehr beherrscht und streng, saß an einem langen, mit Schnitzereien verzierten Tisch. John Hardacre, mit buschigem Haar und Bart und in seiner lose fallenden, fremdartigen Robe, unterschied sich sehr von Raymonds gepflegter Eleganz.
Auf der anderen Seite des Raums saß, ein Bein lässig über das andere geschlagen, der Kommandant der Narval, Comte de Barras, mit seinem dienstältesten Offizier, Leutnant Vicariot. Beide waren in leuchtend blauen und weißen Uniformen, und de Barras' Perücke fügte dem Bild noch einen zusätzlichen Akzent des Unwirklichen hinzu. Die Franzosen boten so elegante Erscheinungen, daß Bolitho sich daneben schäbig vorkam, und ein Blick auf Herrick überzeugte ihn, daß sein Erster Offizier weitgehend das Gleiche empfand.
Ein pockennarbiger Aufseher von der Siedlung, ein Mischling namens Kimura, der mehr als alles andere wie ein Henkersknecht wirkte, vervollständigte die Versammlung. Bolitho versuchte, in seinem Rohrstuhl bequem zu sitzen. Er fragte sich, wie der Ort hier wohl in einem Jahr aussehen mochte. Ein großes, gut gebautes Haus und eine gedeihende Gemeinschaft von Händlern und Verwaltungsbeamten? Schreiber und Vorarbeiter, Fachleute für dieses und jenes aus England? Oder würde es so sein, wie er es schon an anderen Orten in der Südsee gesehen hatte? Vom Dschungel wieder überwuchert, selbst von den Eingeborenen verlassen, die in die Abhängigkeit von Außenposten dieser Art geraten waren?
Durch ein hohes Fenster, gegen die strahlende Sonne durch geflochtene Matten gut geschützt, konnte er das Ende der Bucht sehen, eine dunkelgrüne Landzunge, hinter der sich die See wie ein durch einen Deich eingedämmtes Wasser erstreckte.
Die Tempest lag seit fünf Tagen vor Anker, Tage endloser Arbeit und aufflammender Temperamente. Drei Leute waren ausgepeitscht worden aus so trivialen Anlässen, daß man zu anderen Zeiten darüber hinweggegangen wäre. Bolitho verabscheute überflüssige Bestrafungen genausosehr wie die Leute, die darin das beste Mittel sahen, Verstöße zu ahnden.
Die enge Nachbarschaft des französischen Schiffes hatte alles noch verschlimmert, die Gesichter, die seine Reling säumten, um das bittere Ritual der Bestrafung mit der Peitsche zu beobachten.
Bolitho war mehrmals an Land gewesen, um Raymond über die Fortschritte bei der Arbeit zu berichten, um mit den Wachen des Corps, die mit den Sträflingen aus Sydney gekommen waren, über Sicherheitsfragen zu beraten. Er hatte auch eine Fülle von Möglichkeiten gehabt, mit Deportierten zusammenzukommen. Selbst nach den langen Monaten, die sie auf ihre Prozesse gewartet und die weite Reise ans andere Ende der Welt zurückgelegt hatten, schienen sie immer noch gelähmt zu sein. Aber sie wirkten durchaus gesund und waren auch nicht mehr so verstört wie damals, als Bolitho einige an Bord der Eurotas gesehen hatte.
Die Eurotas stellte ihn vor ein Rätsel. Warum konnte man sie entbehren und hier in der Bucht nutzlos vor Anker liegen lassen? Versorgungsschiff war sie nicht, und von ihrer unterbesetzten Mannschaft abgesehen, schien sie nichts anderes zu bieten als eine Fluchtmöglichkeit, wenn die Siedlung in Gefahr geriet. Bolitho wußte, daß Herrick zweimal drüben auf dem Schiff gewesen war und versucht hatte, Männer für die Tempest anzuwerben. Durch Mittel, über die Bolitho nur Vermutungen anstellen konnte, hatte er sechs neue Leute angeworben, alle ausgebildete Matrosen. Was es Herrick auch an Geduld und Humor gekostet haben mochte, die Leute waren ihr Gewicht in Gold wert. Zweifellos war nach allen Andeutungen und Versprechungen aus Sydney damit zu rechnen, daß schließlich jemand mit einer neuen Vollmacht erscheinen würde, um die Eurotas wieder für die Regierung zu übernehmen, und dann würde sie fortsegeln.
Er versuchte, sich auf die im Raum Anwesenden zu konzentrieren, den Platz zu finden, den sie in dem Puzzlespiel einnahmen. Aber es war nur zu leicht, statt dessen an Viola Raymond zu denken. Er hatte sie nur einmal nach seiner Rückkehr gesehen, während ihr Mann an Bord der französischen Fregatte die Gastfreundschaft von de Barras genoß. Für gerade eine Stunde war er mit ihr zusammen gewesen. Aber nicht allein. Um sie so gut er konnte vor weiterem Klatsch zu schützen, hatte Bolitho sie zu der neugeschaffenen Lichtung begleitet, wo eine Gruppe Sträflinge eine Reihe Hütten für ihren eigenen Bedarf errichteten.
Ihre schweigsame Zofe, die einzige weibliche Deportierte auf den Levu-Inseln, war ihnen gefolgt. Sie hatte weder nach rechts noch nach links geblickt, als sie an den Hütten vorbeikamen.
Bolitho hatte gesagt:»Bald kommt eine Brigg aus England. «Er hatte Viola angesehen, die Art, wie sie den Kopf hielt, ihr volles, schimmerndes Haar unter dem breiten Strohhut. Sie erschien ihm bezaubernder als je zuvor.»Wenn du darauf bestehst, mit ihr nach Sydney zu fahren, kann ihr Kapitän es dir nicht verweigern. Und dein Mann kann es auch nicht. Du hast seinen Wünschen entsprochen. Die Geste ist gemacht. Nichts kann dadurch gewonnen werden, daß du hier bleibst, und ich will nicht, daß er einfach nur zusieht, wie du deine Gesundheit aufs Spiel setzt.»
Darauf war sie stehengeblieben, hatte seine Hände ergriffen und ihn herumgezogen, so daß er sie ansah.»Du verstehst mich überhaupt nicht, Richard. «Mit leuchtenden Augen hatte sie zu ihm aufgelächelt.»Was wäre, wenn ich täte, was du vorschlägst? Nämlich das nächste erreichbare Schiff nach England nehmen, meine sieben Sachen zusammenpacken und in dein Haus in
Falmouth einziehen?«Sie hatte den Kopf geschüttelt, noch ehe er protestieren konnte.»Ich liebe dich so sehr, und deshalb will ich hierbleiben. Ich muß hier sein. Hunderte und Aberhunderte Meilen von dir entfernt mir bange Fragen stellen, mich um dich ängstigen und darauf warten, daß dein Schiff Anker wirft — das würde meine Qualen nur vergrößern. Hier kann ich dich wenigstens sehen. Dich berühren. Dir nahe sein. Ich weiß, wenn ich zulasse, daß wir wieder voneinander getrennt werden, wird es für immer sein. Wenn du nach Neusüdwales, nach Indien, ans Ende der Welt befohlen wirst, dann werde ich nach Falmouth gehen und zwar gern. «Sie hatte wieder den Kopf geschüttelt.»Aber dich James auszuliefern? Niemals!«Daran dachte Bolitho, als er beobachtete, wie Raymonds Finger in seinen amtlichen Papieren blätterten. Sie hatte recht. Er hatte es nicht verstanden. Er hatte nur an ihre Sicherheit gedacht, daran, daß sie von Raymond frei sein würde. Aber Liebe kannte eben keine Vorsicht und machte aus Weisen Narren.»Und jetzt, meine Herren…«Raymond blickte auf.»Folgendes ist meiner Ansicht nach unser nächstes Ziel. Für mich selbst ist der Ausbau und der Schutz dieser Siedlung und ihrer Handelswege wichtig. «Er lächelte in de Barras' delikat geschnittenes Gesicht.»Und Sie, M'sieu le Comte, wünschen diesen Renegaten wieder zu fassen und in Ihre Heimat zurückzukehren, wie es Ihre ursprüngliche Absicht war.»
De Barras nickte leicht, die Lippen etwas vorgeschoben, vorsichtig, nicht gewillt, zu früh seine Karten aufzudecken. Raymond sah Hardacre an.»Ich weiß, welche Empfindungen die jüngsten Ereignisse bei Ihnen ausgelöst haben, aber ich fürchte, sie sind schon seit Monaten zu erwarten gewesen. Diejenigen, die mit einem Problem leben, sind oft die letzten, die es wahrnehmen. «Ein freundliches Lächeln.»Wir sind jedoch jetzt hier, und ob es ihnen paßt oder nicht, ein paar Eingeborene werden sich mit uns abfinden müssen. Wir sind nicht eine x-beliebige Gesellschaft mit einer Konzession oder ein privates Unternehmen. Die Krone erhebt Anspruch auf diese Inseln und ist berechtigt, ihren Anspruch zu schützen. «Bolitho beobachtete de Barras, der bei den letzten Worten seinem Leutnant rasch einen Blick zugeworfen hatte. Raymond hatte seine Position sehr klar dargelegt, wohl in der Annahme, daß auch die Franzosen ein Auge auf die Levu-Inseln geworfen hatten.