Hast zurückgezogen.
Während Bolitho durch das Dorf streifte oder an dem leuchtenden Strand entlangwanderte, fragte er sich, was die Narval wohl unternehmen mochte. De Barras hatte versprochen, eine Patrouille um die Nordinsel und weiter zum nächsten Archipel zu machen. Um zu sehen und gesehen zu werden. Wenn er das Glück hatte, eines oder mehrere der Schiffe Tukes zu stellen, würde er bestimmt den Sieg ausnutzen und die Suche fortsetzen. Bolitho hatte so viel zu tun, daß er während der meisten Stunden des Tages voll beschäftigt war. In der zunehmenden Hitze ging er in teilnahmsloser Verbissenheit seinem Dienst nach, denn er wußte, Raymond wartete nur darauf, sich zu beschweren, zu kritisieren, wenn er nicht auf der Hut war. Für einen Marineoffizier war es nicht ungewöhnlich, das zu tun, was er tat. Selbst der Kommandant einer bescheidenen Schaluppe oder eines Schoners war verpflichtet, die Autorität des Königs zu demonstrieren, wenn es notwendig war. Ganz wie Prideaux gesagt hatte: gleichgültig, was man davon hielt.
Aber er fühlte sich verletzlich, wußte, daß Viola nicht fern von ihm war, und doch hatte er nur selten Gelegenheit, sie zu sehen, ohne daß Raymond anwesend war. Versuchte Raymond vorzugeben, daß alles wieder so sei wie vorher, was sie betraf? Oder weidete er sich lediglich an Bolithos Qual, wenn sie sich begegneten?
Und obwohl Bolitho sich selbst sagte, daß er in seiner Sorge zu weit gehe, machte er sich Gedanken um ihre Gesundheit. Einen Teil ihrer Zeit verbrachte sie damit, den Schiffsarzt bei seinen Visiten zu begleiten, und sie schonte sich dabei weder, noch teilte sie die Einstellung der Eingeborenen: Wenn es zu anstrengend wird, höre auf zu arbeiten. Leutnant Keen war der Befehl über die Landkommandos übertragen worden, und Bolitho hatte ihn mehr als einmal mit einem Eingeborenenmädchen zusammengesehen, einer schlanken Schönheit, die ihn für einen Gott zu halten schien. Keen seinerseits betrachtete sie mit dem Ausdruck eines hoffnungslos Verliebten. Ihre selig zur Schau getragene Zuneigung deprimierte Bolitho und erfüllte ihn gleichzeitig mit Neid.
Am Ende des Monats begleitete Herrick ihn auf einem Inspektionsgang durch das Schiff, und Bolitho teilte dessen gerechtfertigte Befriedigung. Dank der Arbeit der Spezialisten, der sachkundigen Verwendung von Holz und Teer, Farbe und Hanf, zeigte die Tempest kaum noch Spuren der schrecklichen Minuten, in denen sie in Tukes raffiniert gelegter Falle gelitten hatte.
Später berichtete er Raymond, der ausnahmsweise keine Beschwerden vorzubringen hatte und auch auf seinen üblichen Hinweis auf die Tüchtigkeit de Barras' verzichtete. Statt dessen sagte er:»Ich bin in Sorge wegen der Brigg aus England.»
«Es ist nicht ungewöhnlich, wenn sie sich verspätet, Sir. Die Passage um Kap Horn ist sehr schwierig. «Raymond schien ihn nicht zu hören.»Ich komme mir hier blind und taub vor. Ich erhalte keine Nachricht aus Sydney, und niemand bringt mir die Verstärkung, die ich brauche, wenn ich hier aus diesem Ort etwas machen soll. «Bolitho beobachtete ihn verstohlen. Das war es also. Raymond fühlte sich übergangen, ausgeschaltet, ganz wie er selbst es in den vergangenen Jahren mehr als einmal empfunden hatte.
Raymond fuhr fort:»Ich wünsche nicht, daß sich ein Vorfall wie mit der Eurotas wiederholt. Ich wünsche überhaupt keine weitere Störung, bis ich hier fertig bin. Es ist genauso gekommen, wie ich befürchtet habe. Immer wieder muß ich erfahren, wie falsch es ist, anderen zu trauen. Dieser verdammte Häuptling, Hardacres Freund, zum Beispiel. Wo sind die Nachrichten, die er versprochen hat? Tukes Kopf als Preis für meine Nachsicht? Meine Schwäche, wird er wahrscheinlich denken. Und Hardacre? Der jault mir auch nur die Ohren voll!«Er sank in seinen Sessel zurück und starrte auf eine halbvolle Weinflasche. Bolitho sagte:»Wenn ich richtig unterrichtet bin, handelt es sich bei der erwarteten Brigg um die Pigeon, Sir.«»Ja. «Raymond sah ihn mißtrauisch an.»Und was ist mit ihr?»
«Ich kenne ihren Kapitän, oder kannte ihn vielmehr, als ich ihr zum letztenmal begegnete: William Tremayne. Er kommt aus meiner Vaterstadt. War lange Kommandant des Postschiffs von Falmouth. Er wäre der letzte, der sich von Tuke täuschen ließe. Als Kommandant eines Postschiffs muß man allein über alle Meere dieser Erde bis ans Ende der Welt segeln und lernen, mit jeder Situation fertigzuwerden, wenn man am Leben bleiben will.»
Raymond richtete sich mißtrauisch auf.»Hoffentlich täuschen Sie sich nicht in dem Mann.»
«Ich möchte mit meinem Schiff auf eine Patrouille im
Südosten unserer Inselgruppe, Sir.»
«Nein. «Raymond sah ihn ärgerlich an.»Ich brauche Sie hier. Wenn ich Nachricht von de Barras oder der Brigg habe,
weiß ich, was ich zu tun habe. Bis dahin müssen Sie sich die
Mühe machen, Ihre Arbeit hier fortzusetzen.»
Das sagte er so heftig, daß Bolitho sich fragte, was ihn sonst noch beunruhigte.
«Angenommen zum Beispiel, daß der König von Spanien seine Ansprüche auf den Besitz und die Handelsrechte hier nicht aufgegeben hat? Was dann? Woher sollen wir wissen, daß nicht gerade jetzt sechs spanische Linienschiffe in diesen Gewässern kreuzen?«Er schüttelte den Kopf.»Nein, Sie bleiben hier vor Anker.»
Bolitho verließ den Raum. Wenn er nur die Möglichkeit hätte, Kommodore Sayer in Sydney zu benachrichtigen, obwohl auch er nicht viel tun konnte. Es war merkwürdig, wenn man darüber nachdachte. Drei Schiffe: die Hebrus, ein veralteter Zweidecker mit vierundsechzig Geschützen, die Tempest, und jetzt noch die überfällige Brigg Pigeon. Schiffe, die so wenig zueinander paßten, wie man sich nur vorstellen konnte, aber alle drei standen unter dem Kommando von Kapitänen aus Cornwall, und jeder kannte die anderen.
Als er die Pier erreichte, sah er Hardacre von seinem Schoner kommen.
«Gut«, begrüßte er Bolitho.»Am besten kommen Sie gleich mit. «Es klang beunruhigt, wütend.»Tinah hat Nachricht über die Piraten und diesen anderen Verrückten, de Barras. «Als sie bei Raymond eintraten, explodierte Hardacre.
«Haben Sie gewußt, daß de Barras sich zwischen den Inseln im Norden wie Dschingis Khan aufführt? Kanus wurden unter Feuer genommen, und in dem ganzen Bereich herrscht eine Stimmung wie in einem Pulverfaß. Was, um Himmels willen, haben Sie sich dabei gedacht, ihm da oben freie Hand zu lassen?»
«Mäßigen Sie sich!«Aber Raymond war nichtsdestoweniger betroffen.»Woher wollen Sie das alles wissen?«»Mir trauen wenigstens noch ein paar Leute hier. «Die breite Brust hob und senkte sich schwer atmend.»Der Häuptling hat mich benachrichtigt: Tuke hat vor Rutara geankert. «Er warf den Kopf zurück.»Vor der heiligen Insel. «Er sah Bolitho an.»Wissen Sie von ihr?«»Nur sehr wenig.»
«Ja. «Hardacre ging rastlos hin und her, die Hände wie im Gebet zusammengelegt.»Ein wenig einladender Ort mit kaum Wasser, von ein paar Regentümpeln abgesehen. Tuke kann sich dort eine Weile aufhalten. «Es klang sehr besorgt.»Kein Eingeborener würde wagen, dort an Land zu gehen. «Raymond leckte sich die Lippen.»Nun, das ist eine gute Nachricht, falls wir uns darauf verlassen können.«»Darauf verlassen?«Hardacre sah Raymond mit unverhüllter Verachtung an.»Sie hat Tinah mehrere seiner Leute gekostet, und wahrscheinlich werden dafür verschiedene andere Inseln sich gegen ihn erheben. Weil er Ihnen geholfen hat.»
Raymond blickte vor sich auf den Tisch, seine Finger trommelten auf der Platte, laut hörbar in der plötzlichen
Stille.
«De Barras wird vor der Nordinsel ankern, nachdem er seine Suche beendet hat. Sie werden unverzüglich den Schoner zu ihm schicken. Ich setze sofort eine Nachricht für ihn auf.«»Der Schoner ist das einzige Fahrzeug, das ich hier zur Verfügung habe.»
«Das interessiert mich nicht. Es geht um Wichtigeres. «Raymond mustert ihn kalt.»Wie Sie wissen, kann ich über den Schoner verfügen.»