Bolitho hatte gesagt:»Wir brauchen Hilfe, Sir. Wenn die Leute im Dorf sich selbst überlassen bleiben, werden sie womöglich zu schwach, um ihre Toten zu verbrennen… «Weiter war er nicht gekommen.
«Jetzt sind Sie also gekommen, um zu betteln, wie? Sie haben geglaubt, Sie könnten mich übergehen, als Sie Ihr Schiff fortschickten. Jetzt haben Sie Ihr neues Kommando: eine Eingeborenenhütte und eine Handvoll Raufbolde, denen Sie Befehle geben können. Auch meine kostbare Gattin wird bald genug wieder angelaufen kommen, wenn sie sieht, was sie weggeworfen hat!«Seine Stimme klang wild, sogar jubilierend.
Bolitho hatte es noch einmal versucht.»Wenn ich die Wache von der Eurotas abziehen könnte, hätte ich genug Leute, um durchzuhalten, bis das Fieber abgeklungen ist.«»Ihre Leute sollen meinem Schiff fernbleiben!«Raymonds Stimme hatte sich beinahe zu einem Schreien gesteigert.»Meine Leute haben Befehl, sofort Feuer zu eröffnen, wenn sich ihm ein einziges Boot nähert! Sie haben Ihr Schiff verloren, Kapitän, und ich will nicht, daß Sie an meines Hand legen.»
Keen und die anderen hatten ihn mit der Nachricht von einem weiteren Todesfall erwartet. Es war erbarmungswürdig, wie die Eingeborenen sich damit abfanden. Die Götter zürnten. Tinah war über Tuke und die heilige Insel unterrichtet. Wenn sein ganzes Volk die Wahrheit erfuhr, würde es in seinen Leiden die unmittelbare Folge des Sakrilegs sehen.
Bolitho blickte zu den Sternen auf und schauderte. Wenn er früher gehandelt hätte, wäre es ihm vielleicht möglich gewesen, die Eurotas im Schutz der Nacht zu besetzen. Aber dazu war es zu spät. Raymonds Drohungen und die Furcht vor dem Fieber würden für einen heißen Empfang durch die geladenen Drehbassen sorgen. Wenn er Herrick nicht benachrichtigen konnte und der Schoner nicht bald zurückkehrte, mußte er annehmen, daß die Narval erobert worden war. Ob im Namen der Revolution oder durch eine offene Meuterei, spielte jetzt keine Rolle mehr. Tuke würde für die Unterstützung der Sache Genins seinen Preis fordern, und der Franzose konnte ihn kaum verweigern. Aber worin würde er bestehen? Eine legalisierte Stellung unter dem neuen Regime, ein Schiff, ein Kaperbrief oder ein Versprechen auf eine Belohnung in Gold, sobald Genin schließlich Paris erreicht hätte? Was die Wunde noch stärker brennen ließ, war Bolithos Erkenntnis, daß, sobald die Narval endgültig fort war und Tuke den gewünschten Preis erhalten hatte, vermutlich aus London die Nachricht eintreffen würde, daß England und Frankreich sich seit Monaten im Krieg befanden. Dies mußte das Ende von Bolithos Karriere bedeuten. In Raymond hatte er einen Todfeind. Und in London würde man nach einem Sündenbock suchen, um den Ärger darüber zu lindern, daß nicht nur die französische Fregatte verlorengegangen, sondern auch ein Pirat entkommen war, der nun von Kriegsschiffen gejagt werden mußte, die man auf den eigentlichen Kriegsschauplätzen dringend brauchte. Er dachte an die Worte, die Raymond heruntergeschrien hatte. Sie waren sein einziger Trost. Viola hatte unermüdlich an seiner Seite gearbeitet, aus ihrem provisorischen Lazarett Ermutigung ins Dorf getragen und dort geholfen, die Kranken zu pflegen und die zurückgebliebenen Kinder zu versorgen.
Sie schlief in der Hütte, wo er sie zurückgelassen hatte. Er hatte neben ihr gekniet, auf ihren regelmäßigen Atem gelauscht, sorgsam vermieden, sie zu berühren, um ihren Schlaf nicht zu stören.
Der Sergeant fragte:»Verzeihen Sie, Sir, aber was werden wir tun?»
«Tun?«Bolitho strich sich mit den Fingern durch das Haar.»Warten. Wenn der Schoner kommt, spreche ich mit seinem Kapitän. Zumindest wird er wissen, ob die Narval sich noch hier aufhält.»
«Diese Insel, Sir, von der Sie gesprochen haben — wie weit ist es bis dorthin?»
«Rutara liegt etwas über fünfhundert Meilen entfernt im Norden.»
Bolitho überlegte, während er antwortete. Der Wind war schwach, aber günstig gewesen. Herrick mußte seine Position erreicht haben, selbst wenn es ihm nicht möglich gewesen war, Tukes Schoner zu vernichten. Ganz gewiß würde er nicht in eine Falle gehen, wie sie ihnen schon einmal gestellt worden war.
Er beobachtete, wie die Sterne kleiner und blasser wurden. Bald war es wieder Zeit, Rationen auszugeben, sich zu vergewissern, daß die Leute sich säuberten, zu versuchen, sie bei Laune zu halten. Wenigstens war dieses Fieber nicht wie die Pocken, die zwei Drittel einer Schiffsbesatzung innerhalb weniger Wochen dahinraffen konnten. Er sagte:»Kommen Sie mit zur Pier. Es wird bald hell. «Wie still es im Dorf war. Es fiel ihm schwer zu glauben, daß der Strand und die seichten Wellen voll lachender Mädchen und junger Männer gewesen waren, unter ihnen Keens schöne Malua.
«Sir!«Quares Stimme riß ihn aus seinen Gedanken.»Ich habe Segel gesehen.»
Bolitho sprang auf einen Felsen und spähte angestrengt in die Dämmerung hinaus. Doch alles, was er zwischen
Himmel und Wasser ausmachen konnte, waren die Brecher auf den vorgelagerten Riffen jenseits der Lagune.
Es wurde schnell heller, und er konnte bereits den stattlichen
Umriß der Eurotas ausmachen, auf der noch ein Ankerlicht flackerte.
Bolitho sah sich nach der Siedlung um, doch dort regte sich noch kein Leben.
Quare wiederholte hartnäckig:»Dort, Sir.»
Diesmal nahm er es wahr, eine bleiche Finne über den fernen Brechern, von Gischt verwischt, aber auf das Land zustrebend.
Ein Schoner, klein und gut geführt.
Er sagte:»Wecken Sie Mr. Keen. Er soll Mr. Hardacre benachrichtigen, daß sein Schoner kommt.»
Der Kapitän dort draußen würde eher auf Hardacre als auf
Raymond hören. Er hörte Quares knirschende Schritte auf dem Abhang, und irgendwo weinte ein Kind. Es klang bedrückend.
Und dann sagte sie hinter ihm:»Ich bin aufgewacht, aber du warst fort.»
Sie kam an seine Seite, und er legte ihr den Arm um die Schultern und spürte ihre Wärme.
«Es ist der Schoner. «Er versuchte, ruhig zu sprechen.»Ich bin neugierig, was er für Nachrichten bringt.»
Die Rahen waren fast mittschiffs geholt, bogen sich beinahe unter dem Winddruck. Es mußte draußen stärker wehen als in der geschützten Bucht, dachte er wehmütig.
Er drückte ihre Schulter.»Großer Gott, laß es bitte gute
Nachricht sein«, sagte sie.
Dunstiges Licht stieg über den Horizont wie dampfende Flüssigkeit, die am Rand der Erde überlief. Es floß um die beiden Masten mit Hardacres zerfetztem Wimpel. Das Schiff näherte sich den Riffen, ging in einer Wolke von Gischt und Sprühwasser meisterlich über Stag. Keen kam den Pfad herab, schob sich dabei das Hemd in den Hosenbund. Er sah Viola Raymond und sagte:»Guten Morgen, Ma'am.»
«Hallo, Val. «Sie lächelte, entdeckte dann die dunklen Schatten unter seinen Augen und teilte seinen Kummer. Bolitho sagte:»Hardacre wird bald hier sein, nehme ich an. «Er sah zu der Palisade. Er würde warten, bis der Schoner festgemacht hatte, und dann an Bord gehen. Niemand aus der Siedlung konnte ihn daran hindern, denn sie hatten zuviel Angst, den Schutz des Forts zu verlassen. Die Bucht lag nach beiden Seiten offen, und sie standen schweigend da, beobachteten, wie aus der Dunkelheit Farben wuchsen, die stillen, drohenden Schatten von Bewegung und schlichter Schönheit belebt wurden.
Keen dachte zweifellos an Malua, wie sie mit ihm lachend den Strand hinunter und ins Meer gelaufen war.»Er ist also zurück. «Hardacre stand auf dem festen Sand, die Hände in die Hüften gestemmt, und beobachtete, wie der Schoner immer klarer erkennbar wurde.»Wird auch Zeit. «Bolitho beschattete seine Augen und spähte nach irgendeinem Signal von der Eurotas oder von den Palisaden aus. Falls Raymond dem Schoner befahl zu ankern und auf weitere Anweisungen zu warten, würde er eine Überraschung erleben.