Treffend hatte sein Freund Jenner gesagt:»Wenigstens ist der arme Teufel glücklich gewesen, solange er bei uns war,
Sir. Er ist vor Stolz fast geplatzt, als er den Posten als Diener bei Ihnen bekam. Gott segne ihn.»
Unwillkürlich sagte Bolitho laut:»Ja, Gott segne ihn.»
Allday blickte überrascht auf.»Captain?»
«Ich habe nur laut gedacht. Einen weiteren Namen auf meine Liste gesetzt.»
Als die Morgendämmerung mit atemberaubender Plötzlichkeit anbrach, war es, als ob sich über Nacht wenig geändert hätte. Die Wolken waren verschwunden, die See wogte unverändert in gleichmäßiger Dünung. Als die Sonne aufstieg und ihre Strahlen das Boot erfaßten, dampften das Holz und die Insassen, als ob sie gleich in Flammen aufgehen würden. Sie sahen sich in ihrer winzigen Welt um, betrachteten einander prüfend, suchten nach Zeichen neuer Hoffnung oder des Gegenteils.
Sie hatten über zehn Gallonen Regenwasser aufgefangen, und noch war für jene, die ihn am nötigsten hatten, ein kleiner Rest Rum vorhanden. Die Nahrungsmittel waren verbraucht, und wenn Blissett nicht wieder einen Vogel erlegen konnte, würde sich ihre Situation schnell verschlimmern.
Die einzig bemerkenswerte Veränderung gegenüber gestern war, daß der Hai sie nicht mehr verfolgte. Auch das war merkwürdig und ließ manchem einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Es war, als hätte er darauf gewartet, Orlando in den Ozean zurückzuholen, dem er nur für eine kurze Weile vorbehalten geblieben war. Während einer ihrer kurzen Ruhepausen kam Keen zu Bolitho. Der Leutnant wirkte kräftiger als die meisten anderen, obwohl seine Arme von der Sonne verbrannt und durch vom Salzwasser verursachte Entzündungen fleckig waren.
«Wir haben den Kompaß gerettet, Sir.»
Bolitho erwiderte mit gedämpfter Stimme:»Haben Sie das
Treibholz bemerkt?»
Keen schützte seine Augen gegen den gleißenden Horizont. In kleinen Brocken wurde dem Boot Treibgut entgegengeschwemmt, das sich in dem grellen Licht schwarz vom Wasser abhob. Auch Vögel waren zu sehen, aber zu weit entfernt selbst für einen glücklichen Schuß. Mit ungläubigem Gesicht sah Keen ihn an.»Land, Sir?«Bolitho wollte es für sich behalten für den Fall, daß er sich irrte. Er sah sich im Boot um und wußte, daß sie einen weiteren Tag nicht überstehen würden. Bei einer guten Nachricht mochten sie durchhalten. Er nickte.»In der Nähe. Ja, das glaube ich. «Viola stand auf und legte eine Hand Bolitho auf die Schulter, die andere Keen. Sie sagte nichts, sondern blickte unver-wandt zum Horizont. Ihr Haar hob und senkte sich über Bolithos Uniformrock.
Bolitho blickte sie an, liebte sie, war fasziniert von ihrer inneren Kraft. Trotz der Sonne und allem, was sie ertragen hatte, wirkte sie neben Keen und den anderen blaß. Seit sie die Insel verlassen hatten, hatte er nur einmal gesehen, daß sie ihre Haltung verlor, und das war gewesen, als Orlando ums Leben kam.
«Er konnte nicht sprechen«, hatte sie geklagt.»Er konnte nicht einmal schreien, und trotzdem glaube ich, mich an seine Stimme zu erinnern.»
Dann hatte sie nichts mehr gesagt, bis der Sturm über sie hereinbrach.
Jetzt sahen alle Bolitho an. Selbst Penneck war verstummt. Der Marinesoldat Billyboy saß mit Pyper zusammen an einem Riemen, sein verletztes Bein stützte er mit einer Muskete. Der andere Verwundete, der Matrose Colter, war durch seine Ration Wasser so weit gestärkt, daß er helfen konnte, sich um Penneck und den anderen Verwundeten, Robinson, der in sehr schlechter Verfassung war, zu kümmern. Doch auch sie waren nicht zu krank, um nicht zu spüren, daß etwas bevorstand.
Bolitho sagte:»Ich glaube, wir sind in der Nähe von Land. Ich bin nicht sicher, daß es die Insel Rutara ist, denn nach dem Sturm und bei dieser Abdrift, und da wir nicht einmal einen Sextanten haben, tappen wir so gut wie im dunkeln. Doch was für eine Insel es auch sein mag, wir werden dort landen und uns Lebensmittel verschaffen. Nach dem, was wir gemeinsam erlitten haben, gehört wohl mehr als Feindseligkeit dazu, um uns zu vertreiben. «Big Tom Frazer, die Augen vor Erschöpfung gerötet, stand auf und brüllte laut:»Ein Hurra für den Käp'n, Jungs. Hurra!»
Bolitho konnte ihn nur fassungslos anstarren. Es war ein schrecklicher Anblick. Diese ausgemergelten, sonnenverbrannten, unrasierten Männer standen an ihren Riemen auf, um ihm zuzujubeln.
Er hob seine Stimme.»Genug! Spart eure Kräfte!«Er mußte sich abwenden.»Aber ich danke euch.»
Keen räusperte sich und befahclass="underline" »Riemen bei!«Er begegnete
Violas Blick und lächelte wie ein Verschwörer.»Rudert an!»
Am späten Nachmittag hatten Blissett und dann auch
Sergeant Quare Glück mit ihrer Schießkunst. Ein Tölpel und ein Seerabe wurden Beute ihrer Musketen, und obwohl es diesmal länger dauerte, sie zu erreichen, wurden sie geborgen und mit einer vollen Ration Wasser verzehrt. Als die Sonne dann den Horizont berührte, schrie Miller:»Land, Sir! An Steuerbord voraus!»
Jeder Gedanke an Ordnung und Disziplin schwand dahin.
Sie sprangen in dem schwankenden Boot auf, als ob sie das
Land dadurch deutlicher erkennen könnten.
Bolitho stützte Viola und suchte wie die anderen. Ja, es war
Land.
«Morgen erreichen wir es. «Er nickte nachdrücklich.»Dann werden wir weitersehen.»
Sie erwiderte nur:»Ich habe nie daran gezweifelt, daß du es schaffen würdest.»
Während Keen wieder Ordnung schuf und die Leute an die Riemen zurückbrachte, saß Bolitho neben ihr in der Flicht wie seit Beginn ihrer Fahrt.
Sie lehnte sich an ihn, seinen Uniformrock fest um sich gezogen. Ihr Kleid war wie die meisten anderen Dinge bei dem Sturm über Bord gegangen.»Halte mich fest. Mir ist kalt, Richard. «Er legte den Arm um sie. In der Nacht würde es noch viel kälter werden, und ob sie protestierte oder nicht, er würde sie zwingen, einen Schluck Rum zu trinken. Doch als er sie an sich drückte, spürte er die Hitze in ihrem Körper wie Feuer.
«Es dauert nicht mehr lange«, sagte er.»Dann zünden wir ein Feuer an. Und dann werden wir das Schiff finden.«»Ich weiß. «Sie rückte näher an ihn heran und legte den Kopf an seine Brust.»Ein großes Feuer…«Das Boot bereitete sich auf eine weitere Nacht vor. Quare und Blissett kontrollierten ihre Musketen und das Pulver. Keen vergewisserte sich, daß Penneck in Sicherheit war, für den Fall, daß er noch einmal aus dem Boot springen wollte. Aber die Atmosphäre an Bord hatte sich geändert. Nicht mehr Angst und Furcht vor dem nächsten Morgen herrschten, sondern eine seltsame Zuversicht darüber, was er bringen würde.
Leutnant Thomas Herrick ging auf dem Achterdeck der Tempest ruhelos auf und ab. Das Schiff lag vor Anker, und trotz der ausgespannten Sonnensegel herrschte eine Hitze wie in einem Backofen, und nur tief unten im Orlop und in den Lasträumen konnte man Erleichterung finden. Seit fünfzehn Tagen stand die Fregatte unter seinem Befehl, und er hätte mit sich zufrieden sein können, wie er das Schiff geführt hatte und daß nichts Ungünstiges eingetreten war. Doch da er Herrick war, fühlte er sich nur als halber Mann, und selbst jetzt noch erwartete er beinahe jedesmal, wenn er Schritte auf dem Niedergang hörte, Bolitho an Deck erscheinen und dessen Blicke automatisch vom einen Ende des Schiffs zum anderen schweifen zu sehen. Er trat an die Reling und sah mit so etwas wie Haß zu der Insel hinüber. Den meisten würde sie weitgehend wie jeder beliebige andere kleine Flecken Land in der Südsee erscheinen. Für ihn stellte sie eine höhnische Herausforderung dar. Ein Mühlstein, der ihn hilflos machte. Er sah das Beiboot der Tempest, das träge zwischen Schiff und Ufer dahinglitt, die Waffen im Boot in der Sonne glänzend. Zwar hatten sie von der französischen Fregatte und Tukes Schonern keine Spur entdecken können, aber sie hatten trotzdem Gesellschaft. Große Kriegskanus, dicht besetzt mit dunklen Gestalten, hatten sich, soweit sie es wagten, dem Schiff genähert, wachten und beobachteten, ob die Besatzung der Tempest es wagen würde, die Heiligkeit der Insel durch eine Landung zu stören. In Gedanken kehrte Herrick häufig zu der Siedlung zurück und fragte sich besorgt, was dort wohl geschah. An Bord hatten sich keine Anzeichen des Fiebers gezeigt, so daß es wahrscheinlich erschien, daß es örtlich begrenzt blieb und nur Personen befiel, die sich seiner unmittelbaren Nähe aussetzten und nicht die Widerstandskraft eines Matrosen besaßen.