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Aber wenn auf Cozar alles schiefging, brauchte die Hyperion einen guten, vernünftigen Mann als Kommandanten, und Quarme hatte bewiesen, daß er durchaus fähig war, das Schiff zu führen.

«Die Kimm wird klarer, Sir«, sagte Bellamy aufgeregt und zerrte an seiner Uhr.»Mein Gott, dieses Warten!»

Tatsächlich wurde es heller. Bolitho konnte schon das Oberdeck der Schaluppe und den Bugspriet sehen, der wie ein schwarzer Finger in den bleichen Himmel stach.

Hätte das kleine Fahrzeug nicht so verzögert auf Ruder und Wind reagiert, hätte man sich nur schwer vorstellen können, daß sich unter Deck sämtliche Marine-Infanteristen Hauptmann Ashbys und außerdem fünfzig Matrosen der Hyperion drängten, und daß noch weitere fünfzig, unbequem unter einer Persenning verborgen, an Deck hockten. Es war ein Glück, daß Bellamy bereits knapp an Leuten gewesen war, aber trotzdem wurde jeder Kubikzoll Stauraum und das ganze Logisdeck gebraucht, um die Männer unterzubringen.

Die Matrosen der Chanticleer saßen oder standen an der Schanz herum, sprachen kaum und warteten darauf, jeden Fetzen Leinwand zu setzen, sobald der Befehl kam.

Flüchtig schoß Bolitho die schreckliche Möglichkeit durch den Kopf, daß Quarme es nicht schaffen würde, rechtzeitig zur Stelle zu sein. Die ganze Nacht hindurch war die Schaluppe weit vorausgesegelt, damit nicht etwa ein spionierendes Fischerboot oder ein Küstensegler sie im Geleit fahren sah, womit die einzige Erfolgschance ruiniert gewesen wäre, ehe die Aktion überhaupt begonnen hatte.

Er musterte die Steuerbordbatterie. Die Schaluppe war mit achtzehn leichten Geschützen armiert, deren Breitseite an dieser mächtigen Festung kaum einen Kratzer verursachen würde.

«Ah!«seufzte Bellamy, als der goldene Rand der Sonnenscheibe über der Kimm aufglänzte. Und da lag auch die Insel, vielleicht vier Meilen voraus. Die buckligen Höhen und das dunkle Viereck der Festung standen schwarz vor dem immer heller werdenden Sonnenlicht. Von Westen sieht die Insel ganz anders aus, dachte Bolitho. Doch als er das Fernrohr ans Auge hob, konnte er die weißen Brecher am Fuße des Vorgebirges erkennen. Dagegen wirkte die Steilküste sehr hoch und mächtig.

Wieder überkam ihn ein Schauer, und er mußte an die langen Monate seines Krankenlagers in Falmouth denken. Mühelos konnte er sich das große Haus ins Gedächtnis rufen, den Blick auf die Mole und Pendennis Castle, die er vom Fenster seines Krankenzimmers hatte sehen können, wenn er nicht gerade zu benommen und schwindlig gewesen war. Dazu das Haus mit den großen, nachgedunkelten Porträts der Bolithos, die alle auf See gelebt und auf See den Tod gefunden hatten. Denn er war der letzte seine Geschlechts; es gab niemanden außer ihm, der die Familientradition fortführen konnte.

Er dachte auch an Nancy, seine jüngste Schwester. Sie hatte ihn zusammen mit Allday durch die vielen schweren Fieberanfälle gebracht. Sie liebte ihn innig, das wußte er recht gut, und versuchte bei jeder Gelegenheit, Mutterstelle an ihm zu vertreten.

Gelassen beobachtete er die rasch dahinziehenden Wolken. Wenn er heute umkam, würde das alte Haus Nancy gehören. Sie war mit einem Gutsbesitzer aus Falmouth verheiratet, einem Landedelmann, der nur für die Parforcejagd und gutes Essen lebte. Er hatte schon längst ein Auge auf Bolithos Haus geworfen und würde nur zu gern einziehen.

«Ihr Degen, Captain«, flüsterte Allday. Automatisch hob Bolitho die Arme und spürte den festen Druck des Gurtes um seine Mitte, als Allday die Schnalle schloß und dabei murmelte:»Ein bißchen lockerer geworden, seit Sie ihn das letzte Mal getragen haben, Captain. «Er schüttelte den Kopf.»Sie brauchen eine ordentliche Portion kornischen Hammelbraten!»

«Machen Sie nicht so ein verdammtes Theater!«Bolitho senkte die Hand und fuhr über den abgewetzten Degengriff. Er hätte den alten Degen in der Kajüte der Hyperion hängen lassen sollen. Aber der Gedanke, daß er jemand anderem in die Hände hätte fallen können, oder — noch schlimmer — auf Nancys Gatten übergehen, war ihm unerträglich. Der Kerl hätte ihn bestimmt zwischen Hirschgeweihen und ausgestopften Fuchsköpfen an die Wand gehängt, denn für ihn war die Waffe nur ein Schaustück mehr.

Bolitho versuchte, sich daran zu erinnern, wie ihm sein Vater den Degen überreicht hatte, aber er konnte sich von dem stolzen alten Herrn mit dem einen Arm und dem dicken, graumelierten Haar kein klares Bild mehr machen.

Er zog die Klinge ein paar Zoll weit aus der Scheide und sah den rasiermesserscharfen Stahl im jungen Sonnenlicht aufglitzern. Alt — aber so echt und treu wie eh und je. Er stieß sie in die Scheide zurück und fuhr herum, als er Bellamy erleichert murmeln hörte:»Bei Gott, da ist sie ja!»

Der Rumpf der Hyperion lag noch in tiefem Schatten, aber die Bram- und Marssegel standen so klar und weiß im Sonnenlicht wie die eines Geisterschiffes. Während er noch hinüberblickte, erschienen wie durch Zauberkraft auch die Royals, und plötzlich wehte Gischt um den Bug. Der Landwind hatte das Schiff erreicht; es rollte wie in einer müden Verneigung.

Allday sagte:»Sie ändert den Kurs — hat uns gesehen.»

Im Vorschiff der Hyperion blitzte es kurz auf, und Sekunden später war ein dumpfes Krachen zu hören. Erschrocken zogen alle an Deck der Schaluppe die Köpfe ein, als das Geschoß über das kleine Schiff heulte, aber weit vor ihnen ins Meer klatschte.»Verdammt!«keuchte Bellamy.»Das war knapp!»

Bolitho spürte die gleiche eiskalte Erregung wie schon so oft, und das Grinsen fror auf seinem Gesicht wie eine Maske fest.»Sollte es auch. Das muß doch echt aussehen. «Er faßte den empörten Bella-my am Arm.»Los! Ran jetzt!»

Der Leutnant brüllte durch die hohlen Hände:»Alle Mann aufentern! Setzt Großsegel und Fock!«Die Männer eilten auf Stationen, und er rannte zur gegenüberliegenden Reling.»Heißt die Flagge, zum Teufel!«Aber sogar er war beinahe überrascht, als die selbstgemachte Trikolore an die Gaffel stieg und herausfordernd im Winde flatterte.

Die Schaluppe gehorchte den Segeln gut; in der langen ablandigen Dünung flog Gischt in großen weißen Streifen von ihrem Bug.

Der einzige andere Offizier der Chanticleer machte sich jetzt bemerkbar.»Geschützbedienung auf Stationen! Geschütze ausrennen!»

Die Stückpforten sprangen auf, und die schlanken Rohre reckten sich wie neugierige Hundenasen über die milchig schimmernde Bugwelle. Im Vorschiff, festgebunden wie ein stumpfschnauziges Raubtier, stand die zweite Karronade der Hyperion. Sie war bereits geladen und überprüft worden, während Bolitho in seinem unbequemen Sessel geschlummert hatte. Diese Kanone verschoß eine mächtige Kugel von achtundsechzig Pfund, die beim Aufschlag zerbarst. Sie war mit Bleischrot gefüllt und wirkte auf kurze Entfernung mörderischer als alles bisher Bekannte. Vielleicht würde sie heute über Erfolg oder Scheitern der Aktion entscheiden.

Wieder jaulte eine Zwölfpfünderkugel über ihre Köpfe und warf eine halbe Kabellänge vor dem Bug der Schaluppe eine hohe Wassersäule auf.

Bolitho wandte sich Rooke zu, der neben ihm auftauchte, die schlanke Gestalt in ein geborgtes Matrosenjackett gehüllt. Doch selbst so wirkte er elegant. Gepreßt sagte er:»Das ist bestimmt unser Mr. Pearse, Sir. Der feuert jeden Schuß persönlich ab, oder ich müßte mich sehr täuschen. «Er biß die Zähne zusammen, als die dritte Kugel hart längsseit niederfuhr und die Geschützbedienungen der Schaluppe mit Sprühwasser überschüttete.