«Pearce hat sicherlich ein gutes Auge«, sagte Bellamy, aber es klang doch etwas unbehaglich.
Ferner Trompetenschall übertönte das Sausen der Takelage und das Zischen des Spritzwassers. Bolitho hob sein Glas ans Auge. Über der Festung stieg die Flagge hoch; Sonne funkelte auf einem Teleskop über der Batterie oder auf einem Geschützrohr.
«Kursänderung, Bellamy!«befahl er knapp.»Denken Sie daran, was ich Ihnen sagte: runden Sie die Landzunge so dicht wie irgend möglich!»
Und Bellamy gab seine Kommandos. Die Hyperion halste und schwang bedrohlich herum, bis sie fast parallel zur Schaluppe lag. Sie war noch eine gute Meile entfernt, aber unter dem mächtigen Druck ihrer Segel und des achterlichen Windes lief sie schnell und gut. Jeder Beobachter an der Küste mußte annehmen, daß sie sich verzweifelt anstrengte, die Schaluppe zu überholen und abzufangen, ehe sie einen Schlag machen und den sicheren Hafen erreichen konnte.
Von der Klippe her antwortete jetzt ein Dröhnen, und alle lauschten auf das hohe Jaulen des Geschosses, das über ihre Masten hinwegflog.
«Ich sehe keinen Schaden«, sagte Rooke.
Bolitho biß sich auf die Lippen. Durchs Glas hatte er erkannt, daß im bauchigen Großsegel der Hyperion ein Loch klaffte. Wirklich ein guter Schuß!»Wenigstens konzentrieren sie sich im Moment auf Quarme«, sagte er; aber er mußte sich Mühe geben, daß seine Worte einigermaßen heiter klangen — in Wirklichkeit war ihm keineswegs so zumute. Im steigenden Licht besaß die Hyperion eine eigenartige, schwer zu erklärende Schönheit. Er konnte die drohende Galionsfigur sehen, die Wasserreflexe an der hohen Bordwand, und er fühlte etwas wie körperlichen Schmerz, als wieder ein Geschütz der Batterie feuerte und dicht am Heck des alten Schiffes eine Wasserfontäne aufspritzte. Der kann als Abpraller in den Rumpf gegangen sein, dachte er grimmig. Er warf einen Blick auf die Brustwehr der Festung — noch kein Rauch zu sehen. Aber sie würden nicht lange brauchen, um die Glut der über Nacht heruntergebrannten Essen anzufachen; dann würden sie mit glühenden Kugeln schießen, und jeder Treffer konnte die Hyperion in eine brennende Hölle verwandeln.
Quarme war viel zu dicht unter Land. Vielleicht hatte er sich verschätzt — oder wollte er dem Feind einen möglichst realistischen Eindruck bieten?
«Der Narr dort soll sich besser verstecken!«hörte er Rooke schimpfen. Zwei hornhäutige Füße ragten unter der Persenning hervor; ein Deckoffizier ließ seinen Tampen darauf niedersausen — ein Schrei, und weg waren sie.
Bellamy war natürlich mehr an seinem eigenen Schiff interessiert als an der Gefahr, in der sich die Hyperion befand. Er stand neben dem Ruder und achtete scharf auf Kompaß und Segel, denn die dunkle Landzunge sprang ihnen entgegen wie ein Stier, der die Chanticleer auf die Hörner nehmen wollte.
Er senkte die Hand.»An die Brassen! Schneller, faule Bande!«Unter protestierendem Quietschen und Knarren erzitterte die Schaluppe und ging dann unter dem Druck von Wind und Ruder auf den anderen Bug. Ein einzelnes Riff hätte beinahe ihren Kiel angekratzt, als sie das Vorgebirge rundeten. Dahinter winkte das flache Wasser des Hafenbeckens einladend wie eine gutbeköderte Falle.
«Kürzen Sie jetzt die Segel, Mr. Bellamy«, sagte Bolitho ruhig.»Und die Männer unter Deck sollen sich fertigmachen!«Seine Hand am Degengriff war feucht von Schweiß.
Er wandte sich um und beobachtete, wie sich der Umriß der Hyperion verkürzte — sie schickte sich an zu halsen, um näher an die Küste zu kommen. Auch sie hatte jetzt gerefft. Er hielt den Atem an, denn dicht an ihrem Rumpf sprangen wieder zwei Fontänen hoch. Die Franzosen feuerten jetzt schneller; anscheinend war, wie er es vorausgesehen hatte, die Batterie zur See hin verstärkt worden. Er drehte sich um. Lieber wollte er nach vorn blicken, als noch länger die gefährlichen Manöver der Hyperion mitansehen. Eine Anzahl Matrosen der Schaluppe drängten sich auf der Back zusammen und starrten zur breiten Hafeneinfahrt. Ärgerlich rief er ihnen zu:»Schaut nach achtern, ihr Idioten! Als Franzosen müßt ihr mehr Angst vor der Hyperion haben als vor eurem eigenen Ankerplatz!»
Seine Worte machten die Männer sicherer und lockerten auch seine eigene Spannung.
«Da ist die Pier, Sir«, sagte Rooke. Bolitho nickte. Es war nur ein primitiver hölzerner Steg, von dem sich ein schmaler Pfad in eine Kluft zwischen den Bergen schlängelte. Dort war es schon recht lebendig, und er konnte eben noch das Rohr eines alten Feldgeschützes ausmachen, das sich zwischen seine mächtigen eisenbeschlagenen Räder duckte.
«Stetig jetzt, Mr. Bellamy!«Er mußte sich die trocknen Lippen lecken.»Steuern Sie zunächst den Liegeplatz hinter der Pier an! Aber wenn Sie auf Kabellänge ran sind, nehmen Sie die Segel weg und Kurs auf den Steg! Inzwischen sind Sie im Windschatten der Berge, aber das Schiff müßte genug Restfahrt haben, um glatt reinzukommen.»
Widerwillig löste Bellamy die Augen vom Bug.»Wird der Bordwand nicht behagen, Sir!«Aber dann grinste er breit.»Bei Gott, das ist besser, als Flottenpost fahren!»
Bolitho warf schnell einen Blick auf Inch, den pferdegesichtigen jüngsten Leutnant der Hyperion, dessen Kopf vom Niedergangsluk eingerahmt war — hinter ihm warteten, enganeinandergepreßt wie Erbsen im Faß, die restlichen Männer des Landungskommandos. Für die muß es noch schlimmer sein, ging es ihm durch den Kopf. In dem engen, stockfinsteren Laderaum zusammengepfercht, hatte ihnen nur die eigene Angst und der Geschützdonner Gesellschaft geleistet.
«Winkt den Soldaten an Land zu!«rief Bolitho. Einige Matrosen glotzten ihn verständnislos an. »Winkt! Ihr seid doch gerade dem verdammten Engländer entwischt!»
Seine Stimme klang so wild und böse, daß tatsächlich ein paar Männer in gellendes, irres Gelächter ausbrachen und wie verrückt zu den Leuten an der Pier hinübergestikulierten. Und die winkten zurück!
Erleichtert wischte Bolitho sich die Stirn mit dem Hemdsärmel und sagte:»Wenn Sie soweit sind, Mr. Bellamy…»
Ein kurzer Blick nach ac htern zeigte ihm, daß die Hafeneinfahrt tatsächlich schon von der keilförmig vorspringenden Landzunge verdeckt war. Darüber konnte er die obersten Rahen der Hyperion sehen und verspürte ungeheure Erleichterung, denn sie halste bereits wieder und nahm Kurs auf die offene See, wo ihr nichts mehr passieren konnte.
«Jetzt! Leeruder!«schrie Bellamy heiser. Als Bolitho wieder nach vorn blickte, zeigte der Bugspriet bereits auf die Kluft zwischen den Bergen. Vorsichtig zog er den Degen aus der Scheide und ging zum Vorschiff, wo die Karronade wartete.
V Kurz und scharf
Mit gerefften Segeln glitt die Chanticleer stetig auf den primitiven hölzernen Steg zu, wo sich etwa dreißig französische Soldaten eingefunden hatten und zusahen, wie das Schiff einlief. Etwas seitlich von den schwatzenden Soldaten hatte ein hochmütiger, schnurrbärtiger Offizier zu Pferde Posten bezogen. Reglos saß er im Sattel, nur seine Hände und Füße bewegten sich leicht, um das nervöse Pferd zu beruhigen, denn immer noch feuerte die Festungsbatterie hinter der Hyperion her, die schon nicht mehr zu sehen war.
Aber dann, als die überladene Schaluppe schwankend näher kam, schienen die vordersten Soldaten zu merken, daß etwas nicht stimmte. In den nächsten Sekunden überschlugen sich die Ereignisse. Im Vorschiff schrillte eine Pfeife, die letzte Stückpforte sprang auf, die Karronade schob sich unbeholfen vor und wurde sichtbar, die Persenning an Deck wurde weggerissen, darunter und aus allen Niedergängen schwärmten Seesoldaten und Matrosen heraus — auf einmal wimmelte das Deck der Sloop von Menschen. Die französischen Soldaten wichen zurück, um sich auf dem geschützten Pfad in Sicherheit zu bringen; aber es war zu spät, denn hinter ihnen versuchten ihre Kameraden, zum Steg vorzustoßen; hier und da rief noch der eine oder andere Hurra und winkte der Trikolore im Masttopp zu.