Bolitho mußte an seinen Freund Thomas Herrick denken. Auch dessen Augen strahlten so blau, blickten so ernst und verläßlich.
«Was ich will, spielt keine Rolle, Sir David«, sagte er knapp.»Der König hat die Befehle unterschrieben, nicht ich.»
«Ich hätte trotzdem gern gewußt, wer ihm die Hand dabei führte.»
«Davon habe ich nichts gehört«, antwortete Bolitho. Der General lächelte gequält.»Das hängt auch keiner an die große Glocke.»
Wie zwei Duellanten, die sich plötzlich eines Besseren besannen, traten sie an den Kartentisch, und Bolitho legte seine Karte über alle anderen.»Sie sind Soldat, ich bin Seemann. Aber ich weiß, wie wichtig der Nachschub für die kämpfende Truppe ist. Der Feind erwartet bestimmt Verstärkung. Wenn die eintrifft, ehe Sie Kapstadt einnehmen können, Sir David — welche Chance für einen Sieg haben Sie dann noch?»
Der General schwieg lange, studierte die Karte und die Notizen, die an sie geklammert waren. Schließlich sagte er mit belegter Stimme:»Dann haben wir kaum noch Chancen. «Etwas von der früheren Schärfe kehrte in seinen Ton zurück:»Aber es ist die verdammte Pflicht der Marine, genau das zu verhindern. Blockieren Sie den Hafen, wehren Sie jeden Eindringling ab!«Das hörte sich fast wie eine Anklage an.
Bolitho dachte an die Handvoll Schiffe unter seinem Kommando. Jeder Kommandant wußte, was er zu tun hatte. Die drei Fregatten würden vor dem Kap kreuzen und das umliegende Seegebiet absuchen. Die beiden Schoner hatten den Kontakt zwischen ihnen und Kommodore Warren zu halten. Trotzdem konnten bei Dunkelheit feindliche Schiffe leicht zwischen ihnen durchbrechen und in den Schutz der Küstenbatterien gelangen. Dann blieben ihre Chancen so mäßig wie bisher, und ein Eindringen in die Bucht würde bestenfalls zu einem Waffenstillstand führen. Den schlimmsten Ausgang aber wollte sich Bolitho gar nicht vorstellen: daß die britischen Truppen sich geschlagen zurückziehen mußten, weil sie keinen Nachschub bekamen und der Feind hinhaltenden Widerstand leistete. Diese Niederlage würde durch ganz Europa schallen. Der grandiose Sieg bei Trafalgar war bestimmt schnell vergessen, wenn das Heer Kapstadt nicht einnehmen konnte. Die unfreiwilligen Alliierten Napoleons würden dann enger an ihn gefesselt werden, und der Widerstandswille in England konnte bröckeln.
«Keiner von uns hat sich nach diesem Auftrag gesehnt, Sir David.»
Aber der General wandte sich dem jungen Hauptmann zu, der plötzlich im Zelteingang stand.»Ja?»
«Eine Meldung von Major Browning, Sir. Er möchte seine Artillerie verlegen.»
«Er soll nichts tun, bis ich dort bin. Und lassen Sie mein Pferd holen. «Dann wandte er sich wieder Bolitho zu.»Ihre Nachricht wirft uns zurück, trotzdem verlasse ich mich auf Sie. Nicht weil ich an meinen Offizieren und Männern zweifle, sondern weil ich keine andere Wahl habe. Man wird die Lage am Kap genau beobachten. Wenn hier alles klappt, wird es auch in Europa gegen Napoleon vorangehen. Vergessen wir nicht, ein Sieg ist trotz aller Triumphe auf See erst errungen, wenn der Infanterist das feindliche Land besetzt hat.»
Stimmen erklangen draußen und der müde Hufschlag eines Pferdes, das zu einem neuen Gewaltritt gesattelt wurde. Der General leerte ein Glas Brandy und griff nach Hut und Handschuhen.»Sie erinnern mich an Nelson«, sagte er spöttisch.»Der war ein guter Seemann und hielt sich auch für einen guten Infanteriebefehlshaber.»
Kühl antwortete Bolitho:»Die Marine hat Bastia erobert und Calvi eingenommen, nicht die Infanterie.»
«Gut pariert. «Der General verließ das Zelt. Bolitho folgte ihm. Soldaten marschierten vorbei und wirbelten roten Staub auf. Der General drehte sich um.»Schauen Sie sich diese Leute an. Wofür werden sie sterben müssen?»
Bolitho sah Allday unten am Strand das Beiboot heranwinken.»Wenn Sie mich besser kennten, würden Sie mir eine solche Frage nicht stellen.»
Die blauen Augen des Generals waren kalt wie Eis, als er in den Sattel stieg.»Aber ich kenne Sie nicht, habe nur von Ihnen gehört, Sir Richard. Und ich frage nicht, als Soldat bitte ich Sie um Ihre
Hilfe!»
Der Oberst begleitete Bolitho den Strand hinunter zum Beiboot.»So habe ich den General noch nie erlebt, Sir Richard«, sagte er. Dann salutierte er zum Abschied.»Ich hoffe, wir sehen uns wieder.»
Bolitho musterte den flach abfallenden Strand.»Entweder in Kapstadt oder in der Hölle.»
Als sie den ankernden Schoner fast schon erreicht hatten, wandte sich Bolitho an Allday.»Erinnerst du dich an die Achates?»
Der Bootssteurer zog eine Grimasse und rieb sich die Brust.»Die vergesse ich bestimmt nicht. Aber das ist vier Jahre her.»
Bolitho legte ihm die Hand auf den Arm.»Trotzdem, mein Freund. Weißt du noch, wie wir sie fast verloren hätten?»
Allday spürte, daß es ihm trotz der Mittagshitze eiskalt über den Rücken lief.»Sie denken an einen Brander, Sir?«Er senkte die Stimme, die Männer an den Riemen sollten nichts mitbekommen.
Doch Bolitho sprach laut weiter.»Ich weiß, was ich damit von den Leuten verlange. «Ein Fisch sprang aus dem Wasser, fiel zurück.»Aber sonst verlieren wir noch mehr Männer und Schiffe.»
Der Rudergänger im Beiboot konzentrierte sich ganz auf das Anlegemanöver bei der Miranda. Schließlich würden sie wohl nie wieder einen Flaggoffizier an Bord haben. Niemand im Boot ahnte, was Bolitho durch den Kopf ging. Er sagte zu Allday:»Mr. Simcox hat etwas Wichtiges über den Wind hier gesagt. Es muß bald sein, denn der Feind könnte Anker lichten und davonsegeln. Aber wir können nur Freiwillige gebrauchen.»
Allday biß sich auf die Lippen. Die Männer auf dem Schoner waren ihm fremd, nicht Bolithos Leute, die mit ihm durch dick und dünn gegangen waren. Trotzdem… Er erinnerte sich an die Achates, wie sie in San Felipe vor Anker gelegen hatte. Das fremde Schiff hatte sich ihr scheinbar harmlos genähert und war dann in Flammen aufgegangen und auf sie zugetrieben. Wenn es etwas Schlimmeres gab, als einen Brander abzuwehren, dann war es für die eigenen Leute, diesen Brander zu bemannen. Dafür Freiwillige finden? Die waren so selten wie Jungfrauen in Seemannskneipen.
Bolitho griff in die Rüsten, als das Boot an der Miranda längsseits ging und die Mannschaft die Riemen hob. Er sah Allday an.»Trotzdem haben wir keine andere Wahl. «Damit zog er sich über das Schanzkleid und sprach sofort mit Tyacke. Der würde es dem Admiral kaum danken, schätzte Allday, nicht nach dem schrecklichen Brand, der ihm diese furchtbare Wunde beigebracht hatte.
Bolitho fühlte sich von Kommodore Warren beobachtet, als er Ozzard sein verschwitztes Hemd zuwarf und in ein frisches schlüpfte. Dann trat er zu den Heckfenstern in der Kajüte der Themis und sah ungeduldig zu, was auf dem nahen Versorger und dem gekaperten Sklavenhändler geschah. Wie lange brauchten die Leute bloß, um den Angriff vorzubereiten? Die Zeit wurde knapp. Und es war wichtig, daß Warren genau verstand, was er vorhatte.
«Der Schoner Dove wird Ihre Signale als Relaisstation an die Fregatten weitergeben, die draußen patrouillieren. «Bolitho sah im Geist die Searcher — eine Fregatte mit sechsunddreißig Kanonen — hinter dem Horizont kreuzen: Warrens erste Verteidigung gegen jeden Feind, der sich von Westen näherte. Der zweite Schoner hielt Kontakt zum Geschwader in der Saldanhabucht. Jeder Kommandant konnte selbst entscheiden, was er bei drehendem Wind oder bei Annäherung eines feindlichen Schiffes tun wollte, der Leutnant auf dem Schoner genauso wie der Kapitän der Fregatte. Das hatte Bolitho in seinen Befehlen präzise festgelegt. Aber einen Kampf Breitseite gegen Breitseite durfte es nur auf Befehl des Kommodore geben.
Warren protestierte:»Ich bin dagegen, Sir Richard. Wenn Sie bei diesem Handstreich fallen oder in Gefangenschaft geraten, wie soll ich das London erklären?»