Bolitho sah ihn mitleidig an. Als ob es dann noch auf Erklärungen ankäme. Hatte Varian mit seinem abfälligen Urteil über Warren vielleicht doch recht?» Ich lasse Ihnen dazu einige Briefe hier«, antwortete er.»Aber machen Sie sich darüber keine Sorgen. Es gibt in London einige, die das ganz gerne sähen.»
Allday kam mit dem alten Familiendegen und legte ihn Bolitho um. Er hatte seine kurze blaue Jacke und die weiße Leinenhose angezogen. Jetzt ermahnte er Ozzard mit einem Blick auf den prunkvollen Degen an der Wand:»Paß mir ja gut auf den auf!»
Bolitho beugte sich über die Seekarte. Die Truculent unter Kapitän Poland mußte inzwischen westlich der Tafelbucht stehen und auf die Miranda und ihre gefährliche Begleitung warten. Im Südwesten stand Varian mit ihrer stärksten Fregatte, der Zest. Wenn der Angriff gelang, sollte Varian die Schiffe verfolgen, die vor dem Brander auf die offene See flohen. Es war unwichtig, ob der Feind die Albacora wiedererkannte. Nur für die Männer an Bord war das von Bedeutung, die im letzten Augenblick in die Boote steigen mußten.
An der Tür meldete der Posten:»Der Schiffsarzt, Sir!»
Der Eintretende war so hager wie Warren und schien kein Lächeln zu kennen.»Tut mir leid, Sir, aber der Midshipman der Miranda möchte sofort auf sein Schiff zurück«, berichtete er.
Warren runzelte verärgert die Stirn.»Das müssen Sie entscheiden. Ich habe jetzt keine Zeit.»
«Geht's dem Fähnrich wieder besser?«fragte Bolitho.
Der Schiffsarzt schien verwirrt von der goldbetreßten Uniform, die Bolitho jetzt statt des gewohnten Hemdes trug.»Es ist eine schwere Wunde, Sir. Und ein tapferer junger Mann. «Mehr sagte er nicht.
«Dann soll er zu uns auf die Miranda kommen. Kümmern Sie sich bitte darum, Stephen. «Als der Flaggleutnant aufatmete, fügte Bolitho hinzu:»Ja, diesmal kommen Sie mit. Wenn Allday mein rechter Arm ist, dann sind Sie mein linker.»
Er erinnerte sich, wie Jenour ihn angesehen hatte, als er vor ein paar Stunden auf sein Flaggschiff zurückgekommen war. Ein Kurier hatte Depeschen überbracht und es so eilig gehabt, daß er nicht einmal ankerte.»Im Umschlag Ihrer Lordschaften ist auch ein privater Brief für Sie, Sir Richard.»
Bolitho drehte sich um.»Von wem?»
«Von Ihrer Lady«, hatte Jenour schnell geantwortet, und als er Bolithos Frage spürte, sofort hinzugefügt:»Aus Falmouth.»
Endlich, der erste Brief von Catherine! Hätte Belinda ihm geschrieben, hätte sie nur wieder mehr Geld für ihre aufwendige Lebensführung verlangt. Nun trug er Catherines Brief ungeöffnet in der Tasche bei sich, bis er in der drangvollen Enge der Miranda irgendwo ein Plätzchen fand, um ihn ungestört zu lesen. Nach dem Angriff würde er ihr antworten und all seine Sehnsucht in die dürren Worte legen. Und falls er fallen sollte? Dann lag im Safe des Schiffes ein Brief für sie.
Bolitho verließ die Kajüte. Draußen wartete Ozzard mit seinem Hut.»Wenn wir dies hier erledigt haben, geht's zurück nach Falmouth. «Seltsamerweise stieg bei diesen Worten Furcht in Ozzards Augen auf.»Hier bist du gut aufgehoben. Kommodore Warren wird sich um dich kümmern.»
Als er zum Fallreep eilte, folgten ihm alle Blicke. Sicher war man froh, daß er das Schiff verließ. Sein Bleiben schien nur Gefahr zu signalisieren.
Langsam sank die Sonne, hielt sich noch als feuriger Ball über ihrem eigenen Spiegelbild. Der Horizont leuchtete wie ein glühender Draht. Commodore Warren nahm den Hut ab, die Pfeifen schrillten, und die Seesoldaten präsentierten das Gewehr. Bolitho stieg ins Beiboot und sah den Midshipman neben Jenour und Allday sitzen.
«Guten Tag, Mr. Segrave. «Der Junge antwortete etwas, aber es blieb ungehört, weil das Boot ablegte und die Riemen ins Wasser tauchten.
Jenour sah zurück, froh, daß er nicht bei Yovell und Ozzard auf der Themis bleiben mußte. Er prüfte die Sorgleine, die sein Handgelenk mit dem Degenkorb verband, und schob das Kinn vor.
Allday sah die Sonne untergehen. Ihr Rot bedeutete diesmal Tod — für Freund oder Feind? fragte er sich.
«Und was steckt noch in Ihrem Postsack, Stephen?«fragte Bolitho in die Stille hinein.
«Eine Nachricht für die Miranda, Sir Richard. «Jenour dachte an den Privatbrief für Bolitho. Wie wichtig er für ihn gewesen war! Da befehligte der Mann mit kühlem Kopf eine ganze Flotte, aber ein einziger Brief aus Falmouth machte ihn weich und verletzlich.
Als Bolitho an Bord der Miranda kletterte, begrüßte Tyacke ihn an der Reling. Über das dunkle Wasser hinweg sahen sie die Albacora im Schein der untergehenden Sonne daliegen.
Der schmutzige Schoner sah aus, als ob er schon in Flammen stünde.
«Wir haben unser Bestes getan, Sir Richard«, berichtete Tyacke.»Sie hat keine Stückpforten, also haben wir Löcher ins Deck geschnitten. Trotzdem wird sie brennen wie eine Fackel, wenn's so weit ist. «Beide Schoner würden Anker lichten, sobald es dunkel genug war, und sich davonstehlen wie Diebe in der Nacht.»Früh morgens sollten wir dann auf die Truculent stoßen«, fuhr Tyacke fort.»Da werden Sie es dann bequemer haben als hier.»
Im rötlichen Sonnenlicht sah Tyackes entstelltes Gesicht aus, als blute es.»Ich brauche keine Bequemlichkeit«, antwortete Bolitho.»Ich habe hier gefunden, was ich suchte. Wenn alle Schiffe so geführt würden wie Ihres.»
Abrupt drehte sich Tyacke um.»Es gibt noch viel für mich zu tun, Sir. Bitte entschuldigen Sie mich.»
Die riesige rote Sonnenscheibe rutschte unter die Kimm. Eigentlich müßten dort Dampfwolken aufsteigen oder der Rauch einer Explosion, dachte Midshipman Segrave. Er stand am Niedergang, als Simcox ihn fand.»Heute wird es eng an Bord«, scherzte er.»Mal sehen, ob wir einen Platz für Sie finden. «Dann wurde er ernst.«»Bob Jay hat mir von Ihren alten Narben erzählt. «Und als der Junge ihn wütend anstarrte:»Das war seine verdammte
Pflicht mir gegenüber.»
Segrave ballte die Fäuste.»Dazu haben Sie kein Recht!»
«Wollen Sie mir meine Rechte erklären, Mr. Segrave? Ich trage des Königs Rock ein paar Jahre länger als Sie. Sagen Sie mir also nicht, was ich darf und was nicht. «Simcox' Gesicht war nur eine Handbreit von dem Segraves entfernt.»Man hat Sie auf Ihrem alten Schiff ausgepeitscht wie einen tollen Hund, daher die Narben. Irgendjemand wollte Ihnen zeigen, welche Macht er hat und wie schwach Sie sind. «Der Junge nickte betroffen.»Das ist jetzt vorbei. Jay wird nie vergessen, daß Sie ihm das Leben gerettet haben. «Er legte ihm die Hand auf die Schulter.»Ich mußte übrigens auch das dem Kommandanten melden.»
Segrave wischte sich das Gesicht mit dem Ärmel.»Es war wohl Ihre Pflicht«, sagte er mit zitternder Stimme.
«Alles klar jetzt?«fragte Simcox.
«Nein. «Der Junge schüttelte verzweifelt den Kopf.»Ich habe auf der Themis gehört, daß ich auf mein altes Schiff zurück muß, wenn wir Kapstadt hinter uns haben. «Er stieg den Niedergang hinunter.»Verstehen Sie jetzt?»
Als die Dunkelheit fiel und die Sterne am dunklen Himmel hervortraten, saß Bolitho in seiner Kajüte am Tisch. Er hörte an Deck Kommandos und das Quietschen der Ankerwinde, als der Anker kurzstag gehievt wurde. Jay, der Mastergehilfe, war mit einer kleinen. Prisenmannschaft drüben auf der Albacora. Auf der Miranda mußte die reduzierte Mannschaft deshalb härter als sonst arbeiten und Wache um Wache gehen.
Tyacke schaute herein.»Wir können ankeraufgehen, Sir. Haben Sie noch Befehle?«Das klang anders als sonst.
«Gibt's Probleme?«fragte Bolitho.
«Ja. Ich habe neue Befehle bekommen: Segrave und Simcox müssen die Miranda verlassen, wenn das alles vorbei ist. «Tyacke versuchte zu lächeln, aber es mißlang ihm.»Ben Simcox ist ein alter Freund von mir. Und über den Midshipman denke ich jetzt auch anders.»