«Ich weiß. «Bolitho sah die Überraschung auf Tyackes entstelltem Gesicht. Als er weitersprach, bemerkte Tyacke zum erstenmal die fürchterliche Narbe auf Bolithos Stirn, die eine Strähne nur halb verdeckte.»Einer meiner Flaggleutnants bezeichnete meine Kommandanten und mich einmal als >eine kleine Schar Beglückten. Aber wir wurden immer weniger. Ich weiß, was es heißt, einen Freund zu gewinnen und ihn sofort wieder zu verlieren. Man könnte manchmal meinen, es sei besser, mit niemandem befreundet zu sein.»
Oben rief eine Stimme: «Albacora nimmt Fahrt auf!»
«Tut mir leid«, entschuldigte sich Tyacke,»ich wollte nicht an alte Wunden rühren.»
«Verstehe«, lächelte Bolitho.»Übrigens werde ich morgen Freiwillige brauchen.»
Tyacke drehte sich an der Tür um.»Keine Sorge, Sir Richard. Auf diesem Schiff werden Sie genügend Freiwillige finden. «Dann war er verschwunden. Sekunden später erklang der Ruf von Deck:»Anker auf!»
Bolitho blieb nachdenklich sitzen und hörte den Lärm oben nicht. Er brauchte Männer wie Tyacke und seine Besatzung nicht nur für den Kampf. Aber ob sie das je verstehen würden?
Dann öffnete er bedachtsam Catherines Brief. Ein Efeublatt fiel heraus. Er hielt den Brief dicht unter die schwingende Lampe und las: «Mein Geliebter. Dieses Blatt stammt von Deinem Haus, meinem neuen Heim ...»
Da legte er den Brief zur Seite, denn die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen.
VI Die Tapferen und die anderen
Leutnant James Tyacke umklammerte die Luvreling und starrte durch die Gischt voraus, als Bolitho nach oben kam.»Segel in Sicht, Sir!»
Bolitho griff haltsuchend nach einer Pardune.»Ich habe die Meldung gehört. Sie haben einen guten Mann oben, Mr. Tyacke.»
Der Ausguckposten hatte das fremde Schiff bei Beginn der Morgendämmerung gemeldet. In der Nacht hatte der Wind gedreht und kam jetzt aus Nord. Die Miranda lief rechtweisend Ost und lag so hart über, daß die Leereling oft genug durchs Wasser rauschte. Die Gischt war eiskalt.
Noch sah man die Kimm nicht, nur die Wellenkämme und die heranrauschenden Seen. Die Annäherung an den Feind würde für beide Schoner nicht leicht sein. Voraus entdeckte Bolitho einen Lichtpunkt, weniger als eine Kabellänge entfernt: das Heck der Albacora. Tyackes und Jays gute Seemannschaft hatte die beiden Schoner auch nachts zusammenbleiben lassen. Aber wenn jetzt die Sonne aufging, würden die Männer auf beiden Schiffen ihre Erschöpfung spüren, denn eine ganze Nacht Segeltrimmen und Manöverfahren zehrte an den Kräften.
«Wir schließen jetzt zur Albacora auf, Sir«, rief Tyacke Bolitho zu, dessen Augen sich noch nicht an das Zwielicht gewöhnt hatten. Erstaunlich, daß der Ausguck schon das ferne Segel sah. Es mußte die Truculent sein. Oder war es ein Feind?
«An Deck! Fregatte voraus — beigedreht!»
Also war es die Truculent. Bolitho hörte Simcox aufatmen. Kapitän Poland war wieder einmal zur rechten Zeit in der gewünschten Position.
Jemand meldete, daß die Albacora ein Boot zu Wasser gelassen hätte.»Was haben Sie wegen der Freiwilligen vor?«fragte Bolitho leise Tyacke.
«Das Flaggschiff hat uns den Deserteur geschickt. Und dann hat sich ein Seesoldat gemeldet — was immer der wert sein mag. «Aus seinen Worten klang die übliche Mißachtung des Seemanns für die Marineinfanterie.
«Sind das alle?»
«Der Rest kommt von der Miranda.«Erstes Licht schlich über die Kimm.»Ich habe mit meinen Männern geredet und kann mich auf sie verlassen.»
«Mr. Simcox weiß, was er auf der Albacora zu tun hat?»
Tyacke antwortete nicht sofort. Er beobachtete das Beiboot, das hart pullend über die See glitt, um in Lee der Miranda Schutz zu finden.»Mr. Simcox bleibt hier an Bord«, sagte er dann.
Bolitho verbarg seine Überraschung.»Sie führen hier das Kommando. Es ist also Ihre Entscheidung.»
Plötzlich stand Simcox zwischen ihnen.»Ich protestiere! Ich kenne die Gewässer besser, und überhaupt.»
Tyacke packte ihn am Arm.»Sie tun, was ich Ihnen sage, ich bin hier der Kommandant. Und jetzt kümmern Sie sich um das Beiboot da unten!»
Bolitho konnte Simcox' Gesicht nicht erkennen, aber er spürte, wie sehr dieser Befehl den Mann verletzt hatte.
«Ben ist ein großartiger Seemann, Sir«, erläuterte Tyacke.»Wenn er diesen verdammten Krieg überlebt, wird noch mehr aus ihm. «Wütend wandte sich der Kommandant dann an die Gruppe im Heck des Schoners:»Morgan, holen Sie diese Leine dicht, oder wollen Sie, daß das Beiboot zerschmettert wird?»
Zum erstenmal hatte Tyacke einen seiner Männer unberechtigt angeschnauzt. Ihn bedrückte wohl die Entscheidung, Simcox an Bord zu lassen und selbst auf den Brander zu gehen.
Männer eilten im Zwielicht hin und her, und dann stand Jay, der Mastergehilfe, an der Pinne.»Wir sind soweit, Sir. Wir können die Besatzungen jetzt auswechseln. «Er sah von Tyacke hinüber zu Simcox.»Geht Ben mit?»
«Nein, ich gehe. Sie bleiben hier bei ihm. Und bei diesem
Schiff!»
Als sich auch Segrave bereitmachte, sagte Tyacke leise zu Bolitho:»Er hat sich freiwillig gemeldet. Wenn's schlimm wird, kann ich einen zweiten Offizier gebrauchen. «Laut fragte er:»Na, wollen Sie immer noch mit, Mr. Segrave? Wenn Sie lieber bleiben wollen, tun Sie's. Niemand wird Sie deshalb für einen Feigling halten, nicht nach dem, was Sie für Mr. Jay getan haben.»
Das erste schwache Sonnenlicht fing sich in Segeln und Rigg.
«Ich komme mit, Sir«, sagte der Junge.
Von oben rief der Ausguck:»Es ist die Truculent, Sir. Sie schüttelt gerade ein paar Reffs aus und kommt näher.»
«Sie wird Sie an Bord nehmen wollen, Sir.»
Allday stand schon mit dem Kleidersack neben ihm, auch Jenour tauchte auf. Plötzlich blieb keine Zeit mehr. Männer stiegen ins Beiboot, und Tyacke hatte es eilig, auch wenn er als letzter überstieg. Er schwang gerade ein Bein übers Schanzkleid, als plötzlich Simcox neben ihm auftauchte.»Soll ich nicht doch mitkommen?»
Simcox schwankte, aber Tyacke fing ihn auf. Bolitho sah den kurzen Abschied zweier Freunde.»Du wirst mal ein guter Master, Ben. Such dir auch einen guten Kommandanten.»
Was Simcox antwortete, wurde vom Lärm an Deck und dem Klatschen der Seen übertönt. Dann war Tyacke verschwunden, und das Beiboot flog auf die Albacora zu.
«Schließen Sie zur Truculent auf, Mr. Simcox. Wenn wir übergesetzt haben, folgen Sie sofort dem Brander. «Warum hatte er
«Brander «gesagt und nicht Albacora? Wohl um Simcox das Unvermeidliche klarzumachen.
«Wir sollen also mit der Miranda den Brander verfolgen, Sir Richard?«Simcox hatte es akzeptiert.
«Richtig. Verfolgen Sie ihn zum Schein. Der Trick ist alt, aber er könnte Erfolg haben. Mr. Tyacke muß jedenfalls nahe an die feindlichen Schiffe herankommen, ohne zunächst ihren Verdacht zu wecken.»
«Und welche Chance hat die Crew auf dem Brander, Sir Richard?»
Bolitho sah ihn fest an.»Kaum eine. Es kostet viel Zeit, zum Feind aufzukreuzen. Wenn erst die Lunten brennen, müssen Tyacke und seine Besatzung ins Beiboot und zum Land rudern. Dort werden sie den Holländern in die Hände fallen. Aber man wird sie wohl ungeschoren lassen, denn unsere Truppen sind nahe. «Er spürte, daß Jenour seine Lüge durchschaute, und erläuterte:»Wenn Mr. Tyacke einen Fehler macht, werden wir zwölf gute Leute verlieren. Wenn wir aber direkt angreifen, würden wir alle Schiffe und jeden Mann opfern.»