Jenour verschwand in die Anrichte, wo Ozzard und ein zweiter Diener Gläser polierten und in ihre Ständer klemmten, damit sie nicht im Seegang wegrutschten und zerbrachen.
Bolitho streichelte den kleinen Weinschrank von Catherine. Herrick mußte jetzt zu Hause sein. Bei seiner Ankunft würden ihm die Wärme und Bewunderung Dulcies am meisten fehlen. Vielleicht warf er ihm insgeheim vor, er habe die Benbow nur ins Dock befohlen, um endlich den Oberbefehl über dieses Geschwader zu bekommen? Er verbot sich solche Spekulationen. Wer verbittert über einen Freund war, der kam immer auf schlimme Gedanken.
Die Tür öffnete sich, Keen führte die Kommandanten herein, die sich Bolitho namentlich vorstellten. Was er sah, war eine Mischung aus Erfahrung, Können und Neugier. Bis auf einen hatten alle ihren vollen Kapitänsrang. Ozzard umschwirrte sie mit seinem Tablett, doch aller Augen wandten sich dem eintretenden jungen Kommandanten der Fregatte Anemone zu, der eher wie ein jüngerer Bruder als wie ein Neffe des Admirals aussah.
Bolitho gab Adam die Hand, aber dann konnte er sich nicht zurückhalten und umarmte ihn. Das gleiche dunkle Haar, die gleichen Bewegungen. Bolitho hielt Adam auf Armlänge von sich ab und studierte sein Gesicht. Der junge Mann hatte erreicht, wovon er immer geträumt hatte: Kommandant einer Fregatte zu sein. Er war jetzt sechsundzwanzig Jahre alt. Auch Bolitho war sechsundzwanzig gewesen, als er seine erste Fregatte übernommen hatte. Zufall?
Leise sagte Adam:»Ich freue mich, dich wiederzusehen, Onkel. Wir hatten viel zu wenig Zeit damals, als ich die Truculent in den Hafen schleppte.»
Ohne dich und deine Anemone hätten uns die drei Franzosen zu Treibholz geschossen und ich wäre jetzt tot, dachte Bolitho. Denn niemals wieder wäre er in Gefangenschaft gegangen.
Keen bat die Kommandanten, Platz zu nehmen. Jeder ordnete dabei, was er sah, in das Bild ein, das er sich von Bolitho gemacht hatte.
Bolitho richtete sich auf und sah sie alle der Reihe nach an.
«Ich wollte Sie so schnell wie möglich kennenlernen, meine Herren. Denn ich habe festgestellt, daß einem später zu oft die Zeit fehlt, miteinander zu reden. «Einige Gesichter lächelten.»Tut mir leid, daß zwei unserer Kommandanten nicht dabei sind. «Er zögerte einen Augenblick; machte er damit nicht Herrick einen Vorwurf? Doch Herrick hatte die beiden Schiffe nach Hause geschickt, ohne auf seinen Rat zu warten.»Dies ist nicht die rechte Zeit, die Zügel locker zu lassen. Viele von uns haben den Sieg in Trafalgar miterlebt, der angeblich alle Gefahren für unser Land beseitigt hat. So hört man es jedenfalls in London und auch innerhalb der Flotte. Doch nur ein Narr könnte glauben, die Zeiten würden friedlicher, solange Napoleon regiert. Wir brauchen jedes Schiff und jeden Mann, der darauf kämpft. Die Franzosen werden ihre Terraingewinne konsolidieren, und sie haben ja bewiesen, daß ihnen kaum ein Landheer widerstehen kann. Wer weiß, welche Talente sie gegen uns in See schicken, wenn sie endlich wieder so viele Schiffe haben, wie sie brauchen? Die französische Marine wurde durch die Revolution geschwächt, die in ihrer blutigsten Zeit unter den Seeoffizieren genauso viele Opfer forderte wie unter den Aristokraten. Doch neue Anführer wachsen heran, und gegen diese müssen wir uns wappnen. «Er fühlte sich plötzlich leer und wie ausgehöhlt.»Haben Sie Fragen?»
Kapitän John Crowfoot, Kommandant der Glorious, ein großer, gebeugter Mann mit dem Habitus eines Landpfarrers, fragte:»Werden die Dänen ihre Flotte den Franzosen übergeben, Sir Richard?»
«Ich glaube nicht, es sei denn unter größtem Druck. Kein Däne wünscht sich Franzosen im Land.»
Kapitän George Huxley von der Nicator, ein gedrungener Mann mit hartem Blick, sagte selbstbewußt:»Wir brauchen dringend mehr Fregatten, Sir Richard. Ohne sie sind wir wie blind. Ein Geschwader, sogar eine ganze Flotte könnte nachts an uns vorbeisegeln, und wir würden nichts merken!«Er drehte sich zu den Fenstern um, als suche er die holländische Küste, die dreißig Meilen entfernt lag.
Bolitho antwortete:»Ich bin ganz Ihrer Meinung, Kapitän Huxley. Aber ich habe nun mal nur zwei Fregatten, die meines Neffen und die Zest, deren Kommandant ich noch nicht kenne.»
Keen hatte ihn vorgewarnt: Kapitän Fordyce, der Sohn eines Admirals, sei ein Leuteschinder. Ihre Lordschaften in der Admiralität hatten wahrscheinlich geglaubt, nach Kapitän Varian habe die Zest eine harte Hand nötig.
Es folgten noch viele Fragen — zu Reparaturen und Vorräten, zu Patrouillengebieten und möglichen Gefechten. Bolitho gestand sich ein, daß er auch nach diesem langen Treffen seine Kommandanten noch nicht richtig kannte. Aber er wollte ihnen wenigstens einige seiner Grundsätze vermitteln.»Mit unnötigen Signalen verliert man zuviel Zeit im Gefecht. Und Zeit zählt im Kampf, wie Sie alle wissen. Ich habe darüber einige Briefe mit Lord Nelson gewechselt, den ich leider, wie Sie wohl alle, nie persönlich getroffen habe. «Er sah zu Adam hinüber.»Mein Neffe ist die Ausnahme, er hatte das Glück, Nelson öfter zu treffen. Leider ist er nicht mehr unter uns, aber sein Beispiel wird uns helfen.»
Er spürte, daß alle gespannt auf seine nächsten Worte warteten.»Nelson hat einmal gesagt, daß kein Kommandant viel falsch machen kann, wenn er sein Schiff im Kampf neben das des Gegners legt. «Crowfoot von der Glorious nickte eifrig, und an der Tür lauschte Jenour auf jedes Wort.»Ich glaube, besser als Nelson kann man es nicht sagen.»
Sie trennten sich erst nach zwei Stunden und reichlichem Weingenuß. Beim Abschied dachten sie offenbar schon daran, was sie, an Bord zurückgekehrt, ihren Offizieren berichten würden.
Bolitho empfing noch den jüngsten Kommandanten des Geschwaders, den von der Kurierbrigg Mistral, den Allday später als» noch so einen zwölfjährigen Skipper «charakterisierte.
Der Nordwest war abgeflaut, die großen Linienschiffe kürzten ihre Segel für die kommende Nacht. Eigentlich hatte Keen den Admiral zu sich zum Abendessen einladen wollen, doch als er sah, daß der Kommandant der Brigg ihm einen Privatbrief übergab, verzichtete er darauf. Vorsichtig öffnete Bolitho den Umschlag und las im Licht der Kerzen Catherines Zeilen: Liebster, erst gestern hast du mich verlassen, und schon glaube ich, es ist eine Ewigkeit her … Bolitho sah sich in der leeren Kajüte um. Hatte er Catherines Lachen gehört, oder war es ein Murmeln der See gewesen? Er vertiefte sich wieder in ihren Brief.
XVII» Aber er hat ihre Herzen…»
Falls das Nordseegeschwader unter dem neuen Kommando Bolithos baldige Ablösung vom öden Blockadedienst erwartet hatte, so wurde es enttäuscht. Wochen und Monate vergingen, der Frühling vertrieb den eisigen Wind und die ewige, kalte Nässe des Nordens, und noch immer patrouillierten sie scheinbar sinnlos von den friesischen Inseln bis hoch zum Skagerrak, wo Poland seinen letzten Kampf ausgetragen hatte. Bolitho verlangte viel von ihnen, mehr als jeder andere zuvor. Segelmanöver, Kanonendrill, in Kiellinie segeln, nebeneinander segeln — alles übten sie mit so wenig Kommandos und Signalen wie möglich. Dann teilte er sein Geschwader in zwei Gruppen, ließ den würdigen Crowfoot von der Glorious die zweite Division übernehmen und führte sie gegeneinander. Inzwischen waren die beiden Vierundsiebziger Valkyrie und Tenacious wieder zum Geschwader zurückgekehrt und hatten einen kleinen Schoner mitgebracht, die Radiant unter dem Kommando eines älteren Leutnants, der früher beim Zoll gedient hatte.