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Bolitho sah die Realität hinter den schön geschriebenen Dokumenten: Zwanzigtausend Soldaten mit Kanonen und Mörsern würden in Dänemark landen, beschützt von kleinen Kanonenbooten und bewaffneten Briggs. Sie würden von Helsingör nach Kopenhagen vorrücken und diese schöne Stadt, sollten die Dänen sich auf eine Belagerung einlassen, mit ihren spitzen grünen Türmen in Trümmer legen. Das schien Bolitho ein Irrsinn zu sein. Die Dänen waren nicht kriegerisch, sie wollten lediglich in Ruhe gelassen werden. Er klappte die Mappe zu. Trotzdem gab es keine andere Möglichkeit.

Keen kam zurück und meldete:»Die Anemone wird noch vor dem Abend bei uns eintreffen, Sir Richard.»

Während sie ihre Taktik und den genauen Wortlaut der dazu nötigen Befehle besprachen, erschien Vincent, der Midshipman der Wache, und meldete, die Bramsegel der Anemone wären bereits in

Sicht.

«Wie haben Sie sich eingelebt?«fragte Bolitho seinen Neffen. Dann sah er den Bluterguß auf seiner Backe und den Schorf um seinen Mund.»Recht gut, Sir Richard«, antwortete Vincent wortkarg. Als er gegangen war, fragte Bolitho:»Er hatte wohl mit jemandem eine Auseinandersetzung, Val?»

Keen hob die Schultern.»Man kann nicht immer alle jungen Herren im Auge behalten.»

Bolitho merkte, daß er Keen den Rücken stärken mußte.»Vincent ist ein Tyrann, Val, er unterdrückt, wen er kann, und hat ein übersteigertes Selbstbewußtsein. Ich hoffe, Sie behandeln ihn nicht anders als den Rest, bloß weil er mit mir verwandt ist. Außerdem fürchte ich, aus dem jungen Mann wird nie ein Leutnant!»

Keen war überrascht über soviel Offenheit.»Es gab einen Kampf, Sir«, räumte er ein.»Zwei Midshipmen hatten einen Streit untereinander auszutragen. Der andere war Midshipman Segrave.»

«Das hätte ich mir denken können«, nickte Bolitho.»Niemand hat mehr Grund als er, sich gegen so einen Westentaschentyrannen zu wehren.»

Die Laternen brannten schon, als die Anemone in Lee der Black Prince beidrehte. Yovell versiegelte gerade die Befehle für Kapitän Crowfoot, als Keen Adam Bolitho in die Kajüte des Vizeadmirals führte. Dieser faßte kurz zusammen, was er mit Keen ausführlich besprochen hatte.

«Ich muß wissen, ob die Franzosen versuchen, unseren Nachschub anzugreifen. Unser Schoner wird am Morgen der Zest und der Mistral entsprechende Befehle bringen.»

«Was sagt man in London zu dem großen feindlichen Linienschiff, das hier gesichtet wurde?«wollte Adam wissen.

«Sie glauben nicht daran«, antwortete Keen.

«Ich glaube es aber«, murmelte Adam.

«Vielleicht hat sich Leutnant Evans ja wirklich geirrt, obwohl ich ihm traue. «Trotz seiner Vorliebe für Rum, dachte Bolitho.

Adam erhob sich.»Wenn es zum Gefecht kommt, paß gut auf dich auf, Onkel. Wir brauchen dich noch, wir alle!»

Bolitho umarmte seinen Neffen, und Keen ging, um Adams Boot längsseits rufen zu lassen.

«Irgend etwas bedrückt dich, Adam«, sagte Bolitho, als sie allein waren.»Du führst zwar ein Schiff des Königs, aber für mich bist du immer noch wie ein Sohn.»

Adam lächelte, sah aber dabei nicht glücklicher aus.»Es ist nichts, Onkel.»

Bolitho beharrte:»Sag es mir, dann werde ich versuchen, dir zu helfen.»

Adam wandte sich ab.»Ich weiß, Onkel, du bist immer mein Rettungsanker. Aber mir fehlt nichts.»

Bolitho brachte ihn zur Treppe, denn ihm wurde plötzlich klar, daß dies vor dem kommenden Gefecht ihr letztes Treffen war. Vielleicht sogar ihr allerletztes in diesem Leben. Daß es ein Gefecht geben würde, spürte Bolitho in allen Knochen. Ein Schauer lief ihm über den Rücken.

«Allday hat mir von seinem Sohn berichtet«, sagte er beim Abschied.

Adam fuhr aus seinen Gedanken hoch.»Tut mir leid, aber John Allday gehört auf kein Kriegsschiff. Ich weiß, was der Vater denkt, aber der Sohn würde fallen, wenn er noch länger an Bord bliebe. Ich kenne die Zeichen.»

Das klang, als spräche ein älterer Mann, ein Mann mit viel Erfahrung.»Du bist sein Kommandant«, antwortete Bolitho,»und kennst ihn wahrscheinlich besser als sein Vater.»

Adam reichte ihm die Hand.»Meine besten Wünsche an Lady Catherine, wenn du ihr wieder schreibst.»

«Danke. Wir sprechen oft von dir. «Wieder wollte er ihn fragen, was ihn bedrückte, doch er ließ es. Adam glich ihm zu sehr. Er würde erst reden, wenn er selbst es für richtig hielt.

Adam grüßte und bat formelclass="underline" »Ihre Erlaubnis, das Schiff zu verlassen?»

«Aye, Leutnant. Und Gott mit Ihnen.»

Die Trommeln wirbelten. Am Fuß der Leiter halfen zwei Schiffsjungen, Adams Boot in der See ruhig zu halten.»Ich möchte nur wissen, was ihn bedrückt, Val.»

Keen ging mit Bolitho zum Achterdeck.»Vermutlich eine Dame, Sir. Die bringen Unruhe ins Herz, wie wir wissen.»

Bolitho sah Allday an einem festgezurrten Zwölfpfünder stehen, allein unter all den Männern.»Komm mit nach achtern«, sagte er leise,»auf ein Glas. Ich möchte dich etwas fragen.»

Allday schüttelte sich in der Dämmerung wie ein alter nasser Hund.»Ja, jetzt könnte ich ein Glas vertragen. Danke, Sir Richard.»

Leutnant Cazalet, gerade bei seiner Abendrunde, blieb neben Jenour stehen. Sie sahen beide, wie der Vizeadmiral und sein Bootssteurer im Niedergang verschwanden.»Ein außergewöhnliches Paar, Mr. Jenour«, meinte der Erste.

Jenour sah in Cazalet einen guten Offizier, genau wie ihn ein Kapitän brauchte, aber mehr nicht.»Ich kann mir den einen nicht ohne den anderen vorstellen«, antwortete er.

Aber Cazalet war schon verschwunden. Jenour begann darüber nachzudenken, wie er das an diesem Tag Erlebte in einem Brief nach Hause berichten konnte.

Kapitän Hector Gossage, Kommandant des Vierundsiebzigers Benbow, lief unruhig auf dem Achterdeck hin und her, die Augen im harten Sonnenlicht zusammengekniffen. Gerade waren acht Glasen geschlagen worden und die Vormittagswache angetreten. Schon jetzt kam ihm die Hitze unerträglich vor. Gossage verfluchte ihr langsames Vorankommen und den Teer, der an seinen Sohlen kleben blieb. An Steuerbord sah er die lange Reihe der Versorgungsschiffe, die sich bis an die diesige Kimm erstreckte. Wie lange würde die Fahrt nach Kopenhagen noch dauern, wo sie Admiral Gambiers Flotte und die Armee versorgen sollten?

Gossage war stolz auf die Benbow. Sie hatte seit ihrem Stapellauf fast ununterbrochen Dienst getan und viele erfahrene Matrosen und Offiziere an Bord erlebt. Falls es so etwas wie glückhafte Schiffe gab, dann war sie eins.

Er sah die offenen Decksluken und fragte sich, wann der Konteradmiral an Deck kommen würde. Seit dem Tod seiner Frau hatte er sich stark verändert. Gossage war klug genug, über all das Schweigen zu bewahren, was sein Admiral seither übersehen oder schlicht vergessen hatte. So etwas konnte leicht auf ihn, den Flaggkapitän, zurückfallen. Er war fast vierzig und wollte spätestens in einem Jahr den Wimpel eines Kommodore fuhren. Außerdem war Herrick immer ein verständnisvoller Vorgesetzter gewesen, hörte gern zu und nahm auch Ideen wohlwollend auf. Aber jetzt. Gossage biß sich auf die Lippen, als er an die vielen Nächte dachte, in denen der betrunkene Herrick kaum noch hatte sprechen können. Und das war ein Mann, der früher jeden Offizier davor gewarnt hatte, den Alkohol als Krücke für seine eigenen Schwächen zu benutzen.

Er nahm ein Fernglas aus dem Gestell und suchte die Reihe der Schiffe ab. Sie lagen tief im Wasser und krochen nur langsam vorwärts. Der Wind hatte nachts auf Nord gedreht, bis zum Skagerrak brauchten sie also gewiß noch einen ganzen Tag. Es war ein wichtiger Geleitzug, den sie schützten: zweihundert Kavalleristen der Light Brigade mit ihren Pferden, außerdem Gardeinfanteristen und Seesoldaten mit Vorräten, Waffen und Munition, wie sie eine Armee für eine lange Belagerung brauchte. Gossages Sohlen lösten sich schmatzend vom Teer zwischen den Planken. Aber bei diesem Tempo würde der Krieg vorbei sein, ehe sie Kopenhagen erreichten.