Er suchte im Glas das zweite Begleitschiff, die Egret. Er entdeckte sie, aber die Sonne blendete ihn. Die Egret war ein uralter Zweidecker mit sechzig Kanonen. Sie hatte lange als Ausbildungsschiff vor Anker gelegen, bis dieser Krieg ihren erneuten Einsatz forderte. Ein Überrest. Aber Hauptsache, sie schwamm, damit die Lords der Admiralität ihre Sollzahlen erreichten.
Beim ersten Tageslicht hatte ein Ausguck weit voraus an Steuerbord Land gesichtet, ein Schatten nur, den der Dunst des Augustmorgens schnell wieder verschluckte, ehe die Sonne die Nordsee in eine glasige Fläche verwandelte, über der die Hitze flimmerte.
Leutnant Gilbert Bowater kam den Niedergang herauf, grüßte und meldete:»Konteradmiral Herrick ist auf dem Weg nach oben, Sir. «Selbst dieser unscheinbare Flaggleutnant versuchte neuerdings, dem Admiral möglichst aus dem Weg zu gehen.
Die Morgenwache richtete sich auf, und der Gehilfe des Masters starrte wie gebannt auf den Kompaß. Gossage begrüßte Herrick.»Der Nordwind steht durch, Sir. Und der Konvoi hält seit dem Morgengrauen seine Formation.»
Herrick ging zum Kompaßhäuschen und blätterte in den feuchten Seiten des Logbuchs. Sein Mund fühlte sich wie ausgedörrt an, und als er sich umdrehte, schwindelte es ihn im gnadenlosen Licht der Sonne. Er spähte zu den Schiffen hinüber, die sie seit Great Yarmouth begleiteten — eine sinnlose Last, keine stolze Pflicht.
Gossage beobachtete ihn, auf alles gefaßt.»Ich habe den Bootsmann und seinen Leuten befohlen, das stehende Gut zu teeren, Sir. Das Schiff soll gut aussehen, wenn wir einlaufen.»
Zum ersten Mal bemerkte Herrick seinen Flaggleutnant.»Nichts zu tun, Bowater?«fuhr er ihn an. Zu Gossage sagte er:»Lassen Sie den Konvoi nicht trödeln wie eine Herde Schafe, Kapitän. Signal an Egret: Sie soll aufschließen und die Reihe anführen!«Sein Ärger ging mit ihm durch.»Das muß ich Ihnen doch nicht erst sagen, Mann!»
Gossage wurde rot und bemerkte, wie die Männer am Ruder sich ansahen.»Wir haben ziemlichen Dunst, Sir. Da ist es nicht leicht, durch Signale in Kontakt zu bleiben.»
Herrick lehnte sich an die Netze.»So ein Flußschiffer braucht auch einen Monat, um ein Signal weiterzugeben. «Plötzlich drehte er sich um.»Also lassen Sie endlich eine Kanone abfeuern, das wird die Egret aufwecken!»
Gossage rief über die Schulter:»Mr. Piper, den Stückmeister zu mir! Und machen Sie das Buggeschütz an Steuerbord klar!»
Herrick fühlte, wie die zunehmende Hitze seinen Durst verschlimmerte.
«Klar zum Feuern, Sir!»
Er nickte kurz und zuckte zusammen, als der Schmerz durch seinen Schädel raste. Die Lafette ruckte in ihre Brocktaue zurück, in der feuchten Luft hing der Rauch fast unbeweglich. Herrick lauschte dem Echo des Schusses nach. Die Versorgungsschiffe schlichen müde weiter, als sei nichts geschehen.»Einen guten Mann nach oben!«befahl er.»Wenn die Egret in Sicht kommt, will ich es sofort wissen!»
«Wenn wir unsere Fregatte noch bei uns hätten. «warf Gossage ein.
Herrick sah ihn unwirsch an.»Haben wir aber nicht. «Er machte eine fahrige Bewegung.»Hier gibt es nur noch uns und diese lahmen Barken da!»
Ein Kanonenschuß hallte über das Wasser, und Gossage meldete:»Die Egret antwortet, Sir. «Herrick zupfte an seinem Halstuch.»Sie soll sofort zum Flaggschiff aufschließen!»
«Aber, Sir«, wagte Gossage einzuwenden,»so verlieren sie viel Zeit — und wir auch. «Er blickte sich hilfesuchend um.
Herrick rieb sich die Augen. Er hatte schon so lange nicht mehr gut geschlafen, daß er sich kaum noch an eine Nacht ohne Albträume erinnern konnte. Dulcie war tot, sie würde nie wieder in der Tür stehen und ihn begrüßen… Scharf befahl er:»Setzen Sie endlich das Signal!«Er trat ans Schanzkleid und spähte nach querab.»Der Schuß eben kam von dort, nicht von der Egret, meine Herren!»
Wieder dröhnte ein Knall durch den Dunst. Herrick wurde plötzlich ganz ruhig.»Haben Sie das gehört, Kapitän Gossage? Was sagen Sie jetzt?»
«Tut mir leid, Sir«, sagte dieser leise.
«Man hört nur, was man hören will, auch auf See«, antwortete Herrick.
Leutnant Bowater meldete:»Die Versorger formieren sich zur Kiellinie, Sir.»
Herrick lächelte düster.»Sie riechen die Gefahr! Wahrscheinlich hatte Sir Richard wieder einmal recht. Wir waren nur zu voreingenommen, um ihm richtig zuzuhören.»
Der Midshipman der Wache rief:»Die Egret hat bestätigt, Sir!»
«Sie soll mehr Segel setzen und den Platz vor dem Flaggschiff einnehmen.»
Eine Stunde schlich dahin, eine zweite. Was hatten diese Schüsse in der Mittagshitze bedeutet? fragte sich Herrick. Waren sich da vielleicht nur ein Kaperer und ein Schmuggler begegnet? Er sah nicht hoch, als der Ausguck Land in Lee meldete.
«Eine Stunde noch, schätze ich, dann sind wir im Skagerrak, Sir. «Gossage entspannte sich allmählich.
«An Deck! Segel an Steuerbord voraus!»
Männer rannten nach rechts, und ein Dutzend Teleskope versuchte, den Dunst über der spiegelnden See zu durchdringen. Alle atmeten auf, als der Ausguck meldete:»Brigg, Sir. Sie führt unsere Flagge!»
Herrick faßte sich in Geduld, während die Brigg zum Flaggschiff aufkreuzte. Endlich rief der Signalgast:»Es ist die Larne, Sir, unter Commander Tyacke!»
Herrick versuchte, sich trotz seiner Kopfschmerzen zu erinnern. Tyacke? Larne? Er kannte beide Namen, doch der Zusammenhang fiel ihm nicht ein.
«Lieber Gott, die ist aber zugerichtet!»
Im Glas sah Herrick die Brigg jetzt genauer. In ihrem Vortoppsegel gähnten Löcher, und auch ihr Bug war zersplittert.
«Sie läßt kein Boot zu Wasser. Sie will wohl längsseits kommen!»
Herrick bewegte sein Glas und sah den Kommandanten. Er trug die einzelne Epaulette eines Commanders und hatte sich in die Webleinen geschwungen, ein Sprachrohr in der Hand. Aber sein Gesicht! Selbst die Ferne konnte die Entstellung nicht verbergen. Und dann fiel es Herrick wieder ein: Tyacke war mit Bolitho am Kap gewesen. Der Brander, die entflohene französische Fregatte — plötzlich wußte er alles wieder.
«Benbow ahoi!«Herrick senkte das Glas. So war der Commander drüben nur eine gesichtslose Gestalt.»Die Franzosen sind durchgebrochen! Ich bin auf zwei Linienschiffe gestoßen und drei weitere!»
Herrick schnippte mit den Fingern, und der Erste Offizier reichte ihm ein Sprachrohr.»Hier Konteradmiral Herrick! Was für Schiffe genau?«Jedes laute Wort schmerzte in seinem Schädel.
Tyacke antwortete mit klarer Stimme, und Herrick glaubte dabei Gelächter zu hören.»Ich habe nicht gewartet, um das rauszufinden, Sir. Die hätten mich glatt versenkt. «Er drehte sich um und gab ein Kommando. Die Larne fiel daraufhin etwas ab.»Aber eins war ein Linienschiff zweiter Klasse mit vierundneunzig Kanonen. Kein Zweifel, Sir!»
Herrick trat zurück.»Sagen Sie ihm bitte, er soll dies so schnell er kann an Sir Richard Bolitho melden. Nein, besser gleich an Admiral Gambier.«Überrascht stellte er fest, daß ihn das alles nicht mehr berührte.
Gossage atmete heftig.»Die Brigg setzt wieder Segel. Soll ich dem Konvoi befehlen, sich aufzulösen, Sir?»
«Haben Sie Varian von der Zest vergessen? Der wartet auf ein Kriegsgericht. Man hat schon mal einen englischen Admiral verurteilt und erschossen, weil er einem Angriff ausgewichen ist. Da würde man auch bei uns nicht zögern!«Er sah Tyackes Brigg nach, die schon vor dem Konvoi kreuzte. Der Mann mit dem entstellten Gesicht würde morgen auf Gambier oder Bolitho stoßen, aber für sie war es dann wahrscheinlich zu spät.