Als er wieder sprach, klang es fest und entschieden:»Signal an den Konvoi: mehr Segel setzen, dabei Kurs und Abstand genau einhalten. Stellen Sie sicher, daß jeder Kommandant weiß, wie nahe der Feind ist.»
«Aye, aye, Sir. Und dann?»
Plötzlich fühlte Herrick sich furchtbar müde. Aber er wußte, so bald gab es keine Erholung für ihn.»Dann, Kapitän Gossage, lassen Sie unser Schiff klar zum Gefecht machen.»
Gossage eilte davon. Dabei fiel ihm plötzlich auf, daß er Herrick zum ersten Mal seit dem Tod seiner Frau lächeln gesehen hatte. Er hatte dabei ausgesehen, als habe er nichts mehr zu verlieren.
Kapitän Keen las auf dem Achterdeck seine Uhr ab, indem er sie ans Kompaßlicht hielt. Um ihn herum standen nur schattenhafte Gestalten. Drüben an Land brüllten die Kanonen, eine für ihn ungewohnte Erfahrung. Die Black Prince lag vor Bug- und Heckanker und hätte jeden Angreifer mit einer Breitseite bestreichen können.
Keen spürte gespannte Erwartung um sich herum. Jede Ankertrosse wurde von einem Boot voller Seesoldaten bewacht. Seesoldaten waren auch an der Reling rings um das Deck verteilt und die Drehbassen so tief wie nur möglich auf das schwarze Wasser des großen Hafens von Kopenhagen gerichtet.
Der erste Teil des Angriffs war gut gelaufen. Am zwölften August war die Flotte vor Helsingör erschienen und auf keinen Widerstand gestoßen, trotz der vielen dänischen Kriegsschiffe. Drei Tage später hatte das Heer seinen Marsch auf Kopenhagen begonnen. Je näher die Truppen kamen, desto heftiger wurde die Gegenwehr der Dänen. Und beim letzten Angriff wurde die britische Flotte bedroht durch flachgehende Schiffe, von denen jedes zwanzig Kanonen trug, und von einer Kanonenbootflottille. Erst nach heftigem Gefecht konnten sie abgewehrt werden.
Bolitho kam übers Deck auf Keen zu. Wahrscheinlich hat er wieder nicht geschlafen, dachte sein Freund.
«Bald ist es soweit, Val.»
«Aye, Sir. Die Artillerie ist in Stellung gebracht. Wie ich höre, sind siebzig Mörser und Kanonen auf Kopenhagen gerichtet.»
Bolitho sah sich in der Dunkelheit um. Die Black Prince war Gambiers Flotte nach Helsingör gefolgt und schnell in einen Schußwechsel mit der dänischen Kronenbatterie verwickelt worden. Zwei Gruppen englischer Linienschiffe ankerten zwischen den dänischen Verteidigern und ihrer Flotte. Aber die meisten dänischen Schiffe waren offenbar eingedockt und wurden repariert, wahrscheinlich als Täuschung für jeden, der es auf sie abgesehen hatte.
Auf dem Höhepunkt des Bombardements und zwischen den Attacken der Kavallerie und Infanterie hatte der britische Oberbefehlshaber Lord Cathcart die Zeit gefunden, die dänische Kronprinzessin und die Nichten des Königs unbehelligt durch die englischen Linien zu geleiten, um ihnen die Schrecken einer Belagerung zu ersparen.
Keens Augen zuckten, als auf dem Nachthimmel plötzlich Feuer ausbrach und die gezielte Bombardierung begann. Brandbomben wurden auf die Stadt geschleudert, und binnen einer Stunde standen bereits viele Gebäude in Flammen.
«Warum streichen die Dänen nicht die Flagge?«fragte Keen durch zusammengebissene Zähne.»Sie haben doch keine Chance.»
In seinen Augen spiegelten sich die züngelnden Flammen. Das Schiff unter ihnen ruckte bei jedem Abschuß an seinen Trossen.
Die Dänen, dachte Bolitho. Wir sprechen immer von den Dänen, nie vom Feind. Plötzlich sah er ein Boot unten auf dem Wasser näherkommen. Die Brände beleuchteten es gespenstisch. Weiße gekreuzte Brustriemen wurden sichtbar, und jemand rief den Seesoldaten auf englisch zu, ja nicht zu schießen. Dann erhob sich ein Offizier im Heck des Bootes, legte die Hände um den Mund und rief durch den Lärm der Explosionen:»Sir Richard Bolitho! Der Kommandierende Admiral läßt grüßen und bittet Sie zu sich an Bord!»
«Was für ein Zeitpunkt für eine Konferenz!«Bolitho blickte Jenour und Allday an. Dann wandte er sich an Keen.»Ich nehme eines unserer Wachboote. Es muß ja ziemlich dringend sein, wenn er nicht bis morgen früh warten will.»
Sie eilten zur Pforte, unter der das Boot festmachen durfte, und Bolitho sagte im Absteigen:»Sie wissen, was Sie zu tun haben, Val. Wenn Sie angegriffen werden, kappen Sie die Ankertrossen — von den Booten aus, wenn nötig.»
Dann saß er unten im Boot zwischen Jenour und dem Offizier der Wache. Ihm war, als würde er über flüssiges Feuer gerudert. Kleine Stücke verbranntes Holz trieben gegen das Boot, und immer wieder zischte heiße Asche ins Wasser.
Auf dem Flaggschiff begrüßte ihn Admiral Gambier auf seine kühle Art.»Tut mir leid, daß ich Sie zu dieser Stunde herbitten muß. Aber wir sind in einer Zwangslage.»
Jemand nahm Bolitho den Hut ab und reichte ihm dafür ein Glas eiskalten Rheinweins. In der Kajüte des Admirals standen alle Türen offen. Qualm waberte durch den Raum, als nähere sich ein Brander. Offiziere in Blau und Rot standen herum, und Gambier musterte sie mißbilligend.»Die Herren gratulieren sich schon — noch ehe die Dänen sich ergeben haben.»
«Die Dänen «hatte auch Gambier gesagt, nicht» der Feind».
«Wir gehen in die Kajüte meines Kapitäns«, schlug er vor.»Da ist es etwas ruhiger.»
Die Kajüte — ähnlich, aber älter als Keens Kajüte auf der Black Prince — erhellte nur eine einzige Lampe. Vor den Heckfenstern brannte die Stadt wie das Tor zur Hölle.
Gambier wandte sich kurz an einen Fähnrich.»Holen Sie ihn!«Und zu Bolitho:»Gut, daß Sie die Schiffe vom Kap mitgebracht haben. Mein Kapitän ist des Lobes voll darüber.»
Man hörte draußen Schritte, und Gambier sagte leise:»Ich warne Sie, das Gesicht des Mannes ist durch eine Wunde fürchterlich entstellt.»
Bolitho fuhr herum.»James Tyacke!»
«Er hat nicht gesagt, daß er Sie kennt. Komischer Kerl!»
Tyacke trat ein, gebückt wegen der niedrigen Decke; Bolitho ergriff seine Hand und schüttelte sie herzlich.
Wenn Gambier beeindruckt war, zeigte er es nicht.»Berichten Sie Sir Richard, was Sie gesehen haben, Commander.»
Als Tyacke beschrieb, wo und wie er fünf französische Schiffe entdeckt hatte und wie Herricks Konvoi zu ihnen stand, stiegen in Bolitho Wut und Verachtung auf. Man hatte ihm ja nicht glauben wollen.
«Und Sie sind dessen ganz sicher, Commander?«fragte Gambier zum wiederholten Male.
Tyacke trat aus dem Schatten und zeigte einen Augenblick sein zerstörtes Gesicht.»Ein Linienschiff zweiten Ranges, vielleicht sogar noch größer, und ein zweites Linienschiff dahinter. Dazu ein paar weitere Schiffe. Ich hatte keine Zeit, sie lange zu studieren.»
Gambier sagte:»Ich hatte nicht damit gerechnet, daß Konteradmiral Herrick selbst Schutz brauchen könnte. Das war ein Fehler. Ich hätte Ihr Nordseegeschwader auf seiner Station lassen sollen.»
Bolitho unterbrach ihn scharf:»Glauben Sie, daß der Feind den Konvoi schon entdeckt hat?»
Tyacke zuckte die Schultern.»Das bezweifle ich. Aber er wird sie finden, wenn sie Kurs und Geschwindigkeit beibehalten.»
Bolitho wandte sich an den Admiraclass="underline" »Ich bitte um Erlaubnis, mit meinem Geschwader zu ihrer Entlastung auszulaufen, Sir!»
«Unmöglich! Kommt gar nicht in Frage. Die meisten Ihrer Schiffe stehen in den Ostseezugängen. Sie würden zwei Tage brauchen, ehe sie zum Konvoi stoßen.»
«Dann wird der Konvoi vernichtet und sein Begleitschutz auch«, sagte Tyacke bitter.
Der Admiral runzelte die Stirn.»Aber Ihr Flaggschiff können Sie dazu nehmen — und ein zweites. Die Nicator, sie hat neben Ihnen geankert. Das alte Mädchen bricht uns sonst noch auseinander, wenn es hier dauernd schießen muß. «Er unterbrach sich.»Doch wer soll Sie durch den Sund lotsen?»
«Ich kenne mich aus, Sir. Unter Nelson war ich schon mal hier.»
«Ich werde voraussegeln, Sir, falls Sie mir trauen«, warf Tyacke ein.