Bolitho biß die Zähne aufeinander und zwang sich, reglos zu bleiben, während die Undine mehr und mehr vor den Wind ging. Hier und da hieb ein Bootsmannsmaat mit einem Tampen dazwischen oder schubste einen Mann an Brassen oder Fallen.
Mit donnerndem Krachen sprang der Wind voll und stetig in die Segel, das Deck neigte sich und blieb gekrängt, die Rudergasten warfen sich in die Speichen.
Bolitho zwang sich dazu, mit aller Gelassenheit von Midshipman Keen ein Fernrohr entgegenzunehmen, richtete es achteraus und beherrschte seine Mimik eisern, obwohl er vor Aufregung und Erleichterung beinahe zitterte. Das Segelsetzen klappte noch sehr schlecht; die Plazierung der wenigen erfahrenen Matrosen war noch sehr verbesserungswürdig; aber sie waren klar von der Küste!
Am Portsmouth Point standen tatsächlich ein paar Menschen und beobachteten, wie die Undine über Stag ging; und da war auch das Verdeck einer glänzenden Equipage zu sehen, gerade unterhalb der Mauer: vielleicht Mrs. Armitage, die dem Schiff nachsah, das ihren Sohn entführte.
Heiser meldete der Steuermann:»Westsüdwest liegt an, Sir!»
Bolitho wandte sich um und sah gerade noch, wie der Alte mit widerwilliger Anerkennung nickte.
«Danke, Mr. Mudge. Wir werden gleich noch Fock- und Großsegel setzen.»
Er ging zum Vorschiff, wo Herrick noch an der Reling stand, schräg vorgeneigt, um die Krängung auszugleichen. Das Durcheinander war erst zum Teil beseitigt; die Männer stolperten über das noch herumliegende Tauwerk wie Überlebende einer Schlacht.
Herrick blickte ihn melancholisch an.»Es war furchtbar, Sir!»
«Ganz meine Meinung, Mr. Herrick. «Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.»Aber es wird schon besser werden, wie?»
Am späten Nachmittag war die Undine klar von der Insel Wight und schon ein ganzes Stück im Ärmelkanal.
Abends konnte man von Land aus nur noch ihre gerefften Royalsegel sehen, und wenig später waren auch die verschwunden.
III Gemischte Gesellschaft
Am Morgen des vierzehnten Tages saß Bolitho in seiner Kajüte vor einem Becher Kaffee und grübelte zum soundsovielten Male darüber nach, was er bisher erreicht hatte.
Am Vorabend hatten sie den runden Buckel der Insel Teneriffa gesichtet, der sich wie eine Wolkenbank am Horizont abzeichnete. Er hatte sich entschlossen, beizudrehen. In der Nacht die Küste anzulaufen, war ein Risiko, das er lieber vermeiden wollte. Vierzehn Tage — sie kamen ihm wie eine Ewigkeit vor. Die meiste Zeit hatten sie sich mit schlechtem Wetter herumschlagen müssen. Er blätterte in seinem privaten Logbuch und überflog die vielen deprimierenden Eintragungen: Gegenwind; gelegentlich starker Sturm; ständig mußten Segel gekürzt oder gerefft werden, mußten sie Stürme abreiten. Nur die gefürchtete Biskaya hatte sich ihnen freundlich erwiesen, und das war wenigstens ein Trost. Andernfalls wäre fast die halbe Mannschaft zu seekrank gewesen, um aufzuentern; und von den Gesunden hätte die Hälfte zu viel Angst gehabt, um auf den wie betrunken schwankenden Rahen herumzuturnen, wenn die Deckoffiziere und Maaten nicht hart dazwischenschlugen — nein, bei schlechtem Wetter wäre die Undine nicht über die Biskaya hinausgekommen.
Bolitho hatte durchaus Verständnis dafür, wie dem Großteil der Mannschaft zumute war. Der heulende Wind, die Enge im knarrenden, rollenden Rumpf, wo sie ihr Essen (wenn sie überhaupt etwas herunterwürgen konnten) ein paar Minuten später in die Bilge erbrachen. Diese Verhältnisse bewirkten eine Art Erstarrung wie bei einem Mann, der unbemerkt über Bord gefallen ist. Eine Zeitlang schwimmt er tapfer, aber ohne zu wissen, wohin; dann ist er so erschöpft und verwirrt, daß ihm alles gleichgültig wird — das ist der Punkt, an dem sich sein Schicksal entscheidet.
Bolitho erkannte alle diese Zeichen wieder und wußte, daß sie für ihn eine ähnliche Herausforderung bedeuteten: gab er seinem Verständnis, seinem Mitgefühl nach, hörte er sich von seinen überlasteten Leutnants und Deckoffizieren zu viele Entschuldigungen an, würde er das Schiff nie in den Griff bekommen, nie seine Leute in Schwung bringen, wenn es wirklich hart auf hart ging. Er wußte, daß viele ihn heimlich verfluchten und beteten, der Schlag möge ihn treffen oder er möge nachts über Bord fallen. Er sah ihre finsteren Blicke, spürte ihren Widerstand, wenn er an ihnen vorbeiging, zu jeder Stunde des Tages. Segeldrill immer wieder und wieder, stets nach Herricks Uhr gestoppt; und mit voller Absicht ließ er alle Beteiligten merken, daß er genau beobachtete, ob sie sich auch wirklich Mühe gaben. Er ließ die Mannschaften der drei Masten beim Segelsetzen oder Reffen miteinander in Wettbewerb treten, bis sie schließlich mit äußerster Anstrengung arbeiteten — nicht in sportlichem Geist, sondern in keuchender Wut und unter lautlosen Flüchen.
Jetzt, über seinem Becher Kaffee, empfand er widerwillige Befriedigung über das, was sie gemeinsam geleistet hatten, sei es aus freiem Willen oder unter hartem Zwang. Wenn die Undine an diesem Tag in Santa Cruz vor Anker ging, würden die kritischen Spanier eine Demonstration disziplinierter Seemannschaft zu sehen bekommen — der gleichen, die sie in Kriegszeiten kennen und fürchten gelernt hatten.
So wie er seine Mannschaft bis an die Grenze ihrer Kräfte getrieben hatte, hatte er auch sich selbst nicht geschont. Und das spürte er trotz der einladenden Strahlen der Morgensonne, die über die Decksaufbauten spielte. Fast bei jeder Wache, ob Tag oder Nacht, war er eine Zeitlang an Deck gewesen und hatte sich um den Dienst gekümmert. Leutnant Davy besaß wenig Erfahrung in der Schiffsführung bei widrigem Wetter; aber mit der Zeit würde er es schon lernen. Soames verlor zu leicht die Geduld, wenn etwas nicht gleich klappte. Dann schubste er den unglücklichen Matrosen beiseite, brüllte:»Ihr habt ja keine Ahnung! Lieber mach' ich es selbst!«und riß ihm die Arbeit aus den Händen. Nur Herrick war imstande, den Sturm der endlosen Forderungen Bolithos abzuwettern; und diesem tat es leid, daß ausgerechnet sein Freund die Hauptlast zu tragen hatte. Es war leicht, einen Matrosen zu bestrafen, wenn in Wirklichkeit der Offizier den Kopf verloren oder in einer scharfen Brise nicht das richtige Wort gefunden hatte. Herrick stand wie ein Fels zwischen Offiziersmesse und Logis, zwischen Kapitän und Mannschaft.
Zweimal mußte sogar Prügelstrafe verhängt werden — Bolitho hatte gehofft, dergleichen vermeiden zu können. Beide Fälle hatten ihre Ursache im privaten Bereich des Mannschaftslogis. Beim erstenmal hatte sich ein Dieb an den geringen Ersparnissen eines Matrosen vergriffen. Der zweite Fall war weit ernster: eine wilde Messerstecherei, bei der einem Mann das Gesicht vom Ohr bis zum Kinn aufgeschlitzt worden war. Bolitho wußte nicht einmal, ob es sich um eine wirkliche Feindschaft handelte oder ob bei der allgemeinen Gereiztheit nur ein rascher Funken Mißmut den Brand entzündet hatte. In einem Schiff mit gutem Ausbildungsstand hätte er in beiden Fällen kaum von der Sache gehört. Dann hätte nämlich die Justiz des Mannschaftslogis wesentlich drastischer und rascher funktioniert, wenn ihre private Welt von einem Dieb oder Messerstecher bedroht wurde. Bolitho verabscheute Kapitäne, die ihre Disziplinargewalt gebrauchten, ohne zu bedenken, wie sie einen Menschen zerbrechen konnte; die brutale körperliche Strafen verhängten, ohne dem Übel an die Wurzel zu gehen und so Bestrafungen zu vermeiden, Herrick wußte, wie Bolitho darüber dachte. Als sie sich kennenlernten, war Herrick der jüngste Leutnant auf dem Schiff gewesen, dessen vorheriger Kapitän so streng, so gedankenlos brutal gestraft hatte, daß der Boden für eine Meuterei aufs Beste bereitet war. Herrick wußte in solchen Dingen besser Bescheid als die meisten Offiziere, und doch hatte er es auf sich genommen, persönlich bei Bolitho gegen den Vollzug der Prügelstrafe zu intervenieren. Das war ihre erste wirkliche Meinungsverschiedenheit; und Bolitho hatte mit großem Bedauern an Herricks Augen gesehen, wie sehr diesen die Ablehnung verletzte.