Herrick verzog keine Miene.»Gewiß, Sir.»
Der Morgen graute bereits, als Bolitho müde in seine Koje sank. Der Kopf rauchte ihm noch von der Bewirtung des Capitan Triarte und seiner Offiziere. Später hatten sie ihn überredet, mit auf die Nervion zu kommen; und Triarte hatte es sich nicht nehmen lassen, sein geräumiges Schiff mit der beengten Undine zu vergleichen. Aber es hatte bei den Raymonds nichts genützt. Nun war wieder Ruhe an Bord, und Bolitho versuchte, sich Mrs. Raymond vorzustellen, wie sie hinter der neugezogenen Wand schlummerte. Er hatte sie in der Kajüte beobachtet, als die spanischen Offiziere an Bord waren. Hoheitsvoll, aber charmant; und aus den Gefühlen, die sie für ihren Gatten hegte, machte sie durchaus kein Hehl. Eine gefährliche Frau, wenn man sie zur Feindin hatte, dachte er.
Wie still das Schiff war. Vielleicht waren alle, wie er selbst, zu müde, um sich auch nur zu rühren. Die Geschütze der Kapitänskajüte waren mit großen Schwierigkeiten unter Deck gefiert worden. Um die richtige Trimmung wieder herzustellen, mußte Proviant und schweres Geschirr nach achtern geschafft werden. Nun wirkte die Kajüte ohne die Geschütze viel größer, aber er würde nicht viel davon haben. Er grub seinen schmerzenden Kopf ins Kissen, und das war so anstrengend, daß ihm der Schweiß ausbrach. Eins war sicher: kaum jemals hatte er so viel Ursache gehabt, eine Reise zu beschleunigen.
Bei Tageslicht war er wach und aus der Koje; es drängte ihn, seine Arbeit zu erledigen, ehe die Hitze das Denken erschwerte. Am späten Nachmittag, unter den fernen Klängen einer Militärkapelle und dem Geschrei der Menge, die sich am Ufer zusammengefunden hatte, lichtete die Undine Anker. Hinter der Nervion, deren mächtiges Vormarssegel ein prachtvolles Kreuz in Scharlach und Gold aufwies, kam sie klar von der Reede und setzte dann mehr Segel, um vor den Wind zu gehen.
Ein paar kleine Schiffe gaben ihnen das Geleit, aber die schnellen Fregatten ließen sie bald hinter sich. Als es Nacht wurde, hatten sie das Meer für sich allein, und nur die Sterne leisteten ihnen Gesellschaft.
IV Tod eines Schiffes
Ezekiel Mudge, Segelmeister und Steuermann der Undine, saß gemütlich in einem von Bolithos Sesseln und studierte die auf dem Tisch ausgebreitete Karte. Ohne seinen Hut wirkte er sogar noch älter; aber seine Stimme klang frisch und selbstsicher.»Der Wind wird in ein, zwei Tagen auffrischen, Sir. Denken Sie an meine Worte. «Er tippte mit seinem eigenen Messingzirkel, den er gerade aus den Tiefen seiner Tasche gefischt hatte, auf die Karte.»Im Moment kommt uns der Nordostpassat gerade recht, und mit ein bißchen Glück sind wir in einer Woche vor den Kapverdischen Inseln. «Er lehnte sich zurück und wartete gespannt darauf, was Bolitho wohl dazu sagen würde.
«Das ist auch meine Meinung. «Bolitho trat ans Heckfenster und stützte die Hände auf das Sims. Das Holz war brandheiß, und hinter dem kurzen, schäumenden Kielwasser der Fregatte lag die See in blendendem Glanz. Sein Hemd stand bis zum Gürtel offen, juckend rann ihm der Schweiß zwischen den Schultern hinab, und seine Kehle war staubtrocken.
Es war fast Mittag; die Midshipmen mußten sich gleich auf dem Achterdeck bei Herrick melden, um den Sonnenstand für das Besteck zu nehmen. Nur ein paar Stunden fehlten, dann waren sie eine volle Woche unterwegs. Jeden Tag hatte die Sonne sie ausgedörrt, und die ständige leichte Brise hatte keine ausreichende Kühlung bringen können. Jetzt hatte der Wind leicht aufgefrischt, die Undine segelte über Backbordbug und glitt geistergleich dahin, alle Segel zogen ausreichend. Aber trotzdem empfand Bolitho nur geringe Befriedigung. Denn die Undine hatte ihren ersten Mann verloren, einen jungen Matrosen, der am Vortag kurz vor Einbruch der Dunkelheit über Bord gegangen war. Bolitho hatte dem spanischen Kapitän entsprechend signalisiert und die Suche nach dem Unglücklichen begonnen. Der Mann hatte hoch oben auf der Großmarsrah gearbeitet, Bolitho hatte ihn noch gesehen: wie eine Bronzestatue hob er sich gegen die untergehende Sonne ab. Aber er war zu selbstsicher gewesen, auch wohl zu leichtsinnig in den letzten entscheidenden Sekunden, als er seine Stellung wechselte. Ein Schrei im Fallen, und dann war er mit dem Kopf voran aufs Wasser geprallt, fast auf der Höhe des Großmastes; wild mit den Armen rudernd, versuchte er, dem Schiff zu folgen, Davy hatte gesagt, der Matrose sei ein guter Schwimmer; so konnte man hoffen, ihn aufzufinden. Sie hatten zwei Boote ausgesetzt und den Großteil der Nacht nach ihm gesucht, jedoch vergeblich. Bei Morgendämmerung lagen sie wieder auf Kurs, aber Bolitho mußte zu seinem Ärger feststellen, daß die Nervion keineswegs Segel gekürzt hatte oder sonstwie in der Nähe geblieben war; erst vor einer halben Stunde hatte der Ausguck ihre Bramsegel wieder gesichtet.
Der Verlust des Matrosen bestärkte Bolitho in seinem Bemühen, die Mannschaft in Form zu bringen. Er hatte gesehen, wie die spanischen Offiziere seine ersten Versuche beim Geschützexerzieren durch ihre Ferngläser beobachteten und sich vor Schadenfreude auf die Schenkel schlugen, wenn etwas nicht klappte — und das war oft der Fall. Für sie schien diese Fahrt eine Art Vergnügungsreise zu sein. Sogar Raymond hatte eine dumme Bemerkung gemacht:»Was plagen Sie sich mit Geschützexerzieren ab, Captain? Ich verstehe ja nicht viel von solchen Dingen — aber Ihre Leute finden das doch sicher höchst lästig bei dieser verdammten Hitze?»
Er hatte entgegnet:»Das ist meine Pflicht, Mr. Raymond. Möglich, daß wir auf dieser Reise die Geschütze überhaupt nicht brauchen — aber man kann nie wissen.»
Mrs. Raymond hatte sich hochmütig von allen ferngehalten; tagsüber saß sie meistens unter einem kleinen Sonnensegel, das Herrick für sie und die Zofe an der achteren Reling hatte anschlagen lassen. Wenn sie zusammenkamen, was vorwiegend bei den Mahlzeiten der Fall war, sprach sie nur wenig, und dann über private Dinge, die Bolitho kaum begriff. Es machte ihr anscheinend Spaß, ihren Mann zu kritisieren, er sei zu saumselig, es fehle ihm im entscheidenden Augenblick an Entschlossenheit. Einmal hatte sie ihm wütend vorgeworfen:»Du läßt dich dauernd beiseite schieben, James! Ich kann mich ja in London überhaupt nicht mehr sehen lassen, wenn du ständig Demütigungen einsteckst! Margarets Mann wurde neulich geadelt, und er hat fünf Dienstjahre weniger als du!«So ging es weiter.
Als Bolitho sich jetzt nach Mudge umdrehte, überlegte er, was dieser und die anderen wohl von ihrem Kommandanten denken mochten. Daß er Offiziere und Mannschaft zu hart herannahm, ohne Sinn und Zweck? Daß er sie mit stupidem Geschützexerzieren schikanierte, während auf dem Spanier die Männer von der Freiwache herumlungerten, schliefen oder Wein tranken wie Passagiere? Aber unvermittelt sagte Mudge, als hätte er seine Gedanken gelesen:»Lassen Sie die Leute ruhig reden, Sir. Sie sind noch jung, aber Sie haben den richtigen Instinkt für das Notwendige — wenn Sie mir die Freiheit gestatten. «Er zupfte an seiner großen Nase.»Ich habe manchen Käpt'n mit langem Gesicht dastehen sehen, weil er nicht bereit war, wenn's darauf ankam. «Er lachte in sich hinein, daß die kleinen Augen in den Falten und Runzeln seines Gesichts fast verschwanden.»Und Sie wissen ja — wenn was schiefgeht, hat's keinen Zweck, die Fäuste zu schütteln und allen anderen die Schuld zu geben. «Damit zerrte er eine kohlrübengroße Uhr aus einer Innentasche.»Ich muß hinauf an Deck, wenn Sie mich nicht mehr brauchen. Mr. Herrick möchte, daß ich dabei bin, wenn die Bestecks verglichen werden. «Das schien ihn zu amüsieren.»Wie gesagt, Sir, Ihr Standpunkt ist ganz richtig. Es ist durchaus nicht nötig, daß die Mannschaft den Kapitän liebt, aber bei Gott, Sir, sie muß Vertrauen zu ihm haben. «Er stapfte aus der Kajüte, daß die Decksplanken unter seinem Schritt knarrten.