Er zog den Degen und hob ihn über den Kopf.
«Schaut auf ihn, Jungs!«Er konnte die Gesichter, die sich ihm zuwandten, nur undeutlich unterscheiden, sie schwammen wie im Nebel.»Mr. Herrick zeigt uns den Weg!»
«Er ist aufgelaufen!«Davy war beinahe außer sich.»In voller Fahrt aufgelaufen!»
Der Schoner hatte sich bei der harten Grundberührung ein Stück aus dem Wasser gehoben und knallte jetzt mit dem ganzen Vorschiff zwischen die Felsbrocken und Klippen. Genau wie er es ihnen mit Conways silbernen Tintenfässern vorgespielt hatte.
Selbst ohne Glas war zu sehen, daß ein paar kleine Boote sich von der Pier lösten und auf den schwer havarierten Schoner zuhielten, der jetzt entmastet dalag und wie eine uralte Hulk von Brechern überspült wurde. Gelegentlich zeigte ein Aufblitzen an, daß Scharfschützen in das Wrack feuerten, und Bolitho betete, daß die Lunte noch brennen und Herrick nicht lebend in Gefangenschaft geraten möge.
Die Explosion kam so plötzlich, so farbensprühend und überwältigend in ihrer Größe, daß man kaum hinsehen, geschweige denn ihre Ausmaße schätzen konnte. Eine breite Wand orangeroter Flammen wuchs vor den Felsen auf und breitete sich nach rechts und links mit mächtigen Feuerschwingen aus, verschlang alle Boote im Umkreis, versengte Menschen und Waffen und verbrannte sie zu Asche.
Und dann folgte das Getöse. Der Schall erreichte die Fregatte mit einem beständig ansteigenden Brüllen, bis die Männer sich die Hände auf die Ohren preßten und schreckensstumm die Flutwelle anstarrten, die unter den Rumpf der Fregatte rollte, sie mühelos hochhob und sich dann achteraus in den letzten Schatten der Nacht verlor.
Endlich verklang der Donner, das Feuer erstarb und hinterließ gelbrot glimmende Punkte — die Überreste von verbranntem Gebüsch in der Steilwand.
Das Geräusch von Meer und Wind kehrte zurück, von Rigg und Leinwand; hier und da sprach jemand fast im Flüsterton, als hätten sie soeben erlebt, daß Gott persönlich dazwischenfuhr.
Mit harter Stimme befahl Bolitho:»Fock aufgeien, Mr. Davy!«Er ging zur Reling; jeder Schritt verursachte ihm körperlichen Schmerz.»Mr. Shellabeer, alle Boote bis auf die Barkasse kappen!«Er mußte weiterreden, seine Leute wieder in Bewegung bringen, diesen furchtbaren Scheiterhaufen aus seinen Gedanken verbannen.
Er merkte, daß Soames ihn erwartungsvoll ansah, und rief:»Laden und ausrennen!»
Seine Worte gingen fast unter im Donnern der rebellierenden Leinwand, als das mächtige Focksegel an seine Rah gegeit wurde. Vorhang, dachte er stumpf, Vorhang auf zum letzten Akt. Damit auch alles gut zu sehen war.
Er hörte die Backbord-Stückpforten beim Aufgehen quietschen; dann warfen sich auf Soames' Kommandogebell die Geschützbedienungen in die Züge, die schwarzen Mündungen schoben sich immer schneller rumpelnd ans Tageslicht und standen drohend über dem milchigen Wasser.
Davy faßte an den Hut.»Alle Geschütze ausgerannt, Sir!»
Sein Gesicht war hager vor Anspannung.
«Danke.»
Bolitho behielt den dunklen Kegel quer vor der Durchfahrt im Auge. Kein weiteres Mündungsfeuer blitzte aus diesen mächtigen Rohren. Es hatte geklappt. Selbst wenn die Besatzung der Festung noch imstande war, einige Geschütze von der Landseite herüber zu schaffen, geschah das doch zu spät, um die Undine noch zu treffen, die jetzt in den treibenden Rauchvorhang stieß.
Er beschattete die Augen und starrte auf den Fetzen Land, auf jene dunklen Striche — die Masten und Rahen der ersten Fregatte. Bald. Sehr bald. Er faßte den Degen so fest, daß seine
Knöchel weiß hervortraten. Tief innen fühlte er Schmerz und Zorn, eine wachsende, blinde Wut, die nur Rache für Herrick lindern konnte.
Und dann kehrte das Sonnenlicht zurück, wurde mit jeder Minute stärker. Bolitho enterte ein Stück in die Luvwanten auf, unbekümmert um Wind und Sprühwasser, das auf seinem Rock hängenblieb wie perlweiße Schmuckspangen. Vor der Undine lief ihr langer Schatten über das kabblige Wasser, sein eigener Schatten war dabei deutlich zu unterscheiden wie ein Detail in einem Webmuster.
Er blickte zu Mudge hinunter.»Klar zum Kurswechsel, sobald wir die Landspitze passiert haben!»
Er wartete, bis die Brassen bemannt waren, wo nun die Sonne die bloßen Rücken beschien, eine Tätowierung oder einen besonders langen Zopf hervorhebend. Dann sprang er an Deck und zerrte an seinem Halstuch, als würge es ihn.
«Marineinfanteristen, Achtung!«Bellairs hatte seinen eleganten Schleppsäbel gezogen und musterte seine Männer, die sich auf den dichtgepackten Hängematten eine Auflage für ihre langen Musketen suchten.
Neben jeder offenen Stückpforte kauerte ein Geschützführer und hatte seine Abzugsleine schon fast straffgespannt, während er darauf lauerte, daß er ein Ziel vors Rohr bekam.
Das Stückchen Land sprang ins Blickfeld, als ob es das Schiff berühren wollte. Die Bugwelle kräuselte das Wasser zwischen ein paar zerklüfteten Felsen, die Bolitho von seinem Besuch her noch in Erinnerung hatte.
«Klar bei Brassen!»
Mudge brüllte:»Ruder nach Backbord! Lebhaft!»
Wie ein Vollblutpferd warf sich die Undine unter dem Druck von Segel und Ruder herum; die Rahen kamen gleichzeitig über, als sie ins Sonnenlicht drehte.
«Ruder Nordost zu Ost!«Mudge warf sich mit der ganzen Kraft seines ungefügen Körpers mit in die Speichen.»Stützen, ihr Mistkerle!»
Ein paarmal krachte es dumpf, und eine Kugel flog mit einem Knall wie von einer Peitsche durch das Vormarssegel.
Bolitho nahm kaum Notiz davon. Er starrte die vor Anker liegende Fregatte an, das Gewimmel auf ihren Rahen und an Deck, die Vorbereitungen zum Ankerlichten.
Davy war ebenso enttäuscht wie er.»Das ist ja gar nicht die Argus, Sir!»
Bolitho nickte. Es war die andere Fregatte. Die, welche von ihrer Besatzung aufgegeben worden war. Er kniff die Augen zusammen und versuchte, jede einzelne Bewegung zu beobachten, um sich vorzustellen, was geschehen war.
Le Chaumareys war weg. Zufall? Oder hatte er wieder einmal seine Überlegenheit bewiesen, seine Gerissenheit, die noch nie übertrumpft worden war?
Wild schwang er die alte Klinge über seinem Haupt und brüllte:»Steuerbordbatterie! Auf das erkannte Ziel!«Blitzend fuhr der Degen nieder. »Feuer!»
Brüllend brach die Breitseite aus der Undine, Geschütz nach Geschütz erfaßte sein Ziel. Soames tobte an jedem rücklaufenden Verschlußblock vorbei, brüllte die Männer an und beobachtete durch die Stückpforten die Wirkung des Beschusses. Rauch drang aus den Pforten und rollte auf das gegnerische Schiff zu.
Hier und da blitzte drüben ein erwiderndes Geschütz auf; mindestens eine Kugel schmetterte in die Bordwand der Undine, Bolitho spürte die Decksplanken unter seinen Füßen erbeben.
Unter Flüchen und Gebrüll ihrer Bedienungen mischten sich jetzt auch die Achterdecksgeschütze ein. Die plumpen Sechspfünder stießen auf ihren Schienen innenbords, mit brennenden Augen wischten die Mannschaften die Rohre aus und rammten in Sekundenschnelle die neuen Ladungen hinein.
Hoch über ihren Köpfen, rechts und links geräuschvoll ins Wasser platschend, erreichte sie eine Salve kleinerer Kaliber, ob von der Festung oder der Fregatte, das wußte Bolitho nicht, und es war ihm auch gleich. Lebhaften Schrittes überquerte er das Deck und sah dabei nur die kahlgeschossenen Masten des gegnerischen Schiffes, den bunten Wimpel mit dem aufgebäumten Wappentier und die wachsende Qualmwolke der unaufhörlich einschlagenden Salven der Undine.
Einmal überlief ihn ein Schauder, als er ein verkohltes Treibgut achteraus vorbeischaukeln sah: einen kopflosen Leichnam, der sich im Kielwasser der Undine drehte, rote Blutfäden gleich obszönen Algen hinter sich herziehend.