Er ging zur Heckreling, um die Fregatte zu beobachten, deren Kampanje jetzt in hellen Flammen stand: immerhin ein englisches Schiff — aber so war es wohl besser.
Er drehte sich um und sagte schroff:»Mr. Davy, ich brauche einen genauen Schadensbericht. «Er sah an Davys Augen, daß die Trunkenheit des Kampfes bereits von ihm gewichen war.»Und die Verlustliste!»
Die Rahen schwangen herum, die Segel, durchlöchert und rauchgeschwärzt, füllten sich in der Brise. Die Durchfahrt war anscheinend breit genug: sie hatten eine Kabellänge Raum an Steuerbord, etwas mehr an Backbord. Er hatte schon Schwierigeres geschafft.
«Boot voraus, Sir!«Keen stand mit dem Fernrohr in den Wanten.»Mit bloß zwei Mann an Bord!»
Mudge rief:»Ich halte sie stetig, Sir. Wir steuern beinahe wieder Nordost, aber ich weiß nicht… »
Der Rest seiner Worte ging in Keens Kreischen unter:»Sir! Sir!«Ungläubig starrte er auf Bolitho herab.
«Nehmen Sie sich zusammen, Mr. Keen!«blaffte Davy.
Aber Keen schien ihn nicht zu hören.»Das ist Mr. Herrick!»
Bolitho sprang neben ihn in die Wanten. Das Boot war nur ein Wrack, und die hagere Gestalt, die jetzt einen Fetzen Tuch überm Kopf schwenkte, sah wie eine Vogelscheuche aus. Halb im Wasser, lag auf dem Boden des vollgeschlagenen Bootes tatsächlich Herrick.
Bolithos Hand mit dem Teleskop zitterte. Er sah jetzt Herricks Gesicht, aschgrau unter Verbänden. Dann öffneten sich seine Augen, denn der andere Mann schien ihm die Neuigkeit zuzurufen — es kam Bolitho vor, als verstünde er jedes
Wort.
Er befahclass="underline" »Weitergeben an Bootsmann! Er soll das Boot mit dem Draggen längsseits holen. «Er faßte den Midshipman am Arm.»Und sagen Sie ihm, er soll sich Mühe geben, sonst… Eine zweite Chance bekommt er nicht!»
Allday war unter Deck gegangen, um irgend etwas zu holen. Jetzt war er wieder da und sah sich erstaunt um, bis Bolitho gelassen sagte:»Der Erste Leutnant kommt an Bord. Gehen Sie nach vorn, und heißen Sie ihn in meinem Namen willkommen,
ja?»
Als die Fregatte einen flachen Landbuckel passierte, kam die Sonne hervor, um sie zu grüßen, ihnen die schmerzenden Glieder zu wärmen und den Schock der überstandenen Schlacht ein wenig zu lindern. Das Krachen einer dumpfen Explosion tönte von der Hauptdurchfahrt herüber, und noch mehr Rauch stieg über dem nächstliegenden Land empor: er verkündete ihnen den Wind, der sie auf dem offenen Meer erwartete, und die endgültige Vernichtung der feindlichen Fregatte. Aber ob Muljadi an Bord gewesen war, das wußte Bolitho nicht, und der entscheidende Kampf stand ihnen noch bevor.
Er hörte Rufe vom Vorschiff und dann ein Hurra, als einige Matrosen in das sinkende Boot kletterten, um Herrick und seinen Gefährten an Bord zu holen.
Nun, dachte Bolitho, was uns auch hinter jenen grünen Hügeln erwartet — Sieg oder Niederlage — , wir sind jedenfalls wieder zusammen.
XVIII Im Namen des Köni gs
«Zwei Strich Backbord!»
Bolitho versuchte, an Deck auf und ab zu gehen, aber er konnte seiner Nervosität nicht Herr werden. Noch waren die Spuren der Schlacht an Bord nicht beseitigt. Vor einigen Stunden waren sie in die östliche Durchfahrt eingebogen; unter einem Minimum an Leinwand tasteten sie sich zum offenen Meer; zwei Mann hingen im Wasserstag und loteten ständig.
Seit einer Stunde antwortete er auf Fragen, hörte sich Berichte und Meldungen an: zehn Tote, fünfzehn Verwundete, die Hälfte davon schwerverwundet. Eine ziemlich kleine Verlustliste in
Anbetracht dessen, was sie geleistet hatten; aber das tröstete ihn wenig, wenn er die Reihe der an Deck liegenden vernähten Hängematten ansah — ein nicht ungewohnter Anblick — , oder wenn wilde Schmerzensschreie aus der Hauptluke gellten.
Wenn nur Allday endlich kommen und ihm berichten würde, was mit Herrick war! Er hatte den überlebenden Matrosen schon befragt, es war Lincoln mit der grotesken Narbe im Gesicht, durch die er aussah, als grinse er ständig.
Bolitho hatte bemerkt, daß Lincoln alles noch einmal durchlebte, als er stotternd berichtete; er schien sich gar nicht bewußt zu sein, daß sein Kapitän und die Offiziere um ihn herumstanden — ja, er schien noch gar nicht richtig begriffen zu haben, daß er tatsächlich lebte.
Es war fast so geschehen, wie Bolitho es sich gedacht hatte: Herrick war entschlossen, die Batterie zu zerstören und seinen Schoner dort auf Grund zu setzen — um jeden Preis, selbst den des eigenen Lebens. Im letzten Moment, als die Lunte bereits glimmte und das Fahrzeug vom Steilhang her beschossen wurde, hatte Herrick ein vom Großmast fallender Block bewußtlos geschlagen.»Und da«, flüsterte der kleine Matrose,»kommt Mr. Pigsliver kalt wie 'ne Hundeschnauze und sagt:»Ab mit euch ins Boot, ich habe 'ne alte Rechnung zu begleichem — aber was er damit meint, sagt er nicht. Da waren wir nur noch drei Mann. Also, ich und Jethro fieren Mr. Herrick ins Dingi, aber der andere, der kleine Segelmacher, sagt, er bleibt beim Don. «An dieser Stelle hatte Lincoln so gezittert, daß er zunächst schwieg.»Wir also nix wie ab«, fuhr er dann fort.»Und da geht der Schoner auch schon hoch, und den armen Jethro haut's über Bord. Ich hab' gepullt wie verrückt und dabei gebetet, daß Mr. Herrick wieder zu sich kommt und mir sagt, was ich tun soll. «Vor lautlosem Schluchzen konnte er eine Weile nicht weitersprechen.»Dann seh' ich hoch — und da is' sie in Lebensgröße, die alte Undine. Ich schüttel' Mr. Herrick und rufe:»Hallo, wachen Sie auf, das Schiff kommt uns holen!«Und er — also, er guckt mich bloß an und meint:»Na und? Was hast du denn gedacht?»«
Leise hatte Bolitho gesagt:»Danke, Lincoln. Das sollst du nicht umsonst getan haben.»
«Und Sie werden auch nicht vergessen, in Ihren Bericht das über Mr. Pigsliver zu schreiben, Sir? Ich — ich meine, Sir, er mag ja 'n Don sein, aber…«Und dann war Lincoln völlig zusammengebrochen.
Jetzt, als Bolitho ruhelos an den Sechspfündern entlangging, wo die Geschützführer im Sonnenschein knieten, Zubehör durchsahen, Leinen und Blöcke prüften, die Oberkörper noch von Ruß und getrocknetem Blut befleckt, da versprach er sich: Nein, ich werde Puigserver nicht vergessen.
«Deck ahoi!»
Geblendet schaute er hoch.»Offenes Wasser voraus, Sir!»
Hinter sich hörte er Schritte und fuhr herum.»Allday, wo, zum Teufel, waren Sie so lange?«Aber es war nicht Allday.
Bolitho lief über das Deck und streckte beide Hände aus, ungeachtet der neugierigen Gesichter rechts und links.»Thomas!«Er ergriff Herricks Hände.»Ich weiß nicht, was ich sagen soll.»
Herrick lächelte schwach.»Ich bin immer noch derselbe,
Sir.»
«Sie sollten unten bleiben, bis… «»Deck ahoi! Segel im Osten!»
Herrick zog die Hände zurück und sagte gelassen:»Ich bin schließlich Erster Leutnant, Sir. «Langsam blickte er sich auf dem Achterdeck um, sah die Splitter, die von Musketenkugeln zerfetzten Hängematten.»Mein Platz ist hier.»
Davy trat herzu und tippte an den Hut.»Wieder klar Schiff zum Gefecht, Sir?»
«Ja.»
Lächelnd sagte Davy zu Herrick:»Anscheinend hatten Sie auch nicht mehr Glück mit dem Schoner als ich. Aber ich bin sehr froh, daß Sie wieder da sind, und das ist die pure Wahrheit.»
Herrick faßte an seinen frischen Kopfverband und zuckte zusammen.»Wenn man mir nicht versichert hätte, daß es anders war, dann würde ich sagen, Puigserver hat mir selber eins über den Schädel gegeben. So sehr war er darauf versessen, die Sache zu Ende zu bringen.»
Er schwieg, die Trommeln wirbelten, die müden Gestalten an Geschützen und Brassen sprangen auf. Der letzte Streifen Land glitt hinter ihnen zurück, und die blaue, von kräftiger Dünung belebte See erstreckte sich endlos bis zur glitzernden Kimm. Backbords voraus, Rumpf und Spieren schwarz gegen das Licht, stand die Argus. Sie schien nur sehr langsame Fahrt zu machen, die Rahen waren vierkantgebraßt, um sie auf konvergierendem Kurs zu halten.