Es klopfte, und der ältere Schaffner trat ein. Er brachte ein Tablett. »Entschuldigen Sie, Monsieur«, sagte der Schaffner Emile, »Sie bekommen Ihr Frühstück viel zu spät. Aber wir hatten doch dieses kleine Problem in Saint-Rapha ë l.«
In allen Farben leuchteten die Blumen in dem kreis runden Beet bei der Auffahrt zum Hotel MAJESTIC . Links auf der großen Terrasse standen viele runde Tische und viele Stühle. Breite Sonnensegel waren herabgelassen. Vor der Terrasse lag ein Swim mingpool aus weißem Marmor. Alte Palmen und blühende Sträucher umgaben ihn. Ein paar Gäste schwammen, andere ruhten rund um den Pool in Liegestühlen. Ein sehr schönes blondes Mädchen in einem schwarzen, engen Badeanzug produzierte sich direkt vor dem Tisch, an dem ich mit Serge Gamma saß. Das sehr schöne Mädchen in dem engen Badeanzug schlug Rad, grätschte die Beine, ließ ihren Körper zur Brücke zurückfallen. Sie war braungebrannt.
Ich hatte das Hotel vor einer Stunde erreicht. Seit einer halben Stunde saß ich neben Serge Gamma. Der Produzent des Films, den ich »ausputzen« soll te, wie das im Jargon der Branche heißt, war über sechzig Jahre alt, klein, dick und grauhaarig. Er trug lächerliche Shorts und ein lächerliches buntes Hemd, auf dem man viele Papageien und Paradiesvögel sehen konnte. Das Hemd hatte er geöffnet. Die Haut seines fetten Körpers war so weiß wie der Marmor des Pools.
»Sie haben große Chancen, Serge«, sagte ich. Er trank verärgert einen Schluck Kamillentee. Er trank stets nur Kamillentee, sonst nichts. Er hatte Magengeschwüre. Er war seit mehr als vierzig Jah ren in der Filmbranche.
»Dämliche Pische«, grunzte Gamma.
»Wunderschönes Mädchen«, sagte ich. Das wunderschöne Mädchen versuchte einen Handstand. Dabei glitten beide Brüste aus dem Ba deanzug. Das Mädchen hatte wunderschöne Brü ste. Als sie wieder stand, verbarg sie die Brüste mit aufreizender Langsamkeit. Sie lächelte uns an. »Will eine Rolle«, sagte Gamma. »Gestern waren drei von der Sorte da, als ich hier saß. Eine Rote, eine Blonde, eine Schwarze. Ich habe keine Rollen zu vergeben. Wenn Sie mir nicht helfen, bin ich bankrott. Das ist ein Sauberuf. Warum habe ich kei nen Puff? Da hätte ich Rollen für alle Pischen. Und keine Sorgen. Ein glücklicher Mensch wäre ich, wenn ich einen Puff hätte. Aber nein, ich muß Filme machen. Mit Genies wie Torrini. Gott verfluche Tor rini!«
»Sie verfluchen ihn, seit ich angekommen bin«, sagte ich. »Das wird langweilig, Serge. Ich denke, wir sind in Eile. Erzählen Sie mir, was passiert ist.« Das sehr schöne Mädchen legte sich vor uns ins Gras und spreizte die Beine. Der Badeanzug war knapp. Das war keine echte Blondine. Na, Gamma erzählte, was passiert war. Er gehörte noch zu den alten, guten Produzenten, die schon fast ausgestor ben sind. Er war ehrenhaft und klug. Er liebte sei nen Beruf. Er wollte künstlerisch hochwertige Filme machen. Darum hatte er Magengeschwüre. Der Film, den er hier drehte, war eine französisch italienische Coproduktion. Das war nichts Seltenes. Italiener und Franzosen arbeiten gerne zusammen. Luigi Torrini war einer der berühmtesten Regisseure Europas. Er hatte ein Dutzend anerkannter Mei sterwerke geschaffen. Er war genial und bösartig. Schon lange gab es niemanden mehr, der ihm zu widersprechen wagte, wenn er seiner Lieblingsbe schäftigung nachging. Seine Lieblingsbeschäftigung war, ein tadelloses Drehbuch, das ein hervorragen der Autor - oft nach einem hervorragenden Roman – verfaßt hatte, während der Dreharbeiten zu ver-ändern, manchmal mehr, manchmal weniger. Diesmal hatte er es so weit verändert, daß sich die Schauspieler - und es waren sehr große darunter - weigerten, weiterzuarbeiten, weil es Torrini gelun gen war, die Handlung absolut unlogisch zu ma chen, und daß die Cutterin mit einem Nervenzusammenbruch in einem nahen Sanatorium lag, weil sie sich in diesem Filmsalat einfach nicht mehr zurechtgefunden hatte. Dabei war strenge Logik die Hauptbedingung bei jenem sozialkriti schen Kriminalfilm, der den Titel »Amok« trug. »Der alte Drecksack hat sich in die ...«, Serge Gamma nannte einen Namen, der in der ganzen Welt bekannt war, »verliebt, der impotente, dämli che Narr. Hals über Kopf. Dauernd fielen ihm neue Szenen für sie ein. Zuerst funktionierte das noch halbwegs; ich ließ mir vom Produktionsleiter täglich abends nach Paris berichten. Dann verlor Torrini völlig den Verstand und änderte derart verrückt, daß die ...« er, nannte den Namen wieder, »jetzt die psychopathische Sado-Maso-Karikatur einer Mörde rin ist. Sie soll aber die große Liebende sein. Ich sage Ihnen, Roger, ich bin pleite, wenn Sie mir nicht helfen können. Sie sind der einzige, der es vielleicht kann. Das wußte ich sofort, als ich vor vier Tagen heruntergekommen war und die rushes angesehen hatte.«
Rushes sind kurze Szenenmuster einer Kame raeinstellung. Aus sehr vielen rushes wird dann ein Film montiert. Torrini hatte »Amok« unmontierbar gemacht. Ich kannte die Cutterin. Lillian Lang hieß sie, eine der besten Schnittmeisterinnen, die es in Frankreich gab. Jetzt lag sie, vollgestopft mit Seda tiven, in diesem Sanatorium und schlief. Das wun derschöne Mädchen vor uns drehte sich auf den Bauch. Es zeigte uns einen wunderschönen Hin tern. Wirklich, einen Prachthintern.
»Na?« fragte ich.
»Hören Sie auf, verflucht, Roger!« sagte Gamma und trank wieder einen Schluck Kamillentee. »Und wo ist der Meister?« fragte ich.
»In Rom. Püh-beleidigt abgeflogen. Arbeitet nicht weiter, wenn man ihm nicht jede Freiheit läßt.« »Fein«, sagte ich.
»Das ist nur heiße Luft«, sagte Gamma. »Er weiß so gut wie ich, was in seinem Vertrag steht. Wenn Sie das Script mit Gottes gütiger Hilfe ausgeputzt haben - ach was, ausgeputzt, Sie müssen sich eine neue Story einfallen lassen, Roger, eine ganz neue Story, von der die Hälfte schon abgedreht ist, mein Gott! Wenn Sie das hinkriegen, dann inszeniert es Torrini exakt bis auf den letzten I-Punkt, sonst kriegt er eine Konventionalstrafe, die ihn ruiniert. Vorläufig bin freilich ich viel näher am Ruin als er. Alles hängt von Ihnen ab, Roger.« Er sah mich mit seinen feuchten Hundeaugen an.
»Nicht verzagen, Royan fragen«, sagte ich. »Vor fünf Jahren, als Jacques Couton da in der Umgebung von Saint-Raphaël für Sie ›Dieses ver fluchte Leben‹ drehte, hatten Sie doch das gleiche Theater. Wer hat Ihnen aus der Scheiße geholfen? Ich bin heute durch Saint-Raphaël gefahren. Da ist es mir wieder eingefallen.«
Das wunderschöne Mädchen war aufgestanden und kam mit wiegenden Hüften auf uns zu.
»Verzeihung, haben Sie Feuer?«
Sie hielt eine Zigarette in der Hand.
»Zischen Sie ab!« sagte Gamma grob. »Na los, wird's bald?«
Das wunderschöne Mädchen verschwand beleidigt. »Und ist ›Dieses verfluchte Leben‹ nicht ein Welter folg geworden?« fragte ich.
»Und haben Sie sich nicht für ein paar Tage Arbeit eine goldene Nase verdient?« fragte er. »Das werde ich wieder tun, Serge. Das ist Ihnen doch klar.«
Er ächzte. »Sie haben mich in der Hand, ich weiß. Was verlangen Sie?«
»Kann ich erst sagen, wenn ich überblicke, wie schwer die Arbeit ist, wenn ich die rushes gesehen habe. Eines muß gleich klar sein: Ich werde nicht als Autor oder Mitautor im Vorspann oder in der Re klame genannt! Sie halten den Mund darüber, daß ich hier ausputze - und alle anderen auch. Okay?« »Okay«, brummte er. »Was haben Sie eigentlich gegen eine Namensnennung, Roger? Bei dem, was Sie sonst schreiben ...«
»Eben«, sagte ich. »Jemand schwätzt, sagt, was ich sonst so schreibe. Es könnte den Heftchen schaden. Meine Leser haben einen heiligen Bam mel vor hoher Kunst. Wann kann ich die rushes se hen?«