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Ashe sah ihn entsetzt an.

»Aber Alec, das ist schrecklich. Warum hast du mir das denn nicht gesagt? Schau, warum kommst du nicht und wohnst bei mir? Es ist ja recht eng, aber für dich ist noch Platz, wenn du nichts gegen Feldbetten hast. Du kannst doch nicht auf den Bäumen leben, mein Lieber!«

»Für eine Weile bin ich ja versorgt«, antwortete Leamas und klopfte auf die Tasche, die den Umschlag enthielt. Dann sagte er entschlossen: »Ich bin dabei, mir eine Stellung zu suchen. In einer Woche oder so werde ich eine haben. Dann wird alles in Ordnung sein.«

»Was für eine Stellung?«

»Ich weiß nicht.«

»Aber du darfst dich nicht selbst wegwerfen, Alec! Du sprichst deutsch wie ein Deutscher, ich erinnere mich genau, dass es so ist. Es muß doch eine Menge Möglichkeiten für dich geben.«

»Ich habe ja schon einiges gemacht. Zum Beispiel Enzyklopädien für irgendeine verdammte amerikanische Firma verkauft, in einer Bibliothek Bücher sortiert, in einer stinkenden Leimfabrik Arbeitskontrollkarten gelocht. Was, zum Teufel, soll ich denn machen?« Er schaute nicht zu Ashe, sondern auf den Tisch vor sich, während seine Lippen zitterten.

Ashe ging auf seine Erregung ein. Er lehnte sich über den Tisch, wobei er nachdrücklich, fast triumphierend zu sprechen begann: »Aber Alec, du brauchst Kontakte, siehst du das nicht? Ich weiß, was es heißt, habe ja selbst in der Suppenküche Schlange gestanden. Das ist der Moment, wo du Menschen kennen mußt. Ich weiß nicht, was du in Berlin gemacht hast, ich will es nicht wissen, aber es war keine Stellung, in der du mit den richtigen Leuten zusammenkamst, nicht wahr? Wenn ich nicht vor fünf Jahren in Posen Sam über den Weg gelaufen wäre, stünde mir das Wasser noch immer bis zum Hals. Schau, Alec, komm und bleibe eine Woche oder so bei mir. Wir werden Sam zu uns bitten und vielleicht einen oder zwei Zeitungsleute, die mit uns in Berlin waren, vorausgesetzt, es sind ein paar davon jetzt in London.«

»Aber ich kann nicht schreiben«, sagte Leamas. »Ich könnte nicht eine verdammte Zeile schreiben.«

Ashe legte seine Hand auf Leamas' Arm: »Nun, reg dich nicht auf«, sagte er beschwichtigend. »Wir wollen eines nach dem anderen machen. Wo sind deine Sachen?«

»Meine was?«

»Deine Sachen: Kleider, Gepäck, und was sonst noch alles?«

»Ich habe nichts. Ich habe alles verkauft, mit Ausnahme des Paketes.«

»Welches Paket?«

»Das braune Papierpaket, das du im Park aufgehoben hast. Das ich loswerden wollte.«

Ashe hatte eine Wohnung am Dolphin Square. Sie entsprach genau der Vorstellung, die sich Leamas von ihr gemacht hatte: sie war klein und unpersönlich und mit ein paar hastig zusammengeholten Andenken aus Deutschland garniert, wie etwa Bierkrügen, einer Bauernpfeife und etlichen Nymphenburger Porzellanfiguren von der billigen Sorte.

»Ich verbringe die Wochenenden bei meiner Mutter in Cheltenham«, sagte Ashe. »Ich benütze die Wohnung hier nur an ein paar Tagen der Woche.« Er fügte entschuldigend hinzu: »Sie ist sehr praktisch.« Sie stellten das Feldbett in dem winzigen Wohnzimmer auf. Es war erst halb fünf.

»Wie lange wohnst du schon hier?« fragte Leamas.

»Ein Jahr ungefähr, oder mehr.«

»War sie leicht zu bekommen?«

»Diese Wohnungen kommen und gehen, weißt du. Du läßt deinen Namen registrieren, und eines Tages rufen sie dich an und sagen dir, dass es soweit ist.«

Ashe machte Tee, den Leamas mit der verdrossenen Miene eines Mannes trank, der an Komfort nicht gewöhnt ist. Selbst Ashe schien ein wenig bedrückt. Nach dem Tee sagte er: »Ich muß gehen und ein paar Besorgungen erledigen, ehe die Geschäfte schließen. Nachher werden wir beraten, was man deinetwegen unternehmen kann. Vielleicht werde ich später anrufen. Je eher ihr zwei zusammenkommt, desto besser, glaube ich. Schlaf ein bißchen. Du siehst mitgenommen aus.«

Leamas nickte. »All dies -«, er machte eine verlegene Handbewegung, »es ist verdammt nett von dir.«

Ashe gab ihm einen Klaps auf die Schulter, nahm seinen Armeegummimantel und ging.

Als Leamas überzeugt war, dass Ashe nicht mehr im Hause sein konnte, sorgte er dafür, dass die Wohnungstür nicht zuschnappte, und ging in die Eingangshalle hinunter, wo zwei Telefonkabinen waren. Er wählte die Nummer in Maida und fragte nach der Sekretärin von Mr. Thomas. Sofort sagte eine Mädchenstimme: »Hier Sekretariat von Mr. Thomas.«

»Ich rufe im Namen von Mr. Sam Riever an«, sagte Leamas. »Er hat die Einladung angenommen und hofft, mit Mr. Thomas heute abend persönlich in Verbindung treten zu können.«

»Ich werde das an Mr. Thomas weitergeben. Weiß er, wo er Sie erreichen kann?«

»Dolphin Square«, erwiderte Leamas und gab die Adresse an. »Auf Wiedersehen.«

Nachdem er sich beim Empfangstisch nach verschiedenen Dingen erkundigt hatte, kehrte er in die Wohnung zurück, setzte sich auf das Feldbett und betrachtete seine gefalteten Hände. Nach einer Weile legte er sich hin. Er beschloß, den Rat Ashes zu befolgen und etwas zu ruhen. Als er seine Augen schloß, fiel ihm Liz ein und wie sie neben ihm in der Wohnung in Bayswater gelegen hatte. Verschwommen beschäftigte ihn die Frage, was wohl aus ihr geworden sei.

Er wurde von Ashe aufgeweckt, der bei seiner Rückkehr von einem kleinen, ziemlich dicken Mann mit zurückgekämmtem Haar und zweireihigem Anzug begleitet war. Er sprach mit leichtem, vielleicht deutschem Akzent. Er sagte, sein Name sei Kiever, Sam Kiever.

Sie tranken Gin mit Tonic, wobei Ashe den Hauptteil der Unterhaltung bestritt. Es sei genau wie in den alten Zeiten, sagte er: die Jungens beisammen und die Nacht ihre Domäne. Kiever sagte, er wolle es nicht zu spät werden lassen, denn er habe morgen zu arbeiten. Sie kamen überein, in einem chinesischen Restaurant zu essen, das Ashe kannte. Es lag der Polizeiwache von Limehouse gegenüber, und man mußte seinen eigenen Wein mitbringen.

Seltsamerweise hatte Ashe in der Küche ein paar Flaschen Burgunder, die sie nun im Taxi mitnahmen.

Das Essen war sehr gut, und sie tranken beide Flaschen Wein, so dass Kiever schließlich begann, etwas aus sich herauszugehen: Er komme gerade von einer Reise durch Westdeutschland und Frankreich zurück. Frankreich sei in einem unsagbaren Durcheinander und de Gaulle auf dem besten Weg zu seinem Sturz, und Gott allein wisse, was dann werden solle. Mit hunderttausend demoralisierten algerischen Siedlern im Anrücken sei wohl damit zu rechnen, dass in Frankreich der Faschismus vor der Tür stehe.

»Was ist mit Deutschland?« fragte Ashe, um das Stichwort zu geben.

»Das hängt einfach davon ab, ob es die Yankees halten können.«

Kiever sah Leamas auffordernd an.

»Wie meinen Sie das?« fragte Leamas.

»Wie ich es sage. Mit der einen Hand hat ihnen Dulles eine Außenpolitik gegeben, die ihnen mit der anderen jetzt von Kennedy wieder weggenommen wird. Sie sind gereizt.«

Leamas nickte und sagte: »Typisch Yankee.«

»Alec scheint unsere amerikanischen Vettern nicht zu mögen«, sagte Ashe, indem er sich gleich mit schwerem Geschütz einmischte, aber Kiever murmelte nur: »Wirklich?« Kiever spielte auf lange Sicht, dachte Leamas. Er ließ einen zu sich kommen, wie jemand, der an Pferde gewöhnt war. Er spielte vollendet den Mann, der den Verdacht nicht loswerden kann, dass man ihn gleich um einen Gefallen bitten werde, den er nicht gerne erwies. Nach dem Essen sagte Ashe: »Ich kenne ein Lokal in der Wardour Street - du bist schon dort gewesen, Sam. Es ist recht angenehm dort. Nehmen wir einen Wagen und fahren wir hin.«

»Moment«, sagte Leamas. Etwas in seiner Stimme veranlaßte Ashe, ihn schnell anzusehen. »Verrate mir eines, ja? Wer wird für diese Lustbarkeit zahlen?«

»Ich natürlich«, sagte Ashe schnell. »Sam und ich.«

»Habt ihr das ausgemacht?«

»Nein.«

»Weil ich kein Geld habe, verdammt! Du weißt das doch! Jedenfalls habe ich keines zum Rauswerfen.«

»Freilich, Alec. Ich habe mich doch auch bis jetzt um dich gekümmert, oder nicht?«

»Ja«, antwortete Leamas. »Ja, das hast du.«