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»Im Augenblick nicht«, antwortete Peters und schenkte ihm noch etwas Whisky ein. »Wir werden das alles freilich noch einmal genau, mit Namen und Datum, besprechen.«

Es wurde an die Tür geklopft, und die Frau brachte das Essen herein, eine enorme Mahlzeit aus kaltem Fleisch, Brot und Suppe. Peters schob seine Notizen beiseite. Sie aßen schweigend.

Das Geschirr wurde abgeräumt. »Sie sind also ins Rondell zurückgekehrt«, sagte Peters.

»Ja. Eine Weile beschäftigten sie mich mit Schreibtischarbeit, Bearbeitungen von Berichten, Schätzungen über das Militärpotential in Ostblockländern, Beobachtung von Truppen Verschiebungen und derlei Dinge.«

»Welche Abteilung?«

»Ostblock vier. Ich war dort von Februar fünfzig bis Mai einundfünfzig.«

»Wer waren Ihre Kollegen?«

»Peter Guillam, Brian de Grey und George Smiley. Smiley verließ uns Anfang einundfünfzig und ging zur Abwehr. Im Mai einundfünfzig wurde ich als stellvertretender Gebietschef nach Berlin versetzt. Das heißt, dass ich für die ganze praktische Arbeit verantwortlich war.«

»Wen hatten Sie unter sich?«

Peters schrieb jetzt schnell. Leamas vermutete, dass er sich für den Hausgebrauch eine Art Kurzschrift zugelegt hatte.

»Hackett, Sarrow und de Jong. De Jong starb neunundfünfzig bei einem Verkehrsunfall. Wir waren der Meinung, dass er ermordet worden ist, konnten es aber nie beweisen. Sie hatten alle ihre Netze und standen unter meinem Befehl. Wünschen Sie Einzelheiten?« fragte er trocken.

»Natürlich, aber erst später. Fahren Sie fort.«

»Gegen Ende vierundfünfzig zogen wir in Berlin den ersten großen Fisch an Land: Fritz Feger, zweiter Mann im DDR-Verteidigungsministerium. Bis dahin war es nur sehr zäh gegangen. Aber im November kamen wir an Fritz heran. Er hielt sich fast zwei Jahre. Dann plötzlich hörten wir nichts mehr von ihm. Ich habe erfahren, er sei im Gefängnis gestorben. Es dauerte drei Jahre, ehe wir wieder jemanden fanden, der ihm gleichkam. Das war neunundfünfzig, als Karl Riemeck auftauchte. Er war im Präsidium der ostdeutschen KP. Er war der beste Agent, den ich jemals gekannt habe.«

»Er ist jetzt tot«, bemerkte Peters.

Leamas' Gesicht schien für einen Augenblick den Ausdruck fast schlechten Gewissens anzunehmen: »Ich war dort, als er erschossen wurde«, murmelte er. »Er hatte eine Freundin, die, kurz ehe er starb, herüberkam. Er hatte ihr alles erzählt. Sie kannte das ganze verdammte Netz. Kein Wunder, dass er erwischt wurde.«

»Wir kommen später auf Berlin zurück. Sagen Sie: Nachdem Karl gestorben war, flogen Sie doch nach London zurück. Sind Sie für den Rest Ihrer Dienstzeit dort geblieben?«

»Was davon übrigblieb, ja.«

»Welche Aufgaben hatten Sie?«

»Bankabteilung: Überprüfung von Agentengehältern, geheime Auslandszahlungen. Ein Kind hätte es bewältigen können. Wir hatten unsere Befehle und danach unterschrieben wir die Überweisungsaufträge. Gelegentlich machte uns die Sicherheitsfrage Kopfzerbrechen.«

»Haben Sie mit Agenten direkt verhandelt?«

»Wie hätten wir können? Unser ständiger Mann in einem bestimmten Land forderte für irgend etwas eine Summe an, die Direktion gab ihre Genehmigung, und wir erhielten den Auftrag, die Überweisung vorzunehmen. In den meisten Fällen transferierten wir das Geld an eine geeignete ausländische Bank, wo es sich unser Mann abholen und dem Agenten geben konnte.«

»Wie wurden Agenten bezeichnet? Mit Decknamen?«

»Mit Kennziffern. Im Rondell heißt das ›Kombinationen‹. Jedem Netz ist eine Kombination zugewiesen: der Agent ist durch eine Zahl gekennzeichnet, die an die Kombination angehängt wird. Karls Kombination war 8 a/1.«

Leamas schwitzte. Peters beobachtete ihn gelassen. Wie ein Berufsspieler schätzte er ihn über den Tisch hinweg. Was war Leamas wert? Womit konnte man ihn brechen, was zog ihn an, was stieß ihn ab? Was haßte er? Vor allem: was wußte er? Würde er seine beste Karte bis zuletzt behalten, um sie teuer zu verkaufen? Peters glaubte das nicht. Leamas war zu sehr aus dem Gleichgewicht, um herumspielen zu können. Er war uneins mit sich selbst, ein Mann, der bisher nur ein Leben und einen Glauben gekannt hatte. Daran war er nun zum Verräter geworden. Peters hatte so etwas schon öfter gesehen, sogar bei Männern, die eine völlige ideologische Wandlung durchgemacht hatten. Obwohl sie in einsamen Nachtstunden einen neuen Glauben gefunden hatten und allein von der inneren Kraft ihrer neuen Überzeugung zum Verrat an ihrem Beruf, ihrer Familie, ihrem Vaterland gebracht worden waren, hatten selbst sie, die doch gleichsam mit neuem Eifer und neuer Hoffnung erfüllt waren, gegen das Stigma des Verrates zu kämpfen gehabt. Selbst sie rangen mit der physischen Pein, die ihnen das Aussprechen jener Dinge bereitete, die niemals, niemals zu offenbaren, sie gelehrt worden waren. Wie abtrünnige Christen, die sich scheuten, das Kreuz zu verbrennen, zögerten sie zwischen ihrem Instinkt und der Vernunft. Und Peters, der in demselben Gegensatz gefangen war, mußte ihnen Beruhigung geben und ihren Stolz zerstören. Es war eine Situation, die ihnen beiden bewußt war. Deshalb wehrte sich Leamas leidenschaftlich gegen eine menschliche Beziehung zu Peters, die sein Stolz nicht zugelassen hätte. Und Peters wußte, dass Leamas aus diesen Gründen lügen würde, vielleicht nur durch Verschweigen, aber trotz allem lügen - aus Stolz, aus Trotz oder auch nur aus der Perversität, die zur Natur seines Berufes gehörte. Peters' Aufgabe war es, diese Lügen zu erkennen. Ihm war klar, dass schon allein die Berufserfahrung von Leamas gegen seine Interessen wirkte, da sie ihn automatisch zur Auslese von Informationen verführen würde, während Peters keine Auslese wünschte. Leamas hatte bestimmte Vorstellungen darüber, welche Art Auskünfte Peters brauchte, und diese Vorstellungen mochten ihn dazu verleiten, nicht in sie hineinpassende Dinge in seinem Bericht zu übergehen, obwohl sie womöglich von größtem Interesse für die Auswerter waren. Zu all dem mußte Peters noch die launischen Eitelkeiten eines alkoholischen Wracks hinzurechnen.

»Ich denke«, sagte er, »wir sollten jetzt Ihren Berlineinsatz im Detail besprechen. Das wäre also die Zeit von Mai 1951 bis März 1961. Nehmen Sie noch einen Drink!«

Leamas beobachtete ihn, als er eine Zigarette aus der Schachtel auf dem Tisch nahm und sie anzündete. Er registrierte, dass Peters Linkshänder war und dass er die Zigaretten stets so in den Mund steckte, dass sich der Markenaufdruck am anderen Ende befand und also verbrannte. Es war eine Entdeckung, die Leamas gefieclass="underline" sie zeigte, dass Peters wie er selbst vom Fach war.

Peters hatte ein merkwürdiges Gesicht. Es war ausdruckslos und grau. Die Farbe mußte es längst verlassen haben - vielleicht in einem Gefängnis während der frühen Tage der Revolution -, und jetzt waren seine Züge geformt, Peters würde dieses Aussehen behalten, bis er starb. Nur das borstige graue Haar mochte vielleicht weiß werden, aber sein Gesicht würde so bleiben. Leamas fragte sich, wie der wirkliche Name von Peters wohl lauten mochte und ob er verheiratet sei. Es war etwas sehr Strenggläubiges an ihm, das Leamas schätzte. Es war der Glaube an die eigene Stärke, ein großes Selbstvertrauen. Wenn Peters log, dann nicht ohne guten Grund. Seine Lüge würde kalkuliert und notwendig sein und sehr weit entfernt von der linkischen Unehrlichkeit eines Ashe.