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Leamas beschloß, auf dieser Fährte sein Glück zu versuchen.

Er ließ in London die Kriegsgefangenennummer Riemecks feststellen. Sie lautete 29012. Das Datum seiner Entlassung war der 10. November 1945. Er kaufte ein ostdeutsches Kinderbuch und malte mit kindlicher Handschrift auf die Innenseite des Deckels: »Dieses Buch gehört Carla Riemeck, geboren am 10. Dezember 1945 in Bideford, North Devon, gezeichnet: Mondraumfrau 29012.« Darunter schrieb er: »Bewerber, die Raumflüge machen wollen, melden sich zur Instruktion bei C. Riemeck persönlich. Ein Bewerbungsformular ist beigefügt. Lang lebe die Volksrepublik des demokratischen Weltraumes!«

Er versah ein Blatt liniierten Papiers mit Spalten für Name, Anschrift und Alter, und schrieb darunter: »Jeder Kandidat wird persönlich befragt. Schreiben Sie an die übliche Adresse und geben Sie an, wann und wo Sie zu sprechen sind. Anträge werden in sieben Tagen erledigt. C. R.«

Er legte das Blatt zusammen mit fünf gebrauchten Hundertdollarnoten in das Buch, das er bei der nächsten Fahrt mit de Jongs Wagen zum üblichen Platz auf dem Beifahrersitz liegenließ. Als Leamas von seinem Spaziergang zurückkam, war das Buch verschwunden. Statt dessen lag eine Tabakbüchse auf dem Sitz. Sie enthielt drei Filmrollen. Leamas entwickelte sie noch in derselben Nacht: Ein Film enthielt wie üblich die Protokolle der letzten Sitzung des Präsidiums; der zweite den Entwurf zu einer neugefaßten Darstellung der Beziehungen Ostdeutschlands zur COMECON; der dritte eine schematische Darstellung der ostzonalen Spionageorganisation, wobei die Aufgaben der einzelnen Abteilungen und besondere Merkmale ihrer Leiter angegeben waren.

Peters unterbrach: »Augenblick«, sagte er, »wollen Sie mir weismachen, dass Riemeck all das geliefert haben soll?«

»Warum nicht? Sie wissen, wieviel er zu sehen bekam.«

»Es ist kaum möglich«, bemerkte Peters, als spräche er zu sich selbst. »Er muß Hilfe gehabt haben.«

»Das hatte er später. Ich komme noch darauf.«

»Ich weiß, was Sie mir erzählen werden. Aber hatten Sie nie das Gefühl, dass er auch Beihilfe von oben gehabt haben muß - nicht nur von den Leuten, die er dann später anwarb?«

»Nein! Nein, das Gefühl hatte ich nie. Mir kam nie der Gedanke.«

»Und wenn Sie jetzt darüber nachdenken: scheint es dann wahrscheinlich zu sein?«

»Nicht besonders.«

»Nachdem Sie all dies Material ins Rondell eingeschickt hatten - ist da nie darauf hingewiesen worden, dass selbst ein Mann in Riemecks Stellung kaum derart umfassende Informationen beschaffen konnte?«

»Nein.«

»Hat man sich jemals erkundigt, woher Riemeck seine Kamera hatte, und wer ihm die Technik der Dokumentarfotografie beigebracht hat?«

Leamas zögerte. »Nein … ich bin sicher, dass nie gefragt wurde.«

»Erstaunlich«, bemerkte Peters trocken. »Entschuldigen Sie, fahren Sie fort. Ich wollte Ihnen nicht vorgreifen.«

Genau eine Woche später fuhr Leamas wieder zum Kanal. Diesmal war er nervös. Als er in den Weg einbog, sah er drei Fahrräder im Gras liegen. Achtzig Meter weiter unten am Kanal saßen drei Männer und fischten. Er stieg wie üblich aus dem Wagen und begann, auf die Baumreihe jenseits des Feldes zuzugehen. Er hatte ungefähr zehn Meter zurückgelegt, als er einen Ruf hörte. Er drehte sich um und sah, dass ihm einer der Männer zuwinkte. Seine beiden Begleiter sahen ebenfalls zu ihm her. Leamas trug einen alten Regenmantel. Er hatte seine Hände in den Taschen, und es war zu spät, sie herauszunehmen. Ihm war klar, dass zwei der Männer den dritten in ihrer Mitte deckten und dass sie möglicherweise schießen würden, wenn er seine Hände aus den Taschen nahm, denn sie könnten der Meinung sein, dass er einen Revolver in der Tasche habe. Leamas blieb drei Meter vor dem Mann in der Mitte stehen.

»Wünschen Sie etwas?« fragte Leamas.

»Sind Sie Leamas?« Es war ein kleiner, dicker Mann, der sehr sicher auftrat. Er sprach englisch.

»Ja.«

»Welche Nummer hat Ihre britische Kennkarte?«

»P R T/L 58 003/1.«

»Wo verbrachten Sie die auf den Tag von Japans Kapitulation folgende Nacht?«

»In Leyden, Holland, in der Werkstatt meines Vaters, mit einigen holländischen Freunden.«

»Wollen wir einen kleinen Spaziergang machen, Mr. Leamas? Sie werden Ihren Regenmantel nicht brauchen. Ziehen Sie ihn aus und lassen Sie ihn hier liegen. Meine Freunde werden darauf achten.«

Leamas zögerte, zuckte mit den Achseln und zog seinen Mantel aus. Dann gingen sie miteinander dem Wald zu.

»Sie wissen so gut wie ich, wer er war«, sagte Leamas müde: »dritter Mann im Innenministerium, Sekretär des SED-Präsidiums, Leiter des Koordinierungsausschusses für Staatssicherheit. Ich nehme an, dass er zu seinem Wissen über de Jong und mich auf diesem Posten gekommen war: er muß die Akten über uns bei der ›Abteilung‹ gesehen haben. Er hatte drei Eisen im Feuer: das Präsidium, die internen Berichte über innenpolitische und wirtschaftliche Vorgänge - das war die einfachste Art, sich zu informieren -, und schließlich hatte er Zugang zu den Akten des Sicherheitsdienstes.«

»Aber nur einen begrenzten Zugang. Ein Außenstehender bekommt niemals alle Akten zu sehen.«

Leamas zuckte mit den Schultern.

»Ihn ließen sie aber«, sagte er.

»Was machte er mit seinem Geld?«

»Nach diesem Nachmittag gab ich ihm keines mehr. Das Rondell übernahm das sofort. Es wurde in eine westdeutsche Bank eingezahlt. Er gab mir sogar zurück, was ich ihm bereits gegeben hatte. Das Rondell zahlte es für ihn ein.«

»Wieviel erzählten Sie London über die ganze Sache?«

»Danach alles. Ich mußte. Das Rondell informierte sofort alle Abteilungen.« Leamas setzte giftig hinzu: »Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sich alles um die Quelle drängte. Mit den drängenden Abteilungen im Genick, wurde London immer habgieriger. Sie wollten immer mehr und mehr, boten ihm mehr Geld. Schließlich mußten wir Karl vorschlagen, weitere Quellen anzubohren, die wir dann übernahmen, um ein Netz zu bilden. Das alles war maßlos dumm, denn es legte Karl Belastungen auf, gefährdete ihn, untergrub sein Vertrauen zu uns. Es war der Anfang vom Ende.«

»Wieviel konnten Sie aus ihm herausholen?«

Leamas zögerte. »Wieviel? Ich weiß es nicht. Es lief eine unnatürlich lange Zeit. Ich glaube, er flog auf, lange bevor er gefaßt war. Schon Monate vor dem Ende wurde sein Material immer schlechter. Ich glaube, man verdächtigte ihn damals schon und ließ ihn deshalb nicht mehr an das gute Material heran.«

»Alles in allem: was gab er Ihnen?« beharrte Peters.

Stück für Stück zählte Leamas die von Karl Riemeck geleistete Arbeit auf. Peters registrierte voll Anerkennung, dass Leamas' Gedächtnis für einen Mann, der soviel trank, erstaunlich genau funktionierte. Er konnte Daten und Namen angeben, er konnte sich der Reaktion Londons erinnern und auf welche Weise Riemecks Material bestätigt worden war - soweit dies überhaupt geschah. Er konnte sich an geforderte und gezahlte Geldsummen erinnern, und an die Termine, zu denen andere Agenten für das Netz angeworben wurden.

»Es tut mir leid«, sagte Peters schließlich, »aber ich halte es einfach für ausgeschlossen, dass ein einzelner Mann, wenn auch noch so hochgestellt, noch so vorsichtig und noch so fleißig, über eine derartige Fülle detaillierten Wissens verfügt haben soll. Und selbst wenn Riemeck zu all diesen Dingen selbst Zugang gehabt hätte, so wäre er doch nie in der Lage gewesen, das alles zu fotografieren.«