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»Wer war zu jener Zeit in Ost vier?«

»Guillam, Haverlake, de Jong, glaube ich. De Jong war gerade von Berlin zurückgekommen.«

»Und alle diese Leute durften den Akt sehen?«

»Ich weiß nicht, Fiedler«, Leamas war gereizt. »Und wenn ich Sie wäre …«

»Ist es nicht seltsam, dass eine ganze Abteilung auf dem Verteiler stand, während sonst nur Einzelpersonen angeführt waren?«

»Ich sagte Ihnen doch, dass ich es nicht, weiß - wie sollte ich es auch wissen? Ich war doch nur ein kleiner Angestellter in dem Laden.«

»Wer trug den Akt von einem zum anderen?«

»Sekretäre, nehme ich an - ich kann mich nicht erinnern. Es ist doch schon Monate her.«

»Warum waren die Sekretäre dann nicht auf der Liste? Die Sekretärin vom Chef war darauf.« Es war einen Augenblick still.

»Nein, Sie haben recht«, sagte Leamas. »Ich erinnere mich jetzt.« In seiner Stimme war Verwunderung. »Wir gaben sie persönlich weiter.«

»Wer sonst hatte in der Bankabteilung mit diesem Akt zu tun?«

»Niemand. Es war meine Sache, als ich zu dieser Abteilung kam. Vorher hatte es eine der Frauen gemacht, aber als ich kam, übernahm ich es, und sie wurde von der Liste gestrichen.«

»Dann waren Sie also derjenige, der den Akt persönlich dem nächsten Leser überbrachte?«

»Ja … ja, ich glaube, so war es.«

»Wem übergaben Sie ihn?«

»Ich … ich kann mich nicht erinnern.«

»Denken Sie nach!« Ohne dass Fiedler seine Stimme erhoben hätte, war plötzlich eine für Leamas überraschende Eindringlichkeit in seinen Worten.

»Dem persönlichen Referenten des Chefs, glaube ich. Ich mußte ihm zeigen, welche Aktionen wir unternommen oder empfohlen hatten.«

»Wer brachte den Akt?«

»Was meinen Sie?« Leamas' Stimme klang unsicher.

»Wer hat vorher den Akt zu Ihnen gebracht? Es muß doch jemand gewesen sein, der auf der Liste stand.«

Leamas fuhr sich mit den Fingern über die Backe. Es war eine unbewußte, nervöse Geste.

»Ja, jemand von der Liste muß es gewesen sein. Es ist schwer, sehen Sie, Fiedler. Damals habe ich eine ganze Menge hinter die Binde gegossen.« Er sprach seltsam vertraulich. »Sie können sich nicht denken, wie schwer es ist …«

»Ich frage Sie, Leamas: Wer brachte Ihnen den Akt? Denken Sie nach.«

Leamas setzte sich an den Tisch und schüttelte den Kopf. »Ich kann mich nicht erinnern. Vielleicht fällt's mir wieder ein. Aber im Augenblick kann ich mich gerade nicht daran erinnern, wirklich nicht. Es wäre nicht gut, jetzt weiter zu bohren.«

»Es könnte nicht das Mädchen vom Chef gewesen sein, oder doch? Sie gaben den Akt immer an den Referenten zurück. So sagten Sie jedenfalls. Dann müßten alle Leute, die auf der Liste standen, den Akt vor dem Chef gesehen haben.«

»Ja, so ist es, glaube ich.«

»Was hat es mit der Spezialregistratur auf sich, mit Miß Bream?«

»Das war die Frau, die den Tresorraum für derartige Geheimakten unter sich hatte. Dort wurde der Akt aufbewahrt, wenn er nicht gebraucht wurde.«

»Dann«, sagte Fiedler sanft, »muß es die Abteilung Ost vier gewesen sein, die den Akt zu Ihnen brachte, nicht wahr?«

»Ja, so wird es wohl gewesen sein«, sagte Leamas hilflos, als sei er Fiedlers Scharfsinn nicht ganz gewachsen.

»In welchem Stock war Ost vier?«

»Im zweiten.«

»Und die Bankabteilung?«

»Im vierten. Neben der Spezialregistratur.«

»Erinnern Sie sich daran, wer den Akt heraufbrachte? Oder erinnern Sie sich zum Beispiel daran, dass Sie je hinuntergingen, um ihn zu holen?«

Leamas schüttelte verzweifelt den Kopf. Dann wandte er sich aber plötzlich zu Fiedler und rief: »Ja, ja, ich erinnere mich! Natürlich! Ich bekam ihn von Peter!«

Leamas schien aufgewacht zu sein, sein Gesicht war von Erregung gerötet. »So war's: Ich holte den Akt einmal in Peters Zimmer ab. Wir unterhielten uns über Norwegen. Wir hatten dort gemeinsam gedient, wissen Sie.«

»Peter Guillam?«

»Ja. Peter - ich hatte nicht mehr an ihn gedacht. Er war einige Monate vorher aus Ankara zurückgekommen. Er stand auf der Liste! Natürlich! Das ist es. Es hieß Ost vier und in Klammern stand PG dahinter, das sind Peters Initialen. Vorher hatte es jemand anderer bearbeitet, und über den alten Namen hatte die Spezialregistratur deshalb ein Stück weißes Papier geklebt und Peters Initialen drauf geschrieben.«

»Welches Gebiet bearbeitete Guillam?«

»Die Zone. Ostdeutschland. Wirtschaftliche Sachen. Er hatte einen kleinen Abschnitt. Es war eine Art Nebengebiet. - Richtig, er war es. Er brachte den Akt auch einmal zu mir herauf, ich erinnere mich jetzt daran. Übrigens führte er keine Agenten: Ich weiß gar nicht, wie er eigentlich dazu kam. Peter und ein paar andere machten eine Art Untersuchung über die Lebensmittelknappheit. Es war eigentlich nur Auswertung von Material.«

»Haben Sie nicht mit ihm darüber gesprochen?«

»Nein. So etwas ist tabu. Über diese Geheimakten wird nicht gesprochen. Die Frau in der Spezialregistratur, Miß Bream, hielt mir deshalb eine Predigt: keine Diskussion, keine Fragen.«

»Aber wenn man einmal in Betracht zieht, wie ausgeklügelt die Sicherheitsmaßnahmen waren, die ›Rollstein‹ umgaben, wäre es doch denkbar, dass Guillams sogenannte Untersuchung teilweise die Führung dieses Agenten ›Rollstein‹ einschloß.«

»Ich habe Peters gesagt«, brüllte Leamas, indem er seine Faust auf den Tisch schlug, »dass es verdammt albern ist, wenn man glaubt, irgendeine Operation gegen Ostdeutschland hätte ohne mein Wissen, ohne das Berliner Büro geführt werden können. Ich hätte es gewußt, verstehen Sie! Wie oft soll ich das sagen? Ich hätte davon gewußt!«

»Ganz recht«, sagte Fiedler sanft. »Natürlich hätten Sie davon gewußt!« Er stand auf und ging zum Fenster.

»Sie sollten die Gegend hier einmal im Herbst sehen«, sagte er, während er hinaussah. »Es ist wundervoll, wenn die Buchen sich färben.«

13 NADELN ODER KLAMMERN

Fiedler liebte es, Fragen zu stellen. Manche stellte er nur zu seinem eigenen Vergnügen, da es ihm als Juristen Spaß machte, den Widerspruch zwischen Augenschein und tieferer Wahrheit aufzudecken. Er besaß eben jene beharrliche Wißbegierde, die bei Journalisten und Rechtsanwälten oft Selbstzweck ist.

An diesem Nachmittag machten sie einen Spaziergang. Sie folgten der sandigen Straße ins Tal hinunter und gingen dann auf einem ausgefahrenen Weg, neben dem geschlagenes Holz gestapelt war, in den Wald hinein. Während der ganzen Zeit bohrte Fiedler mit seinen Fragen weiter, ohne selbst etwas beizusteuern. Er wollte mehr Einzelheiten über das Gebäude am Cambridgerondell wissen und über die Menschen, die dort arbeiten. Aus welcher sozialen Schicht kamen sie, in welchem Teil Londons wohnten sie, durften Ehepaare in der gleichen Abteilung arbeiten? Er fragte nach Einkommen, Urlaub, Moral, Kantine, nach Liebesleben, Klatsch und Weltanschauung. Am meisten fragte er nach ihrer Weltanschauung.

Für Leamas war das die schwerste Frage von allen.

»Was meinen Sie mit Weltanschauung?« fragte er. »Wir sind keine Marxisten, wir sind nichts. Bloß Menschen.«

»Sind sie dann Christen?«

»Nicht viele, würde ich sagen. Ich jedenfalls kenne nicht viele.«

»Weshalb tut man dann diese Arbeit?« beharrte Fiedler. »Sie müssen doch eine Weltanschauung haben.«

»Warum müssen sie? Vielleicht wissen sie es nicht, wahrscheinlich kümmerte sie es nicht einmal. Es hat nicht jeder Mensch eine Weltanschauung«, antwortete Leamas ein wenig hilflos.

»Dann verraten Sie mir wenigstens Ihre eigene Philosophie!«

»Großer Gott«, seufzte Leamas. Sie gingen eine Weile schweigend weiter. Aber Fiedler ließ sich damit nicht abweisen.

»Wenn sie nicht genau wissen, was sie wollen - wie können sie behaupten, im Recht zu sein?«

»Wer, zum Teufel, hat gesagt, dass sie das behaupten?« erwiderte Leamas gereizt.