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»Was reden Sie da? Sie sind ja verrückt!« sagte Leamas, und in seiner Stimme war eine Spur von Furcht.

»Es paßt alles zusammen, sehen Sie. Mundt entkam so leicht aus England; Sie haben es ja selbst gesagt. Und was erzählte Ihnen Guillam? Er sagte, man habe Mundt gar nicht fassen wollen! Warum nicht? Ich will es Ihnen sagen: er war ihr Mann. Sie hatten ihn schon umgedreht. Sehen Sie nicht den Zusammenhang? Man hatte Mundt schon gefaßt, und mit seiner Freilassung kaufte man sich seine Mitarbeit - mit der Freilassung und dem Geld, das er bekam.«

»Ich sage Ihnen, Sie sind verrückt!« stieß Leamas hervor. »Sollte er je den Verdacht haben, dass Sie solche Geschichten in die Welt setzen, bringt er Sie um. Das ist doch Blödsinn, Fiedler. Seien Sie ruhig und fahren Sie uns nach Hause.«

Schließlich lockerte sich der harte Griff um Leamas' Arm.

»Hier haben Sie unrecht. Sie selbst haben die Antwort gebracht, Leamas. Deshalb sind wir auch aufeinander angewiesen.«

»Das ist nicht wahr!« brüllte Leamas. »Ich habe Ihnen immer wieder gesagt, dass das Rondell niemanden ohne mein Wissen in der Zone hätte ansetzen können. Das war schon verwaltungstechnisch nicht möglich. Sie wollen mir einreden, dass der Chef persönlich und ohne Wissen der Berliner Organisation den stellvertretenden Leiter der ›Abteilung‹ dirigiert. - Sie sind verrückt, Fiedler. Sie sind total verrückt!« Plötzlich begann er leise zu lachen. »Sie möchten vielleicht diese Stellung gern haben, Sie armes Schwein - so was soll's ja schon gegeben haben -, aber so etwas hat noch nie anders als mit Krach geendet.« Einen Augenblick schwiegen beide.

Schließlich sagte Fiedler: »Dieses Geld in Kopenhagen: die Bank hat Ihren Brief beantwortet. Der Direktor ist sehr in Sorge, dass ein Fehler unterlaufen ist. Denn das Geld ist von Ihrem Kontoteilhaber genau eine Woche nach der Einzahlung wieder abgehoben worden. Das Datum der Auszahlung fällt genau in die zwei Tage des Februar, die Mundt in Dänemark verbrachte, um unter falschem Namen einen unserer amerikanischen Agenten zu treffen, der zu einer internationalen Tagung von Wissenschaftlern gekommen war.« Fiedler zögerte, dann setzte er hinzu: »Ich glaube, Sie sollten der Bank schreiben, dass alles in Ordnung ist.«

16 VERHAFTUNG

Fiedler und Leamas fuhren den Rest der Strecke schweigend zurück. In der Dämmerung sahen die Hügel wie schwarze Höhlen aus, und entfernte Lichter kämpften als winzige Punkte gegen die stärker werdende Dunkelheit wie die Lampen weit vorbeiziehender Schiffe auf See.

Fiedler parkte den Wagen in einem Schuppen neben dem Haus, und sie gingen gemeinsam zur Eingangstür. Sie wollten gerade das Haus betreten, als jemand von den Bäumen her Fiedlers Namen rief. Sie drehten sich um, und Leamas sah zehn Meter entfernt drei Männer im Zwielicht stehen, die offenbar darauf warteten, dass Fiedler zu ihnen hinübergehe.

»Was wollen Sie?« fragte Fiedler.

»Wir wollen Sie sprechen, wir sind aus Berlin.«

Fiedler zögerte. »Wo ist dieser verdammte Wachtposten?« fragte er Leamas. »An der Tür sollte doch ein Posten sein.«

Leamas zuckte die Achseln.

»Warum ist das Licht in der Diele nicht eingeschaltet?« fragte Fiedler. Dann schritt er langsam auf die Männer zu.

Leamas wartete einen Augenblick. Als er nichts hörte, durchquerte er das dunkle Haus zum Anbau, einer Baracke, die sich an die Rückseite des Hauses lehnte und von einem jungen Kieferndickicht umgeben war. Die Hütte war in drei ineinander übergehende Schlafräume aufgeteilt. Den mittleren Raum hatte man Leamas gegeben, während der Raum, in den man vom Hauptgebäude zuerst trat, von zwei Wachtposten belegt war. Leamas wußte nicht, wer den dritten bewohnte. Er hatte einmal versucht, die von seinem Zimmer hinüberführende Tür zu öffnen, aber sie war verschlossen. Als er eines Morgens sehr früh seinen Spaziergang machte, entdeckte er nur, dass es ein Schlafraum war. Er hatte vom Fenster her durch einen schmalen Spalt des Spitzenvorhanges gespäht, während die beiden Posten, die ihm in einem Abstand von zwanzig Metern überallhin folgten, noch nicht um die Ecke der Hütte herumgekommen waren. Der Raum enthielt ein einzelnes Bett, das gemacht war, und einen kleinen Schreibtisch mit Papieren darauf. Er nahm an, dass er von jemandem mit der sogenannten deutschen Gründlichkeit von diesem Schlafraum aus beobachtet wurde. Aber Leamas war ein zu alter Fuchs, um sich durch Überwachung stören zu lassen. In Berlin war es ein Bestandteil des Alltags gewesen, und wenn man es nicht bemerkte - um so schlimmer: das hieß nur, dass die anderen vorsichtiger geworden waren, oder man selbst nachlässiger. Im allgemeinen entdeckte er seine Schatten immer sehr schnell. Er war eben in solchen Dingen erfahren, wachsam und hatte ein gutes Gedächtnis. Er war, kurz gesagt, in seinem Beruf sehr tüchtig. Er kannte die Art, in der sich die Beschattungsgruppen am liebsten staffelten, kannte ihre Tricks und Schwächen und die vorübergehenden Fehler, durch die sie sich manchmal verrieten. Leamas war es gewohnt, beobachtet zu werden, aber als er durch den behelfsmäßigen Gang vom Haus zur Hütte ging und in dem Schlafraum der Posten stand, hatte er das deutliche Gefühl, etwas sei nicht in Ordnung.

Die Beleuchtung im Anbau konnte nur von einer zentralen Stelle aus, von unsichtbarer Hand, geschaltet werden. Morgens wurde er oft durch das plötzliche Aufflammen der einzigen Lampe an der Decke seines Zimmers geweckt. Abends trieb ihn gewöhnlich überraschende Finsternis ins Bett. Als er jetzt den Anbau betrat, war es erst neun Uhr, aber das Licht war schon aus, und die Läden vor den Fenstern waren geschlossen. Er hatte die Verbindungstür vom Haus her offengelassen, so dass von der Diele her schwaches Zwielicht in den Schlafraum der Posten fiel, aber es war zu finster, um mehr als die Umrisse der zwei leeren Betten zu sehen. Während er sich im Zimmer überrascht umschaute, weil niemand da war, fiel die Tür hinter ihm zu. Vielleicht von selbst, aber Leamas machte keinen Versuch, sie wieder zu öffnen. Es war stockfinster. Kein Laut begleitete das Schließen der Tür, kein Klicken, kein Schritt. Leamas, dessen Sinne plötzlich hellwach geworden waren, hatte das gleiche Gefühl wie im Kino, wenn der Ton überraschend ausfällt. Dann roch er die Zigarre, ihr Rauch mußte in der Luft gehangen haben, aber erst jetzt bemerkte er ihn. Wie bei einem Blinden schärfte die Dunkelheit seinen Tast- und Geruchssinn.

Er hatte Streichhölzer in seiner Tasche, aber er benutzte sie nicht. Er schlich zur Wand, gegen die er seinen Rücken preßte, während er bewegungslos wartete. Leamas konnte sich das alles nur so erklären, dass sie ihn in seinem eigenen Zimmer erwarteten, und er entschloß sich deshalb zu bleiben, wo er war. Die Tür, die sich gerade geschlossen hatte, wurde geprüft, das Schloß herumgedreht und versperrt. Noch immer bewegte sich Leamas nicht. Noch nicht. Kein Zweifeclass="underline" er war in der Hütte gefangen. Sehr langsam hockte sich Leamas jetzt nieder und steckte zugleich eine Hand in die Seitentasche seiner Jacke. Er war ganz ruhig. Die Aussicht auf Aktivität erleichterte ihn fast. Erinnerungen kamen ihm in den Sinn. »Sie haben fast immer eine Waffe: einen Aschenbecher, ein paar Geldstücke, einen Füllfederhalter - alles, was schlägt und sticht.« Es war der Lieblingsspruch des freundlichen kleinen Waliser Feldwebels in jenem Haus bei Oxford, während des Krieges. »Gebrauchen Sie nie beide Hände zugleich, weder bei einem Messer, einem Stock, noch einem Revolver. Lassen Sie Ihren linken Arm frei und halten Sie ihn vor den Leib. Wenn Sie nichts zum Schlagen haben, dann halten Sie Ihre Hände offen und die Daumen steif.« Er nahm die Schachtel Streichhölzer der Länge nach in die rechte Hand und zerdrückte sie langsam, so dass die kleinen rauhen Kanten des Schachtelholzes ihm zwischen den Fingern herausschauten. Dann tastete er sich an der Wand bis zu dem Stuhl, der - wie er wußte - in der Ecke des Raumes stand. Ohne auf den Lärm Rücksicht zu nehmen, den er dabei machte, schob er den Stuhl in die Mitte des Zimmers. Er zählte seine Schritte, während er vom Stuhl in die Ecke zurückschlich. Noch ehe er sie erreicht hatte, hörte er, wie die Tür seines Schlafzimmers aufgestoßen wurde. Er versuchte vergeblich, in der Dunkelheit zu erkennen, ob eine Gestalt in der Tür stand, die Finsternis war undurchdringlich. Noch riskierte er keinen Angriff, denn es war sein taktischer Vorteil, dass er, im Gegensatz zu dem anderen, wußte, wo der Stuhl stand. Er wünschte sehr, dass sie jetzt kamen, um ihn zu holen, denn er konnte nicht warten, bis ihr Helfer draußen den Hauptschalter erreicht und das Licht eingeschaltet hatte.