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»Los doch, ihr mistigen Hunde«, rief er auf deutsch. »Hier bin ich, in der Ecke. Kommt und holt mich, wenn ihr könnt.«

Keine Bewegung, nicht ein Laut.

»Hier bin ich, könnt ihr mich nicht sehen? Was ist denn los mit euch, Kinder, kommt her, könnt ihr nicht?« Und dann hörte er jemanden kommen, dahinter einen zweiten, und dann den Fluch eines Mannes, der an den Stuhl stieß. Das war das Zeichen, auf das Leamas gewartet hatte. Er warf die Streichholzschachtel weg und tappte vorsichtig Schritt für Schritt vorwärts, wobei er seinen linken Arm ausgestreckt hielt, als schütze er sich im Wald vor zurückschnellenden Zweigen. Er stieß schließlich sacht an einen Arm und er fühlte die rauhe Wärme von Uniformstoff. Mit der linken Hand tupfte Leamas zweimal auf den Arm, und er hörte dicht an seinem Ohr eine erschrockene Stimme in deutscher Sprache flüstern: »Bist du das, Hans?«

»Hält's Maul, du Esel«, flüsterte Leamas, gleichzeitig packte er den Mann an seinen Haaren und zerrte dessen Kopf nach unten, während er ihm mit der Kante der rechten Hand einen wuchtigen Hieb in den Nacken versetzte. Er zerrte ihn am Arm nochmals hoch und schlug ihm seine Faust an die Kehle. Dann überließ er den Körper der Schwerkraft, die ihn auf den Boden zog. Gleichzeitig mit dem Aufschlag des Körpers ging das Licht an. In der Tür stand ein Zigarre rauchender junger Hauptmann der Volkspolizei, dahinter zwei Männer. Einer von ihnen war ziemlich jung, er trug Zivil und hielt eine Pistole in der Hand. Leamas glaubte, es sei wohl eine tschechische Waffe, da sie einen Ladehebel oben auf dem Griff hatte. Alle blickten auf den Mann am Boden. Jemand sperrte die äußere Tür auf, und Leamas wollte sehen, wer das war. Aber während er sich umdrehte, kam der knappe Befehl, sich nicht zu bewegen - Leamas glaubte, der Hauptmann habe ihn gegeben. Langsam wandte er sich wieder den drei Männern zu. Er hatte die Hände noch an der Seite, als der Schlag kam. Er schien ihm den Schädel zu zertrümmern. Noch während er, in warme Bewußtlosigkeit sinkend, zu Boden fiel, fragte er sich, ob er mit einem jener alten Revolver geschlagen worden war, die zur Befestigung der Lederschlaufe einen lockeren Ring unten am Kolben haben.

Er wurde durch den Gesang eines Häftlings wach, und durch den geschrienen Befehl eines Wärters, der Häftling solle den Mund halten. Leamas öffnete die Augen, und wie gleißendes Licht brach der Schmerz in sein Gehirn. Dennoch widerstand er dem Drang, die Augen wieder zu schließen. Er lag ganz ruhig und beobachtete grellbunte Bruchstücke, die durch sein Gesichtsfeld rasten. Er versuchte, sich zurechtzufinden: seine Füße waren eiskalt, und in seiner Nase spürte er den beißenden Gestank von Häftlingskleidung. Der Gesang hatte aufgehört, und Leamas wünschte sich plötzlich, er möge wieder anfangen. Freilich wußte er, dass er ihn nie mehr hören würde. Er versuchte, seine Hand zu heben und die Blutkrusten auf seinem Gesicht zu betasten, aber seine Hände waren auf dem Rücken zusammengebunden. Auch seine Füße waren wahrscheinlich gefesselt, da sie blutleer und eiskalt waren. Der Versuch, sich umzusehen und den Kopf dazu etwas vom Boden zu heben, verursachte ihm große Schmerzen. Zu seiner Überraschung sah er seine Knie vor sich. Als er seine Beine instinktiv strecken wollte, fuhr durch seinen ganzen Körper ein so plötzlicher, schrecklicher Schmerz, dass er einen gurgelnden Schrei ausstieß, der wie ein Todesschrei eines Menschen auf der Folterbank klang. Während er dann still lag, bemühte er sich keuchend, den Schmerz zu unterdrücken. Aus schierem Eigensinn versuchte er noch einmal ganz langsam, seine Beine zu strecken. Sofort kehrten die furchtbaren Schmerzen zurück, aber jetzt hatte er den Grund dafür entdeckt: Seine Hände und Füße waren auf dem Rücken zusammengekettet. Sobald er die Beine streckte, straffte sich dadurch die Kette und zog seine Schultern und den verletzten Kopf auf den Steinboden herunter. Sie mußten ihn zusammengeschlagen haben, als er bewußtlos war. Sein ganzer Körper war steif und zerschunden, und der Rücken schmerzte. Er fragte sich, ob er den Posten getötet hatte. Er hoffte es. Über ihm schien das Licht. Es war groß und hell, wie in einer Klinik. Keine Möbel, nur weißgekalkte Wände und eine in Anthrazitgrau gestrichene Stahltür, die die gleiche Farbe wie manche moderne Londoner Häuser hatte. Nichts sonst. Überhaupt nichts. Nichts, worüber man nachdenken konnte, nur der wilde Schmerz.

Er mußte Stunden so gelegen sein, ehe sie kamen. Das Licht ließ es in der Zelle heiß werden, und er war durstig, aber er widerstand dem Wunsch, zu rufen. Schließlich öffnete sich die Tür, und da stand Mundt. Er erkannte Mundt an seinen Augen. Smiley hatte ihm von diesen Augen erzählt.

17 MUNDT

Sie lösten die Fesseln und versuchten, ob er stehen konnte. Für einen Augenblick schien er fast dazu imstande zu sein. Aber als das Blut in Hände und Füße zurückkehrte, da die Gelenke von der langen Einschnürung befreit wurden, fiel er hin. Sie ließen ihn liegen und beobachteten ihn mit dem unbeteiligten Interesse von Kindern, die ein Insekt betrachten. Einer der Posten schob sich an Mundt vorbei und schrie Leamas an, aufzustehen. Leamas kroch zur Wand und stemmte die Innenflächen seiner schmerzenden Hände gegen die weiße Mauer. Er war schon beinahe auf den Beinen, als ihn der Posten trat, so dass er wieder zurückfiel. Er begann von neuem, sich hochzustemmen, und diesmal ließ ihn der Posten in Ruhe, bis er mit dem Rücken zur Mauer stand. Als Leamas sah, dass der Posten das Gewicht seines Körpers auf das linke Bein legte, wußte er, dass wieder ein Tritt kommen würde. Mit seinen ganzen noch vorhandenen Kräften warf er sich nach vorn und stieß seinen gesenkten Kopf dem Posten ins Gesicht. Sie stürzten zusammen, Leamas fiel obenauf. Der Posten rappelte sich auf, und Leamas wartete darauf, dass er es ihm heimzahlte. Aber Mundt sagte dann etwas zu dem Posten, und Leamas fühlte, wie man ihn an Schultern und Füßen aufhob, und er hörte seine Zellentür ins Schloß fallen, während sie ihn den Korridor hinuntertrugen. Er war sehr durstig.

Sie brachten ihn in ein kleines gemütliches Zimmer, das mit einem Schreibtisch und Klubsesseln hübsch eingerichtet war. Über die vergitterten Fenster waren zur Hälfte Sonnenblenden heruntergezogen. Mundt setzte sich an den Schreibtisch, und Leamas fiel in einen Klubsessel. Er hatte die Augen halb geschlossen. Die Posten stellten sich an die Tür.

»Geben Sie mir etwas zu trinken«, sagte Leamas.

»Whisky?«

»Wasser.«

An einem Waschbecken in der Ecke ließ Mundt eine Karaffe voll Wasser laufen und stellte sie zusammen mit einem Glas neben ihn.

»Bringen Sie ihm etwas zu essen«, befahl er, und einer der Posten verließ das Zimmer. Er kehrte mit einem Becher Suppe, in die eine Wurst hineingeschnitten war, zurück. Leamas trank und aß, wobei sie ihn schweigend beobachteten.

»Wo ist Fiedler?« fragte Leamas schließlich.

»Eingesperrt«, antwortete Mundt.

»Weswegen?«

»Wegen Verschwörung gegen die Sicherheit des Volkes.«

Leamas nickte langsam. »Sie haben also gewonnen«, sagte er. »Wann haben Sie ihn verhaftet?«

»Letzte Nacht.«

Leamas wartete einen Augenblick. Er versuchte, sich auf Mundt einzustellen.

»Was ist mit mir?« fragte er dann.

»Sie sind ein wesentlicher Zeuge. Sie werden freilich später selbst vor Gericht kommen.«

»Ich bin also Mitwirkender an einer Londoner Intrige, durch die Mundt verleumdet werden sollte, nicht wahr?«