Mundt nickte und zündete eine Zigarette an, die er durch einen Posten an Leamas weitergeben ließ. »Richtig«, sagte er. Der Posten kam heran und steckte Leamas die Zigarette mit nur widerwillig geleisteter Fürsorge zwischen die Lippen.
»Ein kompliziertes Unternehmen«, bemerkte Leamas. Töricht fügte er hinzu: »Sind doch schlaue Hunde, diese Chinesen.«
Mundt sagte nichts. Während des Verhörs konnte sich Leamas an die Pausen im Gespräch gewöhnen, die Mundt immer wieder einlegte. Mundt hatte eine recht angenehme Stimme, was Leamas nicht erwartet hatte, aber er sprach selten. Vielleicht war es eine der Erscheinungsformen von Mundts ausgeprägtem Selbstvertrauen, dass er nur sprach, wenn er etwas ganz Bestimmtes zu sagen wünschte, und dass er lieber ein langes Schweigen in Kauf nahm, als Austausch leerer Phrasen. Darin unterschied er sich von jenen beruflichen Vernehmern, die gerne Initiative entfalten, um eine bestimmte Atmosphäre zu schaffen, in der sie die psychologische Abhängigkeit des Gefangenen ausnützen können. Mundt verachtete jede eingefahrene Technik: Er war ein Mann der Tatsachen und der Tat. Leamas war das nicht unangenehm.
Mundts Erscheinung stimmte mit seinem Temperament überein. Er wirkte sehr sportlich. Sein blondes, kurzgeschnittenes Haar klebte stumpf und unordentlich an der Kopfhaut. Sein junges Gesicht hatte einen harten, klaren Zug und eine erschreckende Unmittelbarkeit. Es zeigte keinerlei Humor und hatte nichts Träumerisches. Er sah jung aus, aber nicht jugendlich. Auch ältere Männer nahmen ihn sicherlich ernst. Er war gut gebaut. Seine Anzüge paßten ihm, weil dieser Figur leicht etwas paßte. Es fiel Leamas keineswegs schwer, sich daran zu erinnern, dass Mundt ein Totschläger war. Er war von großer Kälte umgeben, von einer Aura rücksichtsloser Selbstgenügsamkeit, die ihn vollkommen für den Beruf des Mörders geeignet erscheinen ließ. Mundt war ein sehr harter Mann.
»Der andere Anklagepunkt, der Sie notfalls vor Gericht bringen wird«, fügte Mundt gelassen hinzu, »ist Mord.«
»Der Posten ist also gestorben, ja?« entgegnete Leamas. Ein bohrender Schmerz fuhr ihm durch den Kopf.
Mund nickte: »Angesichts dieser Tatsache ist das Verfahren gegen Sie wegen Spionage etwas theoretisch. Ich bin dafür, dass der Fall Fiedler öffentlich verhandelt wird. Das ist auch der Wunsch des Präsidiums.«
»Und Sie wollen mein Geständnis?«
»Ja.«
»Mit anderen Worten: Sie haben keine Beweise!«
»Wir werden Beweise haben. Und Ihr Geständnis werden wir auch haben.«
Es war keine Drohung in Mundts Stimme. Nichts Gekünsteltes. Kein theatralischer Trick.
»Andererseits könnte man Ihnen mildernde Umstände zubilligen. Sie sind vom Secret Service erpreßt worden; man hat Ihnen den Diebstahl von Geld vorgeworfen und Sie damit gezwungen, eine Falle gegen mich vorzubereiten. Das Gericht würde für diese Entschuldigung Verständnis haben.«
Leamas schien überrascht.
»Woher wissen Sie, dass man mir Unterschlagung vorgeworfen hat?« Aber Mundt gab keine Antwort.
»Fiedler ist sehr dumm gewesen«, bemerkte Mundt. »Sobald ich den Bericht von unserem Freund Peters las, wußte ich, warum Sie geschickt worden waren. Und ich wußte, dass Fiedler in die Falle gehen würde. Fiedler haßt mich sehr.« Mundt nickte, wie um die Wahrheit seiner Bemerkung zu betonen. »Ihre Leute wußten das natürlich. Es war eine sehr geschickt eingefädelte Sache. Wer hat sie vorbereitet? Smiley? Hat er das gemacht?«
Leamas sagte nichts.
»Sehen Sie, ich wollte den Bericht über Fiedlers Verhör mit Ihnen haben. Er sollte ihn mir schicken, aber er schob es immer wieder hinaus, und da wußte ich, dass ich recht hatte. Gestern verteilte er ihn dann im Präsidium, ohne mir einen Durchschlag zu schicken. Irgend jemand in London ist wirklich sehr schlau gewesen.«
Leamas sagte nichts.
»Wann haben Sie Smiley zuletzt gesehen?« fragte Mundt beiläufig. Leamas zögerte mit der Antwort. Er war unsicher, und sein Kopf schmerzte schrecklich.
»Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?« wiederholte Mundt.
»Ich kann mich nicht erinnern«, sagte Leamas schließlich. »Er war ja gar nicht mehr bei uns. Von Zeit zu Zeit kam er aber vorbei.«
»Er ist ein großer Freund Peter Guillams, nicht wahr?«
»Ich glaube, ja.«
»Sie äußerten bei Fiedler die Ansicht, Guillam habe die wirtschaftliche Lage in der DDR studiert. Eine einzelne kleine Unterabteilung in Ihrem Amt. Sie konnten nicht mit Gewißheit sagen, was da eigentlich gemacht wurde.«
»Ja.«
Das wilde Klopfen in seinem Kopf ließ die Geräusche und das Zimmer vor seinen Augen verschwimmen. Seine Augen waren heiß und schmerzten. Er fühlte sich krank.
»Nun, wann sahen Sie Smiley zuletzt?«
»Ich erinnere mich nicht … ich kann mich nicht erinnern.«
Mundt schüttelte den Kopf.
»Sie haben ein sehr gutes Gedächtnis für alles, was mich belastet. Wir können uns alle erinnern, wann wir jemanden zuletzt gesehen haben. Sahen Sie ihn zum Beispiel nach Ihrer Rückkehr aus Berlin?«
»Ja. Ich glaube, ja. Ich traf ihn einmal im Rondell.« Leamas hatte seine Augen geschlossen. Er schwitzte. »Ich kann nicht mehr, Mundt … Nicht mehr lange. Ich bin krank«, sagte er.
»Nachdem Ashe den Kontakt mit Ihnen aufgenommen hatte, nachdem er in die für ihn aufgebaute Falle gelaufen war, gingen Sie zusammen essen, nicht wahr?«
»Ja. Mittagessen.«
»Das dauerte bis vier Uhr. Wo sind Sie dann hingegangen?«
»Ich fuhr in die Innenstadt, glaube ich. Ich kann mich nicht genau erinnern … Um Gottes willen, Mundt«, sagte er, indem er seinen Kopf mit der Hand hielt, »ich kann nicht mehr. Mein verdammter Kopf ist …«
»Und wohin gingen Sie nachher? Warum strengten Sie sich derart an, Ihre Beschatter loszuwerden?«
Leamas sagte nichts, er keuchte in schweren Stößen und hatte den Kopf in die Hände gestützt.
»Beantworten Sie mir diese eine Frage, dann können Sie gehen. Sie bekommen ein Bett. Sie können schlafen, wenn Sie wollen. Sonst müssen Sie zurück in die Zelle, verstehen Sie? Sie werden wieder gefesselt, und man wird Sie wie ein Tier auf dem Boden füttern, verstehen Sie? Sagen Sie mir, wohin Sie gegangen sind?«
Das wilde Klopfen im Kopf verstärkte sich plötzlich, der Raum begann sich zu drehen. Er hörte Stimmen um sich herum und das Geräusch von Schritten. Gespensterhafte, lautlose Schatten schwebten heran und verschwanden. Jemand brüllte, aber nicht zu ihm. Die Tür war offen, er war sicher, dass jemand sie aufgemacht hatte. Das Zimmer war voll schreiender Menschen. Dann gingen sie wieder, einige waren schon vorher verschwunden. Er hörte sie abmarschieren, das Stampfen ihrer Füße war wie das Klopfen in seinem Kopf. Das Echo erstarb, und es herrschte Stille. Wie die Hand des Erbarmens selbst legte sich ein kühles Tuch über seine Stirn, und gütige Hände trugen ihn fort.
Er kam in einem Krankenbett zu sich, und an dessen Fußende stand Fiedler, der eine Zigarette rauchte.
18 FIEDLER
Leamas machte eine Bestandsaufnahme seiner Umgebung. Ein Bett mit Laken. Ein Einzelzimmer, ohne Gitter vor den Fenstern. Nur Vorhänge und Milchglas. Blaßgrüne Wände, dunkelgrünes Linoleum. Und Fiedler, der ihn rauchend betrachtete.
Eine Schwester brachte ihm Essen: ein Ei, etwas dünne Suppe und Obst. Er fühlte sich sterbenselend, aber er dachte sich, es sei gut, wenn er etwas esse. Fiedler schaute ihm zu.
»Wie geht es Ihnen?« fragte er.
»Verdammt schlecht«, antwortete Leamas.
»Aber besser?«
»Ich glaube, ja.« Er zögerte. »Diese Kerle haben mich fertiggemacht.«
»Sie haben einen Posten getötet, wissen Sie das?«
»Ich dachte es mir. Aber was erwartet man sich, wenn man eine Aktion derart blödsinnig aufzieht? Warum hat man uns nicht sofort verhaftet? Wozu drehen sie überall das Licht ab? Wenn irgend etwas überorganisiert war, dann war es das.«