»Und taten Sie das?«
»Nein.«
Karden legte seine Akten weg.
Eine tödliche Stille breitete sich im Saal aus. Endlich sagte Karden mit völlig beherrschter Stimme, und deshalb besonders eindrucksvoll, während er auf Leamas dteutete: »Smiley wollte wissen, ob Leamas ihr zuviel erzählt hatte. Denn dieses eine, das Leamas getan hatte, hätte der britische Geheimdienst niemals von ihm erwartet: Er hatte sich ein Mädchen genommen, um sich an ihrer Schulter auszuweinen.« Dann lachte Karden leise, als sei das alles ein netter Scherz: »Genau wie Karl Riemeck, er hat den gleichen Fehler gemacht.«
»Sprach Leamas jemals über sich selbst?« fuhr Karden fort.
»Nein.«
»Sie wissen nichts von seiner Vergangenheit?«
»Nein. Ich wußte, dass er etwas in Berlin getan hatte. Etwas für die Regierung.«
»Er sprach also doch von seiner Vergangenheit, nicht wahr? Sagte er Ihnen, dass er verheiratet gewesen war?«
Es entstand ein langes Schweigen. Liz nickte.
»Warum haben Sie ihn nicht im Gefängnis besucht? Sie hätten ihn besuchen können.«
»Ich glaube nicht, dass er mich sehen wollte.«
»Ich verstehe. Sie haben ihm aber geschrieben?«
»Nein. Ja, doch, einmal … Ich wollte ihm nur sagen, dass ich warten würde. Ich dachte, er könnte nichts dagegen haben.«
»Sie dachten nicht, dass er das auch wollte?«
»Nein.«
»Und nachdem er seine Zeit abgesessen hatte, machten Sie da keinen Versuch, mit ihm in Verbindung zu kommen?«
»Nein.«
»Hatte er irgend jemanden, zu dem er gehen konnte, wartete ein Arbeitsplatz auf ihn, hatte er Freunde, die ihn aufnehmen wollten?«
»Ich weiß es nicht.«
»Also hatten Sie Schluß mit ihm gemacht, nicht wahr?« fragte Karden höhnisch. »Hatten Sie einen neuen Geliebten gefunden?«
»Nein! Ich wartete auf ihn … Ich werde immer auf ihn warten.« Sie dachte nach. »Ich wollte, dass er zu mir zurückkommt.«
»Warum schrieben Sie ihm dann nicht? Warum versuchten Sie nicht, ihn zu finden?«
»Er wollte das nicht haben, verstehen Sie nicht?
Ich mußte ihm versprechen … ihm nie zu folgen … nie zu …«
»Er hat also vorausgesehen und erwartet, dass er am nächsten Tag eingesperrt werden würde, so ist es doch?« verlangte Karden mit triumphierender Stimme zu wissen.
»Nein … Ich weiß es nicht. Wie kann ich Ihnen sagen, was ich nicht weiß …«
»Verlangte er an diesem letzten Abend, bevor er den Kaufmann zusammenschlug, eine Erneuerung Ihres Versprechens? … Nun, tat er das?« Karden sprach jetzt barsch und einschüchternd.
Liz nickte erschöpft. Es war eine ergreifende Geste der Selbstaufgabe.
»Ja.«
»Und Sie sagten ihm Lebewohl?«
»Wir sagten uns Lebewohl.«
»Nach dem Abendessen, natürlich. Es war ziemlich spät. Oder verbrachten Sie die Nacht mit ihm?«
»Nach dem Essen. Ich ging heim … nicht geradewegs heim … Ich ging erst noch spazieren, ich weiß nicht, wohin. Eben nur so spazieren.«
»Womit begründete er denn diesen Abbruch Ihrer Beziehung?«
»Er hat die Beziehung doch gar nicht abgebrochen«, sagte sie. »Das hat er nie getan. Er sagte nur, dass er noch etwas tun müsse, dass da noch jemand ist, mit dem er unbedingt abzurechnen habe. Aber hinterher, wenn alles vorüber sei, käme er eines Tages vielleicht … wieder, wenn ich noch da wäre, und …«
»Und Sie sagten natürlich«, erklärte Karden ironisch, »dass Sie stets auf ihn warten würden? dass Sie ihn immer lieben würden?«
»Ja«, erwiderte Liz einfach.
»Sagte er, dass er Geld schicken wolle?«
»Er sagte … er sagte, die Dinge stünden gar nicht so schlecht, wie es aussähe, dass man sich um mich kümmern werde.«
»Und das war der Grund dafür, dass Sie später keine Rückfragen gestellt haben, als Ihnen eine Bank in der City nebenbei tausend Pfund zukommen ließ?«
»Ja, ja, das ist richtig! Jetzt wissen Sie alles - Sie haben es doch schon vorher gewußt. Warum ließen Sie mich holen, wenn doch schon alles klar war?«
Gelassen wartete Karden, bis ihr Schluchzen aufhörte.
»Dies«, bemerkte er schließlich zu den Richtern, »ist das Beweismaterial der Verteidigung. Ich bedaure es, dass unsere britischen Genossen ihre Parteiämter einem Mädchen anvertrauen, dessen Wahrnehmungsvermögen von Gefühlen getrübt ist, und dessen Wachsamkeit mit Geld eingeschläfert werden kann.«
Brutal fügte er hinzu, wobei er zuerst Leamas und dann Fiedler ansah: »Sie ist eine Närrin. Es war jedoch ein glücklicher Umstand, dass Leamas ihr begegnet ist. Es wäre jedoch nicht das erstemal gewesen, dass sich eine Revanchistenverschwörung durch die Dekadenz ihrer Drahtzieher selbst aufgedeckt hat.«
Nach einer kleinen, exakten Verbeugung vor dem Gericht setzte sich Karden nieder.
Als Leamas nun aufstand, ließen ihn die Wächter gewähren.
London mußte vollkommen verrückt geworden sein. Er hatte ihnen doch ausdrücklich gesagt - und dass war der Witz der Sache -, dass man Liz aus dem Spiel halten und sie in Ruhe lassen solle. Und jetzt stellte sich heraus, dass in demselben Augenblick, in dem er England verließ - oder sogar noch davor, nämlich als er im Gefängnis saß -, irgendein verdammter Idiot herumgelaufen war, um Ordnung zu machen, Rechnungen zu bezahlen, die Angelegenheit mit dem Kaufmann und mit dem Vermieter zu erledigen - und vor allen Dingen Liz. Das war Wahnsinn, das war unfaßbar. Was wollten sie eigentlich erreichen: Fiedler umlegen, ihren eigenen Agenten töten? Wollten sie ihre eigene Organisation sabotieren? War es Smiley allein - hatte ihn sein kleines, verderbtes Gewissen dazu getrieben? Jetzt hatte er nur noch eines zu tun: Liz und Fiedler herauszuholen, und alles auf sich zu nehmen. Er selbst war wohl so oder so schon abgeschrieben.
Wenn es ihm gelang, Fiedlers Haut zu retten, bestand eine kleine Hoffnung, dass auch Liz davonkam.
Woher, zum Teufel, wußte Karden soviel? Leamas war absolut sicher, dass ihm an jenem Nachmittag niemand zu Smileys Haus gefolgt war. Und das Geld - wie kamen sie auf die Geschichte von dem Geld, das er angeblich im Rondell gestohlen hatte? Das war doch nur für den inneren Gebrauch bestimmt … - Also wie? Wie, verdammt noch mal?
Verwirrt, zornig und bitter beschämt ging Leamas den Gang hinunter, langsam und starr wie ein Mann, der aufs Schafott steigt.
23 GESTÄNDNIS
»Gut, Karden.« Sein Gesicht war weiß und hart wie Stein. Er hatte den Kopf ein wenig zur Seite und nach hinten geneigt, wie ein Mann, der in die Ferne lauscht. Eine erschreckende Stille umgab ihn. Es war nicht Resignation, sondern Selbstbeherrschung: der Wille hielt seinen Körper in eisernem Griff. »Gut, Karden, lassen Sie jetzt das Mädchen in Ruhe.«
Liz sah ihn mit verweinten Augen an, ihr Gesicht war verschwollen und häßlich.
»Nein, Alec … nein«, sagte sie. Es schien für sie niemand anderen im Raum zu geben: nur Leamas. »Erzähle ihnen nichts«, sagte sie mit lauter werdender Stimme. »Nur meinetwegen sollst du ihnen nichts erzählen. Ich mache mir nichts mehr daraus, Alec, sicher nicht.«
»Sei ruhig, Liz«, sagte Leamas unbeholfen. »Es ist schon zu spät.« Seine Augen wandten sich der Vorsitzenden zu.
»Sie weiß nichts. Überhaupt nichts. Lassen Sie das Mädchen hier heraus und schicken Sie sie nach Hause. Ich werde Ihnen den Rest erzählen.«
Die Vorsitzende sah kurz zu den Männern, die neben ihr saßen, überlegte, und sagte dann: »Sie kann den Gerichtssaal verlassen. Aber ehe die Beweisaufnahme beendet ist, kann sie nicht fahren. Nachher werden wir sehen.«
»Sie weiß nichts, sage ich Ihnen«, brüllte Leamas. »Karden hat recht, verstehen Sie nicht? Es war von Anfang an eine geplante Sache. Woher sollte sie das gewußt haben? Sie ist nur ein enttäuschtes kleines Mädchen aus einer miesen Bibliothek. Für Sie ist sie doch völlig bedeutungslos!«
»Sie ist eine Zeugin«, erwiderte die Vorsitzende kurz. »Fiedler wird sie vielleicht vernehmen wollen.« Jetzt hieß er nicht mehr »Genosse«.