»Was sagte er von Fiedler? - Alec, warum läßt er uns gehen?«
»Er läßt uns gehen, weil wir unsere Arbeit getan haben. Steig ein, schnell!« Sein starker Wille zwang sie dazu, in den Wagen zu steigen. Sie schloß die Tür, während er sich hinter das Steuer setzte.
»Was hast du für einen Handel mit ihm gemacht?« beharrte sie. Argwohn und Furcht schwangen in ihrer Stimme mit. »Es hieß doch, du hättest gegen ihn konspiriert, du und Fiedler! Wieso läßt er dich jetzt gehen?«
Leamas fuhr schnell. Zu beiden Seiten der schmalen Straße waren kahle Felder. In der Ferne mischten sich eintönige Hügel mit der aufkommenden Dunkelheit. Leamas sah auf die Uhr.
»Wir haben fünf Stunden bis Berlin«, sagte er. »Wir müssen Köpenick bis Viertel vor eins erreichen. Wir sollten das leicht schaffen.«
Eine Weile schwieg Liz. Sie starrte durch die Windschutzscheibe auf die leere Straße. Sie war verwirrt und fand sich in dem Labyrinth ihrer halbgeformten Gedanken kaum noch zurecht. Es war Vollmond, und der Reif breitete sich in langen Schleiern über die Felder. Sie bogen auf eine Autobahn ein.
»Lag ich dir auf dem Gewissen, Alec?« fragte sie schließlich. »Hast du Mundt deshalb veranlaßt, mich gehen zu lassen?«
Leamas sagte nichts.
»Ihr seid Feinde, du und Mundt, nicht wahr?«
Er sagte immer noch nichts. Er fuhr jetzt schnell, die Tachometernadel stand auf hundertzwanzig. Die Autobahn war von Rissen durchzogen und holprig. Sie sah, dass er das Fernlicht eingeschaltet hatte und auch bei Gegenverkehr auf der anderen Fahrbahn nicht abblendete. Er fuhr wild, saß nach vorn gebeugt und lag mit seinen Ellbogen fast auf dem Steuer.
»Was wird aus Fiedler?« fragte Liz plötzlich.
Diesmal antwortete Leamas.
»Man wird ihn erschießen.«
»Warum haben sie dich dann nicht erschossen?« fragte Liz schnell weiter. »Sie sagten doch, du hättest mit Fiedler gegen Mundt konspiriert. Du hast einen Posten getötet. Wieso läßt Mundt dich laufen!«
»Nun gut!«, schrie Leamas plötzlich. »Ich werde dir sagen, was weder du noch ich jemals hätten erfahren sollen. Hör zu: Mundt ist unser Mann, der Agent Londons. Man kaufte ihn, als er in England war. Wir erleben den lausigen Schluß einer dreckigen, lausigen Aktion zum Schutz von Mundts Haut. Mundt sollte vor einem schlauen kleinen Juden in seinem eigenen Amt geschützt werden, der die Wahrheit zu ahnen begann. Sie ließen ihn durch uns töten, verstehst du? Wir sollten den Juden ermorden. Jetzt weißt du es, und Gott sei uns gnädig.«
25 DIE MAUER
»Wenn das so ist, Alec«, sagte sie schließlich, »was hatte dann ich dabei zu tun?« Ihre Stimme war ganz ruhig, fast sachlich.
»Das kann ich nur erraten, Liz, aus dem, was ich selbst weiß, und dem, was Mundt mir erzählt hat, bevor wir abfuhren: Fiedler hatte Mundt wohl schon gleich nach dessen Rückkehr aus England in Verdacht, doppeltes Spiel zu treiben. Er haßte ihn natürlich - warum sollte er nicht -, und überdies hatte er auch noch recht. Mundt hatte sich an London verkauft. Fiedler war zu mächtig, als dass Mundt ihn ohne Hilfe hätte beseitigen können, deshalb entschloß man sich in London, es für ihn zu tun. Ich kann sie mir gut bei der Ausarbeitung vorstellen. Sie sind so verdammt akademisch: ich sehe sie um ein Kaminfeuer herumsitzen, in einem ihrer eleganten, verfluchten Klubs. Sie wußten, dass Fiedlers Beseitigung allein nicht genug war. Er hatte seinen Verdacht vielleicht schon Freunden erzählt oder öffentlich irgendwelche Vorwürfe gegen Mundt erhoben. Deshalb mußte zusammen mit Fiedler auch jeder Verdacht gegen Mundt aus der Welt geschafft werden. Eine öffentliche Rehabilitierung, das war's, was sie für Mundt organisiert haben.«
Er zog in die Überholspur hinüber, um an einem Laster mit Anhänger vorbeizufahren. Im gleichen Augenblick schwenkte auch der Lastwagen herüber, so dass Leamas auf der holprigen Straße heftig bremsen mußte, um nicht in das Schutzgitter auf der linken Seite gedrückt zu werden.
»Ich sollte Mundt verleumden«, sagte er. »Sie sagten mir, er müsse liquidiert werden, und ich war bereit. Es sollte mein letzter Auftrag sein. Zu diesem Zweck habe ich meine Arbeit immer mehr vernachlässigt und schließlich schlug ich den Kaufmann nieder. Du weißt das alles.«
»Und dass du mit mir ein Verhältnis hattest?« fragte sie ruhig. Leamas schüttelte den Kopf.
»Das ist ja gerade der springende Punkt, verstehst du?« fuhr er fort. »Mundt wußte von all dem, er kannte den Plan, er veranlaßte mit Fiedler zusammen, dass ich von Ashe aufgelesen werde. Von da an überließ er mich freilich Fiedler. Er wußte, dass sich Fiedler am Ende selbst hängen würde. Meine Aufgabe bestand nur darin, dass ich ihn auf die Wahrheit führte, nämlich zu der Überzeugung, dass Mundt ein britischer Spion sei.« Er zögerte. »Deine Aufgabe war es, meine Glaubwürdigkeit zu erschüttern. Fiedler ist erschossen worden, während Mundt vor einem faschistischen Komplott gnädig errettet werden konnte. Die alte Geschichte von den Schattenseiten der Liebe.«
»Aber wie konnten sie von mir wissen, wie konnten sie wissen, dass wir zusammenkommen würden?« rief Liz. »Mein Gott, Alec, können sie sogar schon voraussagen, ob sich Menschen verlieben werden?«
»Davon hing es nicht ab. Sie wählten dich, weil du jung warst, hübsch und in der Partei, und weil sie wußten, dass du mit einer richtig aufgetakelten Einladung leicht nach Deutschland zu holen warst. Dass ich in der Bibliothek arbeiten würde, das wußten sie, denn sie hatten auf dem Arbeitsamt diesen Pitt, und er schickte mich hin. Er war während des Krieges beim Geheimdienst, ich nehme an, dass sie ihm etwas zahlten. Es genügte für ihre Zwecke ja, dass sie uns irgendwie in Kontakt miteinander brachten, und wenn es nur für einen Tag war, das spielte keine Rolle. Hinterher konnten sie dich dann aufsuchen, dir Geld schicken, damit es wie eine Liebesaffäre aussah, selbst wenn es keine gewesen wäre, verstehst du? Es genügte schon, wenn sie es wie eine Verliebtheit aussehen ließen. Entscheidend war nur, dass es so wirkte, als schickten sie dir auf meinen Wunsch und meine Veranlassung hin das Geld - und so konnte man es auslegen, nachdem wir einmal in Kontakt gebracht worden waren. Wie es lief, haben wir es ihnen sehr leicht gemacht …«
»Ja, das haben wir.« Dann fügte sie hinzu: »Ich fühle mich schmutzig, Alec, als wäre ich als Zuchtstute benützt worden.«
Leamas sagte nichts.
»War es für das Gewissen deiner Dienststelle leichter, dass sie jemanden von der Partei mißbraucht haben und nicht nur irgendwen?« fuhr Liz fort.
Leamas sagte: »Vielleicht. Sie denken ja nicht wirklich in solchen Begriffen. Es war eben für die Unternehmung nützlich.«
»Ich hätte in diesem Gefängnis bleiben sollen, nicht wahr? Das wollte doch Mundt, oder nicht? Er hat keinen Grund gesehen, weshalb er das Risiko eingehen sollte - ich habe schon zuviel gehört und hätte noch mehr vermuten können. Schließlich war Fiedler unschuldig, nicht wahr? - Aber er ist ja nur ein Jude«, fügte sie erregt hinzu, »deshalb macht es nichts weiter, nicht wahr?«
»Aber so hör doch auf!« rief Leamas.
»Trotz allem ist es merkwürdig, dass Mundt mich gehen läßt - auch wenn es mit dir so abgemacht ist«, grübelte sie. »Ich stelle doch jetzt ein Risiko dar. Wenn wir nach England zurückkommen, meine ich. Ein Parteimitglied mit all dem Wissen … Es kommt mir unlogisch vor, dass er mich gehen ließ.«
»Ich nehme an«, erwiderte Leamas, »dass er durch unsere Flucht dem Präsidium demonstrieren möchte, dass noch mehr Fiedlers in seinem Amt sitzen und gestellt werden müssen.«
»Und noch mehr Juden?«
»Es gibt ihm die Chance, seine Stellung zu sichern«, antwortete Leamas kurz angebunden.
»Dadurch, dass er noch mehr Unschuldige umbringt? Es scheint dich nicht weiter zu berühren.«
»Freilich berührt es mich. Es macht mich krank vor Scham und Ärger und … Aber ich bin anders erzogen worden, Liz! Ich kann es nicht nur in Schwarz und Weiß sehen. Menschen, die in diesem Spiel mitmachen, nehmen Risiken auf sich. Fiedler verlor, und Mundt gewann. London gewann, das ist der springende Punkt! Es war ein sehr schmutziges Unternehmen. Aber es hat sich gelohnt. Und hier gilt nur das.« Als er sprach, hob sich seine Stimme, bis er schließlich fast schrie.