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Einige sagten, sein Netz sei aufgerollt worden, weil er in Berlin Fehler gemacht habe, aber niemand wußte etwas Bestimmtes. Alle waren sich einig, dass er mit ungewöhnlicher Härte behandelt worden war, selbst wenn man die Maßstäbe einer Personalabteilung anlegte, die sich keineswegs durch besondere Menschenfreundlichkeit auszeichnete. Wenn er vorüberging, zeigte man heimlich auf ihn, wie auf einen früher berühmten Sportler, und sagte: »Das ist Leamas. Er hat in Berlin Pech gehabt. Traurig, wie er sich gehenläßt.«

Und dann war er eines Tages verschwunden. Er nahm von niemandem Abschied, offenbar nicht einmal vom Chef. An sich war das nicht überraschend. Die Natur des Geheimdienstes schließt kunstvolle Verabschiedungen und die Überreichung von goldenen Uhren aus, aber selbst nach diesem Maßstab schien Leamas' Abgang äußerst plötzlich zu sein. Soweit man es beurteilen konnte, schied er vor Ablauf seines Vertrages aus. Elsie aus der Buchhaltung hausierte mit ein paar mageren Informationen. Leamas hatte sich den Rest seines Gehaltes in bar auszahlen lassen, und wenn Elsie überhaupt etwas von der Sache verstand, so bedeutete dies, dass er Schwierigkeiten mit seiner Bank hatte. Das Geldgeschenk an ihn war am Ende des Monats zu zahlen, sie konnte nicht sagen wieviel, aber es war keine vierstellige Zahl, armer Kerl. Sein Krankenversicherungsausweis war nachgeschickt worden. Von der Personalabteilung war ihm ein Schreiben zugestellt worden, fügte Elsie mit einem Nasenrümpfen hinzu, aber freilich konnte man nicht erfahren, was drinstand - nicht von der Personalabteilung.

Dann war da eine Geldgeschichte. Es sickerte durch - wie üblich wußte niemand woher -, dass die plötzliche Entlassung von Leamas etwas mit Unregelmäßigkeiten in der Buchführung der Bankabteilung zu tun habe. Es habe eine größere Summe gefehlt - nach Aussage einer Dame mit blaugefärbtem Haar, die in der Telefonzentrale arbeitete, war die Summe nicht drei-, sondern vierstellig gewesen, und man hatte fast alles davon zurückbekommen, machte jetzt aber ein Zurückbehaltungsrecht auf seine Pension geltend. Andere wieder hielten das Gerücht für unglaubwürdig. Sie sagten, Alec hätte sicherlich eine bessere Methode gefunden, als sich mit der Buchhaltung der Zentrale anzulegen, wenn er schon die Kasse plündern wollte. Niemand hatte Zweifel daran, dass er dazu fähig gewesen wäre, aber man glaubte, er hätte es sicher besser gemacht. Wer jedoch von den schlummernden kriminellen Fähigkeiten Leamas' weniger überzeugt war, erinnerte an den großen Alkoholkonsum, an die Kosten, die immer mit dem Unterhalt eines getrennten Haushaltes verbunden sind, an den großen Unterschied zwischen den Auslandsbezügen und dem Gehalt, das Leamas zu Hause bekam, und vor allem erinnerten sie an die Versuchung, die der Umgang mit großen Summen heißen Geldes in dem Augenblick für einen Mann bedeuten mußte, da seine Tage beim Geheimdienst gezählt waren. Alle stimmten überein, dass Alec für immer erledigt war, wenn er seine Hände tatsächlich in den Honigtopf gesteckt hatte. Die Sozialabteilung würde sich nicht mehr um ihn kümmern, und die Personalleute stellten ihm sicherlich kein Zeugnis aus - oder ein so eiskaltes, dass es auch bei dem begeistertsten Arbeitgeber ein Frösteln hervorrufen müßte.

Es gab nur eine Sünde, die die Personalabteilung einem nicht zu vergessen erlaubte: die Unterschlagung - und auch sie selbst würde diese Sünde nie mehr vergessen. Wenn es stimmte, dass Alec das Rondell bestohlen hatte, so müßte er den Bannfluch der Personalabteilung mit ins Grab nehmen - und sie würde nicht einmal das Leichentuch bezahlen.

Ein paar Leute fragten sich nach seinem Ausscheiden noch ein oder zwei Wochen lang, was wohl aus ihm geworden war. Aber seine früheren Freunde hatten schon gelernt, sich von ihm fernzuhalten. Er hatte sich in einen grollenden Langeweiler verwandelt, der nichts anderes im Sinn hatte, als auf den Geheimdienst und dessen Verwaltung zu schimpfen oder seinem Ärger über jene Leute Luft zu machen, die er »Kommißknöpfe« nannte, weil sie - wie er sagte - die Organisation leiteten, als ob sie ein Regimentsklub sei. Er ließ nie eine Gelegenheit aus, über die Amerikaner und deren Abwehr herzuziehen. Er schien sie noch mehr zu hassen als die ostzonale Abteilung, die er nur selten oder gar nicht erwähnte. Er versäumte es nicht, regelmäßig anzudeuten, die Amerikaner seien es gewesen, die sein Netz aufs Spiel gesetzt hatten. Dieser Gedanke schien sich zu einer fixen Idee bei ihm zu entwickeln, und da er ein miserabler Gesellschafter geworden war, fanden die Versuche tröstlichen Zuspruchs nur spärlichen Dank, so dass ihn bald auch diejenigen seiner Bekannten abschrieben, die ihn stillschweigend geschätzt hatten. Leamas' Abschied kräuselte die Wasserfläche nur wenig - andere Winde und der Wechsel der Jahreszeiten ließen ihn bald vergessen sein.

Seine kleine Wohnung war recht erbärmlich, die Wände waren braun getüncht und an ihnen hingen Fotografien von Clovelly. Die Fenster blickten auf die grauen Rückseiten von drei Lagerhäusern, auf die aus ästhetischen Gründen mit Teerfarbe Fenster aufgemalt waren. Über einem der Lagerhäuser wohnte eine italienische Familie, die sich nachts herumstritt und morgens Teppiche klopfte. Leamas besaß wenig, womit er die Räume verschönern konnte. Er kaufte einige Lampenschirme, um die Glühbirnen abzudecken, und zwei Paar Laken anstelle des Sackleinens, mit dem der Hausherr die Betten überzogen hatte. Den Rest tolerierte Leamas: die Blumenmustervorhänge, die weder eingefaßt noch eingesäumt waren, die braunen, abgenützten Teppiche und die plumpen Möbel aus dunklem Holz, die aus einer Seemannsherberge zu stammen schienen. Aus einem gelben, zerfallenen Badeofen erhielt er für einen Shilling heißes Wasser.

Er brauchte Arbeit. Er hatte überhaupt kein Geld mehr. Deshalb mochte auch die Unterschlagungsgeschichte wahr sein. Die Angebote des Geheimdienstes, bei der Arbeitssuche behilflich zu sein, schienen Leamas lauwarm und merkwürdig unangemessen zu sein. Er versuchte zuerst, eine kaufmännische Arbeit zu bekommen. Eine Fabrik industrieller Klebstoffe zeigte Interesse für seine Bewerbung um den Posten eines Direktionsassistenten und Personalchefs. Das Zeugnis, das ihm der Geheimdienst ausgestellt hatte, war unzureichend, aber man nahm keinen Anstoß daran und verlangte keinen weiteren Befähigungsnachweis. Man bot ihm sechshundert Pfund im Jahr. Er blieb eine Woche, und in dieser Zeit durchdrang der üble Gestank faulenden Fischöls seine Kleider, sein Haar und setzte sich in seinen Nasenlöchern wie der Geruch des Todes fest. Kein noch so häufiges Waschen konnte ihn entfernen, so dass Leamas am Schluß sein Haar bis auf die Kopfhaut abschneiden ließ und zwei seiner besten Anzüge wegwarf. Er verbrachte eine weitere Woche mit dem Versuch, in den Vororten Londons Nachschlagewerke an Hausfrauen zu verkaufen, aber er war nicht der Mann, den Hausfrauen schätzten oder verstanden. Sie hatten nicht auf Leamas gewartet, gar nicht zu reden von seinen Enzyklopädien. Nacht für Nacht kehrte er mit seinem lächerlichen Musterband unter dem Arm müde in seine Wohnung zurück. Am Ende der Woche rief er die Firma an und sagte, dass er nichts verkauft habe. Sie waren nicht überrascht und erinnerten ihn nur an seine Verpflichtung, das Muster zurückzugeben, sobald er nicht mehr für sie arbeiten wollte, und legten auf. Wütend verließ Leamas die Telefonzelle, ließ den Musterband dort liegen und ging in die Kneipe, um sich für fünfundzwanzig Shilling zu betrinken, was er sich eigentlich nicht leisten konnte. Als er eine Frau anschrie, die ihn mitnehmen wollte, warf man ihn hinaus und verbot ihm, jemals wiederzukommen. Aber eine Woche später war alles vergessen. Leamas begann dort bekannt zu werden.

Auch anderswo fing man an, seine graue, torkelnde Gestalt zu kennen, die eigentlich in ein feineres Wohnviertel zu gehören schien. Er sprach niemals und hatte keinen einzigen Freund, sei es ein Mann, eine Frau oder ein Tier. Man nahm an, dass er in Schwierigkeiten steckte, dass er höchstwahrscheinlich seiner Frau davongelaufen war. Beim Einkaufen wußte er nie den Preis der Ware, sooft er ihm auch gesagt worden war - er konnte sich nie daran erinnern. Wenn er Kleingeld suchte, klopfte er immer alle Taschen ab. Er vergaß stets, einen Korb mitzubringen, und kaufte jedesmal einen Tragbeutel. In seiner Straße mochte man ihn nicht, aber man fühlte fast ein gewisses Mitleid mit ihm. Man war auch der Ansicht, dass er schmutzig sei, weil er sich am Wochenende nicht rasierte und seine Hemden ganz schmierig waren. Eine Woche lang machte eine Mrs. McCaird aus der Sudbury Avenue bei ihm sauber, aber sie gab die Arbeit wieder auf, weil er nie ein einziges freundliches Wort mit ihr gesprochen hatte. Sie war in dieser Straße, deren Kaufleute einander versicherten, dass man für den Fall, Leamas wolle Kredit haben, im Bilde sein müsse, eine wichtige Informationsquelle. Mrs. McCaird war gegen Kredit. Leamas bekomme nie Post, sagte sie, und dies war ernst zu nehmen - darin waren sich alle einig. Er besitze keine Bilder und nur wenige Bücher, von denen eines ihrer Ansicht nach wohl schmutzig sein müßte, auch wenn sie sich dessen nicht ganz sicher sein konnte, da es in einer fremden Sprache geschrieben war. Sie vertrat die Meinung, er bestreite sein Leben von einem Rest seines Besitzes, dass aber dieser Rest zu Ende gehe. Sie wüßte, dass er jeden Dienstag die Arbeitslosenunterstützung abholte.