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»Du hast mich falsch verstanden«, sagte sie, »ganz falsch.«

»Woran glaubst du dann?«

»An Geschichte.«

Er sah sie einen Moment erstaunt an, dann lachte er.

»O Liz … o nein … Du bist doch nicht etwa eine verdammte Kommunistin?«

Sie nickte, wobei sie wie ein kleines Mädchen errötete, denn sie war über sein Gelächter ärgerlich und doch gleichzeitig erleichtert, dass es ihn nicht weiter störte. Sie ließ ihn diese Nacht nicht fortgehen. Er verließ sie um fünf Uhr morgens. Sie war sehr stolz, aber er schien beschämt zu sein. Das konnte sie nicht verstehen.

Er verließ ihre Wohnung und ging in Richtung auf den Park die leere Straße entlang. Es war nebelig. Nicht weit die Straße hinunter, vielleicht zwanzig Meter, stand die Gestalt eines Mannes. Er trug einen Regenmantel, war klein und ziemlich dick. Er lehnte am Geländer des Parks und hob sich als Silhouette gegen den ziehenden Nebel ab. Als Leamas näher kam, schien sich der Nebel zusammenzuziehen und die Figur ganz zu umschließen, und als er sich wieder teilte, war der Mann verschwunden.

5 KREDIT

Etwa eine Woche später kam er eines Tages nicht in die Bibliothek. Miß Crail war entzückt. Bis halb elf hatte sie es ihrer Mutter berichtet. Nach der Mittagspause trat sie vor das Regal, an dem er seit seinem Kommen gearbeitet hatte, und starrte mit auffällig gespielter Konzentration auf die Buchreihen. Sie gab sich vor Liz den Anschein, als prüfe sie, ob Leamas etwas gestohlen hatte.

Liz nahm daraufhin für den Rest des Tages keine Notiz mehr von ihr, gab keine Antwort, wenn sie von ihr angesprochen wurde, und arbeitete mit verbissenem Fleiß. Als der Abend kam, ging sie nach Hause und weinte sich in den Schlaf.

Am nächsten Morgen kam sie früher als sonst in die Bibliothek. Sie hatte das Gefühl, Leamas werde um so eher zurückkommen, je früher sie selbst an Ort und Stelle war; aber als der Morgen sich hinschleppte, schwanden all ihre Hoffnungen, und sie wußte, dass er niemals mehr kommen würde. Sie hatte an diesem Tag vergessen, sich Sandwiches zu machen, deshalb entschloß sie sich, mit dem Bus in die Bayswater Road zu fahren und dort in ein Buffet zu gehen. Sie fühlte sich krank und leer, aber nicht hungrig. Sollte sie sich auf die Suche nach ihm machen? Sie hatte versprochen, ihm nicht nachzulaufen, aber er hatte versprochen, ihr vorher Bescheid zu sagen. Sollte sie zu ihm gehen?

Sie rief ein Taxi und sagte seine Adresse.

Sie lief das schmutzige Treppenhaus hinauf und läutete an seiner Tür. Die Glocke schien nicht zu funktionieren, denn sie hörte nichts, als sie auf den Knopf drückte. Auf dem Fußabstreifer standen drei Flaschen Milch, daneben lag ein Brief vom Elektrizitätswerk. Sie zögerte einen Moment, dann trommelte sie an die Tür und hörte das schwache Stöhnen eines Mannes.

Sie lief die Treppe hinunter zur tiefer gelegenen Wohnung, hämmerte und läutete an der Tür. Da niemand Antwort gab, rannte sie ganz hinunter und kam in das Hinterzimmer eines Krämerladens. Eine alte Frau saß in einer Ecke und schaukelte in ihrem Stuhl vor und zurück.

»Im obersten Stock«, schrie sie fast. »Jemand ist sehr krank. Wer hat einen Schlüssel?«

Die alte Frau sah sie einen Moment an, dann rief sie in den Laden: »Arthur! Komm her, Arthur, ein Mädchen ist hier.«

Ein Mann in einem braunen Overall mit grauem Filzhut schaute zur Tür herein und fragte:

»Mädchen?«

»Jemand im obersten Stock ist schwer krank«, sagte Liz. »Er kann nicht an die Tür kommen und sie aufmachen. Haben Sie einen Schlüssel?«

»Nein«, sagte der Krämer, »aber ich habe einen Hammer.« Zusammen eilten sie die Stufen hinauf, der Krämer noch mit seinem Filzhut auf dem Kopf, in der Hand einen schweren Schraubenzieher und einen Hammer. Er pochte an die Tür, und atemlos warteten sie auf Antwort. Es kam keine.

»Ich habe vorhin gehört, dass jemand stöhnte - ganz bestimmt«, flüsterte Liz.

»Bezahlen Sie die Tür, wenn ich sie aufbreche?«

»Ja.«

Der Hammer machte schrecklichen Lärm. Mit drei Schlägen hatte der Mann ein Stück des Rahmens und das Schloß herausgeschlagen. Liz ging zuerst hinein, der Kaufmann folgte ihr. In dem Raum war es bitter kalt und dunkel, aber auf dem Bett in einer Ecke war die Gestalt eines Mannes zu erkennen.

O Gott, dachte Liz, ich kann ihn nicht anfassen, wenn er tot ist. Aber sie ging zu ihm hinüber und sah, dass er lebte. Sie zog die Vorhänge auf und kniete sich neben das Bett.

»Ich werde Sie rufen, wenn ich Sie brauche, danke sehr«, sagte sie, ohne sich umzudrehen. Der Kaufmann nickte und ging hinunter.

»Alec, was ist los? Was hast du, was ist, Alec?«

Leamas bewegte seinen Kopf auf dem Kissen; seine eingesunkenen Augen waren geschlossen. Der dunkle Bart hob sich von der Blässe seines Gesichts ab.

»Alec, du mußt es mir sagen, bitte, Alec.« Sie hielt eine seiner Hände in der ihren. Die Tränen liefen ihr die Wangen hinunter. Verzweifelt fragte sie sich, was zu tun sei, dann stand sie auf, lief in die winzige Küche und stellte einen Kessel Wasser aufs Gas. Sie wußte nicht genau, was sie tun sollte, aber es beruhigte sie, irgend etwas zu unternehmen. Sie ließ den Kessel auf dem Gas, nahm ihre Handtasche und den Wohnungsschlüssel vom Nachttisch und lief die vier Treppen und über die Straße zu Mr. Sleaman hinunter, in dessen Geschäft sie eine Dose Hühnerbrust, Suppenwürfel und eine Schachtel Aspirin kaufte. Als sie schon an der Tür war, drehte sie um und kaufte noch ein Paket Zwieback. Alles zusammen kostete sechzehn Shilling. Sie besaß noch vier Shilling in bar und elf Pfund auf ihrem Postsparbuch, von dem sie heute nichts mehr abheben konnte.

Das Wasser kochte gerade, als sie wieder in die Wohnung zurückkam. Sie goß die Suppenwürfel in einem Glas auf, wie es ihre Mutter immer machte, indem sie einen Löffel hineinstellte, um das Zerspringen des Glases zu verhindern. Unterdessen ließ sie Leamas nicht aus den Augen, als fürchtete sie, er könnte tot sein.

Sie mußte ihn stützen, damit er die Suppe trinken konnte. Er besaß nur ein Kopfkissen, und da es in der Wohnung keine anderen Polster gab, nahm sie seinen Mantel vom Haken hinter der Tür, machte ein Bündel daraus und stopfte es hinter das Kopfkissen. Sie hatte Angst vor der Berührung mit ihm, er war schweißnaß, und sein kurzes graues Haar war feucht und klebrig. Sie stellte das Glas ab, hielt seinen Kopf mit der einen Hand und flößte ihm die Suppe mit der anderen ein. Als er einige Löffel zu sich genommen hatte, zerdrückte sie zwei Aspirintabletten und gab sie ihm mit dem Löffel. Sie redete ihm wie einem Kind zu, während sie auf der Bettkante saß, ihn und sein Gesicht mit den Fingerspitzen streichelte, wobei sie immer seinen Namen flüsterte: »Alec, Alec.«

Allmählich wurde sein Atem gleichmäßiger und sein Körper entspannte sich, da er aus dem schmerzhaften Fieberkrampf in einen ruhigen Schlaf hinüberglitt. Liz fühlte, dass er das Schlimmste überstanden hatte. Plötzlich kam ihr zu Bewußtsein, dass es fast dunkel war.

Als ihr einfiel, dass sie aufräumen konnte, statt herumzusitzen, schämte sie sich. Sie sprang auf, holte aus der Küche die Teppichkehrmaschine und einen Staublappen und machte sich fieberhaft an die Arbeit. Als sie in einem Zimmer fertig war und ein sauberes Tischtuch auf den Nachttisch gelegt hatte, wusch sie in der Küche das herumstehende Geschirr ab. Als sie auf die Uhr sah, war es halb neun. Sie setzte den Kessel auf und ging ans Bett zurück. Leamas schaute sie böse an.

»Alec, sei nicht böse, bitte, nicht«, sagte sie. »Ich versprech' dir, dass ich dann gehe, aber laß mich erst etwas Richtiges zu essen für dich machen. Du bist krank, du kannst so nicht weitermachen. Du bist … oh, Alec.« Sie verlor die Beherrschung und weinte, wobei sie die Hände vors Gesicht hielt, so dass ihr die Tränen wie bei einem Kind zwischen den Fingern hinunterliefen. Seine braunen Augen waren unbewegt auf sie gerichtet, während seine Hände das Betttuch hielten.