Das Märchen vom Mann im Mond
Vor uralten Zeiten ging einmal ein Mann am lieben Sonntagmorgen in den Wald, haute sich Holz ab eine großmächtige Welle, band sie, steckte einen Staffelstock hinein, hackte die Welle auf und trug sie nach Hause zu. Da begegnete ihm unterwegs ein hübscher Mann in Sonntagskleidern, der wollte wohl in die Kirche gehen, blieb stehen, redete den Wellenträger an, und sagte: "Weißt Du nicht, daß auf Erden Sonntag ist, an welchem Tage der liebe Gott ruhte, als er die Welt und alle Tiere und Menschen geschaffen? Weißt Du nicht, daß geschrieben steht im dritten Gebot: Du sollst den Feiertag heiligen?" Der Fragende aber war der liebe Gott selbst; jener Holzhauer jedoch war ganz verstockt und antwortete: "Sonntag auf Erden, oder Mondtag im Himmel, was geht das mich an, und was geht es Dich an?" "So sollst Du deine Reissigwelle tragen ewiglich!" sprach der liebe Gott, "und weil der Sonntag auf Erden Dir so gar unwert ist, so musst Du fürder ewigen Mondtag haben, und im Mond stehen, ein Warnungsbild für Die, welche den Sonntag mit Arbeit schänden!" Von der Zeit an steht im Mond immer noch der Mann mit dem Holzbündel, und wird wohl auch so stehen bleiben bis in alle Ewigkeit.
Die Königskinder
In einem Walde stand ein kleines, einsames Häuschen, darinnen eine Mutter mit ihrer Tochter, welche letztere schon ziemlich erwachsen war, wohnte. Die Alte war ein sehr böses und listiges Weib, sie trieb allerlei geheimnißvolle Dinge. Ihr Ansehen erregte bei fremden Menschen, die sie sahen, Schauder und Furcht. Sie war von Gesicht über alle Maaßen häßlich, ihre Augen waren roth wie Feuer, und blitzten unstät und unheimlich, um den Kopf trug sie stets eine schwarzes Tuch, über welchem die starren grauen Haare niederhingen. Im Sommer war ihr gebräunter Nacken, Brust und Arme unbedeckt, ein schwarzes Mieder mit großen Knöpfen umschloß den vorgebeugten Leib; ein rother Rock stach sehr grell ab von den nackten dunkelbraunen Beinen und dem schneeweißen Sack, den sie an der Achsel hängen hatte. Doch das unheimlichste war noch ein Ring, den sie am Zeigefinger der rechten Hand trug, der war von Gold und mit rothen Flammensteinen besetzt; er glänzte, daß er die Augen verblendete. So schlich die böse Alte stets im Walde umher. Sah sie einen Wanderer, oder einen Reisewagen, so drang sie sich den Leuten auf, sagte ihnen wahr, gar wunderliche Dinge, und bettelte dabei. Und fand sie Kinder im Walde, so lockte sie diese in ihre Wohnung und schlachtete sie. Dagegen war ihre Tochter ein gar gutherziges Mädchen, das oft im Stillen über die bösen Thaten der Mutter bitterlich weinte und den lieben Gott bat, ihr doch von der argen Mutter zu helfen. Doch diese hatte, so schien es, das ewige Leben, sie wurde nie krank, und obgleich ihre Glieder alt und steif und ganz abgezehrt waren, so besaß sie doch eine Kraft wie der stärkste Mann. Dies alles hatte sie nur ihrem Zauberring zu danken; und noch viel mehr, denn die Hand, an welcher sie den Reif trug, war immer unsichtbar, daher sie, wo sie nur einen fremden Menschen draußen im Walde ansprach, allemal zugleich in dessen Tasche griff, die Börsen, und was sie drinnen fand herauszog, ohne daß es derselbige nur im Geringsten merkte. Auch machten die rothen Flammenstrahlen der Ringsteine die Thiere stille stehend, wo sie denselben in die Augen blinkten, da mußten die Thiere starr in die Strahlen sehen, bis die Alte den Ring am Finger drehte. So schlich sie denn oft im Walde herum, trug einen großen Topf, ließ die Ringsteine in die Augen der Hirschkühe blinken, daß sie still stehen mußten, und molk sie dann. Einmal des Abends saß sie daheim bei ihrer Tochter und trank auch solche Hirschkuh-Milch, als es an ihr Fensterlein klopfte; und als sie darauf hinaus sah, standen zwei bildschöne und köstlich gekleidete Kinderchen draußen und weinten, und das größeste, ein Knäblein sprach: "Ach wir haben uns verirrt, und nun wird es Nacht, alt' Mütterchen, sei so gut und laß uns diese Nacht in deinem Häuschen schlafen, morgen wollen wir suchen, unsere Heimath wieder zu finden." Die Alte grinzte vor teuflischer Freude, machte schnell die Hausthüre auf und ließ die Kinderchen ein. Aber sie ging gleich sehr böse mit ihnen um, sie zog ihnen ihre schönen Kleider aus, so daß sie ganz nackend waren, und steckte sie in einen finstern Stall. Dann nahm sie einen alten Tiegel, goß Milch darein, setzte ihn hin vor die Kinder und sprach: "Hier, eßt die Milch, daß ihr bald fett werdet, daß ich euch schlachten kann, ihr seid doch nichts nütze auf der Welt, ihr Bälge." Ach, wie sehr weinten die armen Kinder! Sie konnten vor Kummer nichts essen; doch überfiel sie bald ein Schlaf, der sie ihrem Herzeleid entrückte. Sie träumten, daß sie daheim wären bei der lieben Mutter und dem Vater und daß sie gar schön spielten. Aber wie sie erwachten und ihre traurige Lage wieder gewahr wurden, fingen sie von Neuem an zu weinen und zu klagen. Endlich hörten sie die Stallthüre aufgehen, es kam Jemand, und sie fürchteten sich sehr und meinten, jede Minute geholt und geschlachtet zu werden. Diesmal kam aber die Tochter, denn die Alte war schon hinaus in den Wald. Dem guten Mädchen thaten die lieben Kinder herzlich leid, sie wollten ihnen gerne helfen, allein sie selbst mußte sich sehr vor der bösen Mutter fürchten. Sie fragte liebreich die Kinder: "Wie heißet ihr denn?" Da antwortete das Knäblein schluchzend: "Ich heiße Irmin, und mein Schwesterchen heißt Elmine, wie heißest Du denn?" Sie sagte: "Ich heiße Käthe. Aber wer ist denn euer Vater? wo seid ihr denn her?" - Das Knäblein sprach: "Mein Vater trägt einen goldenen Mantel und eine Krone und unsre Heimath ist so schön, Du solltest nur einmal zu uns kommen." Käthe sprach: "Ich will suchen, euch zu befreien, aber jetzt gleich kann es nicht geschehen; seid nur ruhig und geduldig, ich lasse euch nimmermehr schlachten. Esset eure Milch, ich will euch auch Erdbeeren und Brod bringen, seid nur ruhig, liebe Kinderchen. Und so lange ich noch keinen Plan zu eurer Rettung gefunden, so lange nehmt diese zwei Hölzchen, und wenn meine Mutter kommt und spricht: haltet einmal eure Finger heraus, ich will sehen ob ihr fett seid, so haltet diese Hölzchen hin, daß sie euch noch nicht für fett genug befindet, und nicht schlachtet." Die Kinderchen fühlten sich getröstet von Käthe's Worten, sie hörten auf zu weinen, aßen und tranken und freuten sich schon herzlich, daß sie nach Hause kommen sollten. Des Abends, wenn die Alte heim kam, ging sie allemal zum Stall und rief den Kindern zu: "Steckt eure Finger heraus," aber die Kinder hielten ihre Hölzchen hin, die Alte schnitt hinein mit einem scharfen Messer und sprach jedesmaclass="underline" "Ihr seid noch dürre!" und ging wieder fort. Und am Morgen, wenn die Alte fort war, dann kam die gute Käthe zu den Kindern, brachte ihnen Speise und tröstete sie. Aber einmal, als die Alte Abends zu den Kindern kam, hatten diese ihre Hölzchen verloren und mußten ihre zarten Fingerchen hinausreichen, und die Alte schnitt hinein, und schrie voll Freude: "Nun seid ihr fett, morgen schlachte ich euch!" - O welches Herzeleid für die armen Kinder! Am Abend noch mußte Käthe Wasser beitragen, daß die Kinder nach dem Schlachten damit gebrüht würden. Und die Käthe weinte heimlich, und sann und sann, wie sie noch die armen Kinder befreien könnte. In der Nacht schlich sie ganz leise von ihrem Lager, spuckte darauf und sprach mit leiser Stimme: Liebes, liebes Bette, sprich, Wenn die Mutter ruft, für mich. Dann spuckte sie auf ihre Lade, auf die Treppe, und in die Küche, und bat allemal so. Dann machte sie den Stall auf, ließ die Kinder heraus und entfloh mit ihnen. Am Morgen rief die Alte: "Käthe, steh gleich auf und schüre Feuer an," und es antwortete: "Ich bin schon auf!" Nach einer Weile, als Käthe nicht kam, rief die Alte wieder: "Käthe, kömmst Du noch nicht?" Da antwortete es: "Ich sitze schon auf meiner Lade und ziehe Strümpfe an!" Aber es verging wieder eine Weile und Käthe kam nicht, und die Alte rief: "Käthe, wo bleibst Du denn?" Da tönte es: "Ich bin schon auf der Treppe!" Die Alte schlief wieder ein, und als sie endlich abermals erwachte, und draußen alles ganz ruhig war, schrie sie zornig: "Käthe, faule Strunze, wo bleibst Du denn?" Da sprach es: "Ich bin ja in der Küche." Aber die Alte hörte nicht das geringste Geräusch, da fuhr sie endlich vom Lager auf, und wollte Käthe tüchtig ausschelten und durchprügeln, aber siehe da, keine Käthe war zu finden und auch die Kinder waren fort. - Nun war die Alte außer sich vor Wuth, und schritt flugs von dannen, um ihre Tochter und die Kinder zu suchen und fürchterliche Rache zu nehmen. Vermöge ihres Zauberrings hatte sie sogleich die Spur der Flüchtlinge entdeckt, und machte so hastige Schritte, daß sie gar bald die Dreie in einiger Entfernung gewahrte. Auch die Kinder hatten sich umgesehen, und das alte böse Weib mit Schrecken bemerkt, und sie wußten nicht wo nur hinaus und hinan vor Angst, daß sie der Alten schnell genug entwichen, denn diese kam mit Riesenschritten herbei. Da saß ein gar großer schwarzer Adler am Weg, zu dem riefen die Kinder voller Angst: "O lieber Adler, trag' uns geschwind Hin wo unsre guten Aeltern sind." Und der Vogel machte seine Flügel breit, und trug pfeilschnell die kleinen Flüchtlinge sammt Käthen durch die Lüfte, und setzte sie vor einem herrlichen Schloß nieder. Da kam ein Mann, angethan mit einem goldgestickten Mantel und auf dem Haupte trug er eine Krone, und mit ihm kam eine schöne Frau heraus, die begrüßten und empfingen in der größesten Freude ihre lieben Kinder, welche vor einiger Zeit verloren worden waren. Und die gute Käthe mußte immerdar bei den Kindern bleiben und wurde sehr gut gehalten. Aber der Adler war wieder hinweg geflogen und als er den Fingerreif mit den roten Flammensteinen am Finger der nacheilenden Alten erschaut hatte, war er gierig auf sie niedergestoßen, hatte sie mit seinen Krallen emporgerissen und dann so lange an ihren Finger gepickt, bis er den Ring in seinem Schnabel hatte, dann ließ er die Zeter schreiende Alte los. Diese stürzte vor dem schönen Schloß nieder - aber in einen Teich, und in demselben Augenblick schnalzte ein mächtiger Fisch empor und verschlang sie.