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Gott Überall

Es waren ein Paar Geschwister, hießen Görgel und Lieschen, seelengute Kinder, die blieben einmal ganz allein zu Hause; ihre Aeltern waren über Feld gegangen, und trugen Körbe, die sie von Weiden geflochten hatten, zum Verkauf in die Stadt. Zwar hatten die guten Aeltern ihren Kindern, Görgeln und Lieschen, jedem ein ziemliches Stück Brod gegeben, davon sie sich diesen Tag über nähren sollten, allein bald hatte Görgel seines aufgezehrt und verspürte noch Eßlust, hatte aber nichts mehr zu brocken und zu beißen. Lieschen gab ihm noch ein wenig von ihrem Brod, doch auch dieses sättigte den Jungen nicht ganz, und er fing an mit schelmischen Schmeichelworten zu seinem jüngern Schwesterchen zu reden: "Komm, lieb' Lieschen, wir wollen ein wenig von dem süßen Rübensaft naschen, den die Mutter draußen im Schrank aufbewahrt; es ist ein großer Topf voll, sie merkt es gewiß nicht dran, und es sieht's ja auch gar Niemand." Aber Lieschen sprach: "Ei, Du bist sehr böse, Görgel, wenn Du das thust; siehst Du nicht die Sonnenstrahlen dort: am Schrank? die läßt der liebe Gott hinanscheinen, und der sieht's auch, wenn wir naschen." Da sprach Görgeclass="underline" "So wollen wir auf den Dachboden gehen, wo die Mutter schöne Birnen liegen hat, davon wollen wir essen, dort ist kein Fenster, kann die Sonne nicht hinein scheinen, und dort sieht uns also der liebe Gott auch nicht." Lieschen weigerte sich Anfangs, endlich gingen die Kinder doch nach dem Dachboden; aber hier fielen die gebrochenen Sonnenstrahlen reichlich durch die Lücken der Dachziegel und flimmerten ganz eigenthümlich über den Birnen, als wenn sie darauf tanzten und Lieschen sprach wieder: "O Görgel, auch hier sieht uns der liebe Gott, hier dürfen wir nicht naschen." Sie gingen wieder herunter, und auf der Treppe fiel dem Görgel etwas bei, was er gleich aussprach? "Ei, im Keller hat die Mutter ein Töpfchen voll Rahm (Sahne) stehen, und drunten ist's ganz dunkel, da kann unmöglich der liebe Gott hinein sehen; komm, laß uns hinuntergehen, Lieschen, komm geschwind, geschwind!" - Görgel faßte sein zögerndes Schwesterchen fest an der Hand, und zog es schnell mit sich fort, hinunter in den Keller, wo er sorgfältig die Thüre von innen wieder zumachte, daß kein Tag hinein scheine, und es der liebe Gott nicht sähe, wenn sie von dem Rahm naschten. Aber nach einigen Minuten wurde es ein wenig licht im Keller, Lieschen sah, daß durch eine Mauerspalte die liebe Sonne herein schien, und gerade auf das Rahmtöpfchen, da erschrak das gute Lieschen und ging eilig wieder hinauf in die Stube. Görgel aber blieb, verstopfte ärgerlich die Spalte mit Moos, und fing an, von dem Rahm zu essen. Doch wie er im besten Lecken und Schlecken war, rollte ein mächtiger Donner über ihn, und der Blitz zuckte durch die Mauerspalte, daß es ganz hell und feurig im Keller war, und ein schwarzer Mann stieg aus einer Ecke des Kellers, schritt auf Görgeln zu, und setzte sich ihm gerade gegenüber; er hatte zwei feurige Augen, mit denen er fort und fort nach dem Rahmtöpfchen hinfunkelte, so daß der Görgel vor Angst keinen Finger regen konnte und daß er ganz still sitzen bleiben mußte. Indessen war zum Lieschen droben in der Stube ein gar holdes Engelein gekommen, hatte ihm, nebst vielen schönen Spielsachen und Kleidern, auch Zuckerküchlein und süße Milch gebracht, und hatte so lange mit Lieschen gespielt, bis dessen Aeltern zurück kamen, die mit großer Freude die schönen Sachen betrachteten. Als dieselben nach dem Görgel fragten, erschrak Lieschen, denn sie hatte über die schönen Geschenke von dem Engelskindlein ganz vergessen, daß ihr Bruder im Keller geblieben war, und rief nun: "Ach, du lieber Gott, der ist ja noch im Keller, wir wollen ihn geschwinde holen, vielleicht kann er die Thüre nicht wieder aufbringen." Alle gingen schnell hinunter, machten die Kellerthüre auf, und siehe, da saß Görgel noch ganz starr, und hielt den Rahmtopf in der Hand. Und wie er das Geräusch hörte, und seine Mutter sahe, erschrak er heftig und fuhr zusammen und weinte. Und die Mutter nahm ihm den halb leergegessenen Rahmtopf aus den Händen, führte ihn heraus aus dem Keller und gab ihm seinen wohlverdienten Plätzer. Der Görgel hat aber in seinem ganzen Leben nicht wieder genascht, und wenn später manchmal Andre ihn zu etwas Bösen verleiten wollten und zu Thaten, die das Licht scheuen, so sagte er immer: "Ich thu's nicht, ich gehe nicht mit, der Gott Ueberall sieht's, Gott behüte mich'" - Und ist ein durchaus rechtlicher und braver Mann geworden.

 

Der Hase und der Fuchs

Ein Hase und ein Fuchs reisten beide mit einander. Es war Winterszeit, grünte kein Kraut, und auf dem Felde kroch weder Maus noch Laus. "Das ist ein hungriges Wetter," sprach der Fuchs zum Hasen, "mir schnurren alle Gedärme zusammen." - "Ja wohl" antwortete der Hase. "Es ist überall Dürrhof, Und ich möchte meine eignen Löffel fressen, wenn ich damit ins Maul langen könnte." So hungrig trabten sie mit einander fort. Da sahen sie von weitem ein Bauernmädchen kommen, das trug einen Handkorb, und aus dem Korb kam dem Fuchs und dem Hasen ein angenehmer Geruch entgegen, der Geruch von frischen Semmeln. "Weißt Du was!" sprach der Fuchs. "Lege Dich hin der Länge lang, und stelle Dich todt. Das Mädchen wird seinen Korb hinstellen und Dich aufheben wollen, um Deinen armen Balg zu gewinnen, denn Hasenbalge geben Handschuhe; derweilen erwische ich den Semmelkorb, uns zum Troste." Der Hase that nach des Fuchsen Rath, fiel hin und stellte sich todt, und der Fuchs duckte sich hinter eine Windwehe von Schnee. Das Mädchen kam, sah den frischen Hasen, der alle Viere von sich streckte, stellte richtig ihren Korb hin und bückte sich nach dem Hasen. Jetzt wischte der Fuchs hervor, erschnappte den Korb und strich damit querfeldein, gleich war der Hase lebendig und folgte eilend seinem Begleiter. Dieser aber stand gar nicht still, und machte keine Miene, die Semmeln zu theilen, sondern ließ merken, daß er sie allein fressen wollte. Das vermerkte der Hase sehr übel. Als sie nun in die Nähe eines kleinen Weihers kamen, sprach der Hase zum Fuchs: "Wie wäre es, wenn wir uns eine Mahlzeit Fische verschafften? Wir haben dann Fische und Weißbrod, wie die großen Herren! Hänge Deinen Schwanz ein wenig ins Wasser, so werden die Fische, die jetzt auch nicht viel zu beißen haben, sich daran hängen. Eile aber, ehe der Weiher zufriert." Das leuchtete dem Fuchs ein, er ging hin an den Weiher, der eben zufrieren wollte, und hing seinen Schwanz hinein, und eine kleine Weile, so war der Schwanz des Fuchses fest angefroren. Da nahm der Hase den Semmelkorb, fraß die Semmeln vor des Fuchses Augen ganz gemächlich, eine nach der andern, und sagte zum Fuchs: "Warte nur, bis es aufthaut, warte nur bis ins Frühjahr, warte nur bis es auftaut!" und lief davon, und der Fuchs bellte ihm nach, wie ein böser Hund an der Kette.