Der Mönch und das Vögelein
Es war in einem Kloster ein junger Mönch, des Namens Urbanus, gar fromm und fleißig, dem war der Schlüssel zur Bücherei des Klosters anvertraut, und er hütete sorglich diesen Schatz, schrieb manches schöne Buch und studirte viel in den andern Büchern und in der heiligen Schrift. Da fand er auch einen Spruch des Apostels Petrus, der lautet: Vor Gott sind tausend Jahre wie ein Tag und eine Nachtwache. Das dünkte dem jungen Mönch schier unmöglich, möcht' und konnte es nicht glauben, und quälte sich darob mit schweren Zweifeln. Da geschah es eines Morgens, daß der Mönch herunter ging aus dem dumpfen Bücherzimmer in den hellen schönen Klostergarten, da saß ein kleines buntes Waldvögelein im Garten, das suchte Körnlein, flog auf einen Ast und sang schön wie eine Nachtigall. Es war auch dieses Vöglein gar nicht scheu, sondern ließ den Mönch nahe an sich heran kommen, und er hätte es gern gehascht, doch entfloh es, von einem Ast zum andern, und der Mönch folgte ihm eine gute Weile nach, dann sang es wieder mit lauter und heller Stimme, aber es ließ sich nicht fangen, obschon der junge Mönch das Vöglein aus dem Klostergarten heraus in den Wald noch eine gute Weile verfolgte. Endlich ließ er ab, und kehrte zurück nach dem Kloster, aber ein anderes dünkte ihm Alles, was er sah. Alles war weiter, größer und schöner geworden, die Gebäude, der Garten, und statt des niedern alten Klosterkirchleins stand jetzt ein stolzes Münster da, mit drei Thürmen. Das dünkte dem Mönch sehr seltsam, ja zauberhaft. Und als er an das Klosterthor kam und mit Zagen die Schelle zog, da trat ihm ein ihm gänzlich unbekannter Pförtner entgegen, der wich bestürzt zurück vor ihm. Nun wandelte der Mönch über den Klosterkirchhof, auf dem waren so viele viele Denksteine, die er gesehen zu haben sich nicht erinnern konnte. Und als er nun zu den Brüdern trat, wichen sie alle vor ihm aus, ganz entsetzt. Nur der Abt, aber nicht sein Abt, sondern ein andrer, junger, hielt ihm Stand, streckte ihm aber auch gleich ein Crucifix entgegen und rief: "Im Namen des Gekreuzigten, Gespenst, wer bist Du? Und was suchst Du, der den Höhlen der Todten entflohen, bei uns, den Lebenden?" Da schauerte der Mönch zusammen, und wankte wie ein Greis wankt, und senkte den Blick zur Erden. Siehe, da hatte er einen langen silberweißen Bart bis über den Gürtel herab, an dem noch der Schlüsselbund hing zu den vergitterten Bücherschreinen. Den Mönchen dünkte der Mann ein wunderbarer Fremdling, und sie leiteten ihn mit scheuer Ehrfurcht zum Sessel des Abtes. Dort gab er einem jungen Mönch die Schlüssel zu dem Büchersaal, der schloß auf, und brachte ein Chronikbuch getragen, darin stand zu lesen, daß vor dreihundert Jahren der Mönch Urban spurlos verschwunden, Niemand wisse, ob entflohen oder verunglückt, "O Waldvögelein, war das Dein Lied?" fragte der Fremdling mit einem Seufzer. "Kaum drei Minuten lang folgte ich Dir und horchte Deinem Gesang, und drei Jahrhunderte vergingen seitdem! Du hast mir das Lied von der Ewigkeit gesungen, die ich nicht fassen konnte! Nun fasse ich sie, und bete Gott an im Staube, selbst ein Staub!" Sprach's und neigte sein Haupt, und sein Leib zerfiel in ein Häuflein Asche.
Die sieben Schwanen
In einem Lande war ein junger Rittersmann, der war reich und schön, und hatte eine prächtige Burg. Zu einer Zeit ritt er mit seinen Hunden in den Wald um zu jagen, da sah er eine Hindin (Hirschkuh), die war weißer als der Schnee, und floh vor ihm auf und davon in das Gebirge zwischen die wilden hohen Gesträuche. Der Rittersmann aber folgte ihr gar eilig nach, und kam zuletzt in ein wildes finstres Thal, da verlor er durch die Hunde die Hindin aus dem Gesicht, ritt hin und her und rief die Hunde wieder zusammen. Darüber kam er an einen Fluß, an dem sah er eine schöne Jungfrau stehen, die wusch sich und trug in der Hand eine güldne Kette. Und da ihm diese Jungfrau sehr wohl gefiel, so stieg er sacht vom Roß, schlich sich ihr unversehens nah und nahm ihr die goldne Kette aus der Hand. In dieser Kette aber war sonderliche Kraft und Planetenzauber, und die Jungfrau war ein Wünschelweiblein, und so schön, daß er ob ihrer Schönheit die Hindin sammt seinen Hunden vergaß, und gedachte die Jungfrau heimzuführen als seine Gemahlin. Und also that er auch und führte sie heim auf seine Burg. Nun hatte der junge Rittersmann noch eine Mutter, der kam die Schnur ungelegen, denn sie hatte bisher das Regiment ganz allein geführt, und besorgte sich nun, daß sie Gewalt und Ansehen auf dem Schloß verlieren werde. Und wurde der Schnur gram und haßte sie, und ermahnte oft ihren Sohn, jene nicht allzulieb zu haben, und hätte gar zu gern Unfrieden und Zwietracht zwischen beiden angestiftet. Aber sie konnte das nicht zuwege bringen, denn ihr Sohn wollte ihre Worte nicht hören und war dann jedesmal ungehalten auf sie. Als sie nun das wahrnahm, da stellte sie sich in allem willfährig und dienstgefällig gegen ihren Sohn, und gegen die junge Frau, aber es kam bei ihr alles aus einem falschen Herzen, darin sie zumal ein grausame Bosheit erdacht hatte gegen die junge Frau, obschon sie sie äußerlich gar sehr zu ehren schien. Darüber kam die Zeit, daß die junge Frau in das Kindbett kam, und genas von sechs Söhnen und einer Tochter, die trugen alle goldne Ringe um ihre Hälse. Sofort kam das alte böse Weib, die Mutter des jungen Herrn, und bewies nun ihre niederträchtige Bosheit, die sie in ihrem falschen Herzen ausgesonnen hatte, und nahm die sieben Kinderchen, wahrend die Mutter schlief, trug sie hinweg, und legte sieben junge Hündlein, die in derselben Nacht geworfen worden, an deren Stelle. Nun hatte dieses falsche und ungetreue Weib einen vertrauten Knecht, dem überantwortete sie die sieben Kinder, und verpflichtete ihn bei Treuen und Eide, daß er sie in den wilden Wald tragen, sie tödten und begraben sollte in der Erde, oder sie im Wasser ertränken. Das gelobte der Knecht zu thun, trug die Kindlein in den Wald, legte sie unter einen Baum und bereitete sich, sie zu erwürgen. Da kam ihn aber ein Grauen an vor dem Mord, und er schauderte zurück vor solch ungeheurer That, und ließ die Kindlein leben, ging und sagte der Frau, daß er ihr Gebot vollbracht habe. Aber der Schöpfer aller Wesen, der alle Dinge zum Besten lenkt, erbarmte sich der Kindlein und sandte ihnen einen Nährvater, das war ein alter weiser Meister, der in dem Walde wohnte, Weisheit zu pflegen, der nahm die Kindlein in seine Klause und nährte sie mit der Milch der Hirschkühe, die zu ihm zu kommen ge- wohnt waren, sieben Jahre lang. Als jenes böse Weib die Kinder weggebracht hatte von der Mutter, führte sie ihren Sohn zu der jungen Frau, zeigte ihm die Hündlein und sprach: "Siehe, Sohn, die Kinder, die deine Frau Dir geboren, es sind junge Hunde." Das that sie ihrem Sohn aus Rache an, weil er die junge Frau so lieb hatte. Als er das sah, glaubte er seiner Mutter und warf einen Haß auf die junge Frau, die er vorher so lieb gehabt, wollte auch kein Wort einer Entschuldigung hören, sondern er ließ sie auf dem Hofe vor dem Palas seiner Burg in die Erde eingraben bis an die Brust, und über ihr Haupt ließ er ein Waschbecken mit Wasser setzen, und gebot allem seinem Gesinde, sich über ihrem Haupt zu waschen und ihre Hände an ihrem schönen Haar zu trocknen. Auch sollte sie keine andere Nahrung bekommen, wie die Hunde. Und so mußte das arme unschuldige Weib stehen bleiben in der Grube in Nöthen und Aengsten sieben ganzer Jahre, und durfte sich ihrer keine Seele erbarmen. Darüber verzehrte sich ihr schöner Leib, ihre Kleider vermoderten und es blieb nur die Haut über ihren Gebeinen. Indessen lemten die jungen Kinder im Walde Wild und Vögel schießen, und sich von deren Fleisch nähren, und da geschah es, daß der Ritter, ihr Vater, wieder einmal jagen ritt in dem Walde. Da ward er der Kinder gewahr, die in dem Holze spielend hin und her liefen, und hatten alle güldne Kettlein am Halse. Und sein Herz ward von Neigung zu den Kindern bewegt; hätte gern eins oder das andere ergriffen, aber sie ließen sich nicht fangen, sondern verschwanden im Walde. Daheim erzählte er seiner Mutter und andern Herren und Freunden, daß er im Walde kleine Kinder gesehen mit Goldkettchen an den Hälsen. Darüber erschrak seine Mutter innerlich, nahm den Knecht vor und fragte ihn: "Hast Du damals die Kinder getödtet, oder hast Du sie leben lassen?" Da bekannte der Knecht, daß er sie nicht mit eigner Hand zu tödten vermocht habe, doch habe er sie unter einen Baum gelegt, und da wären sie gewiß bald gestorben. Hierauf gebot sie dem Knecht, schleunigst in den Wald zu reiten, die Kinder zu suchen, die mit nichten gestorben seien, und ihnen die goldnen Ketten zu nehmen, sonst würden sie beide zu Schanden werden. Der Knecht gehorchte voll Angst, suchte drei Tage die Kinder im Walde und fand sie nicht; erst am vierten Tage fand er sie, sie hatten die Kettchen abgelegt, und waren nun in Schwäne verwandelt, und spielten auf dem Wasser. Aber das Mädchen hatte noch seine menschliche Gestalt und sah den Schwänen zu, wie sie auf dem Wasser spielten. Da ging der Knecht heimlich hinzu und nahm die sechs goldnen Kettchen weg; aber das Mädchen entlief ihm, daß er es nicht erreichen konnte. Wie der Knecht die Ketten der Alten darbrachte, sandte sie zu einem Goldschmied und hieß ihn von denselben einen Becher machen. Als der Goldschmied nun von den Ketten einen Becher gießen wollte, befand er, daß das Gold also edel und rein war, daß es weder mit dem Hammer verarbeitet noch im Feuer fließend gemacht werden konnte, bis auf ein Kettchen, das zerschlug er und machte einen Ring davon; die andern wog er auf seiner Wage, legte sie beiseit und gab dafür an Gewicht so viel anders Gold und machte einen Becher davon, den gab er der Frau und auch den Ring, die schloß beides fest in ihren Kasten. Jene Söhne aber, die nun ihre menschliche Gestalt nicht wieder erlangen konnten, wurden betrübt und sangen mit süßer kläglicher Stimme wehmuthvollen Gesang, der klang wie Weinen kleiner Kinder. Zuletzt erhoben sie sich auf ihrem Gefieder hoch empor, zu sehen , wo sie sich hinwenden möchten? Da gewahrten sie einen großen spiegelklaren See, auf dem ließen sie sich nieder. Der See aber umschloß einen hohen Berg, an dem hing ein großer Felsen und auf diesem lag eine schöne Burg. Der Felsen war also steil, und das Wasser stand so dicht am Berge, daß außer einem ganz schmalen Steig keinerlei Zugang zur Burg war. Und das war gerade die Burg des jungen Ritters, welcher der Vater jener Kinder war, und die Fenster des Speisesaales der Burg standen nach dem Wasser gekehrt, so daß der Herr bald der Schwanen gewahr ward, und wunderte sich, denn er hatte so schöne Vögel noch niemals gesehen. Darum warf er ihnen Brod und andere Speise hinunter, und gebot allem seinem Gesinde, daß sie Niemand solle verjagen oder vertreiben, sondern sie sollten allezeit Brod hinunter werfen, so lange, daß die Schwane sich dort beständig heimisch hielten. Diesem Gebot ward fleißig nachgelebt, und die Schwäne gewöhnten sich daheim und wurden so zahm, daß sie stets zur Essenszeit kamen und ihr Futter empfingen. Das arme verlassene Mädchen aber, ihre Schwester, hatte nun zwar ihre menschliche Gestalt behalten, war aber hülflos, und ging betteln hinauf auf die Burg ihres Vaters. Da gab man ihr den Abfall vom Tische, und sie theilte diesen mit der armen Frau in der Grube, denn so oft sie diese sah, mußte sie bitterlich weinen. Doch kannte eins das andere nicht. Auch brachte das Mägdlein noch einige übrig geblieben Brosamen herunter unter die Burg an das Wasser und gab die den Schwanen, ihren Brüdern. Allezeit, wenn sie nahte, so kamen die Schwanen herbei, fliegend und flatternd und kitternd, und aßen ihre Speise aus der Schürze des Mägdleins. Das koste sie freundlich und nahm sie oft in ihre Arme, und ging dann stets gegen Abend wieder auf die Burg, und schlief alle Nacht vor der Frau, die in der Erde stand, ohne daß sie wußte, daß diese ihre Mutter war. Alle Bewohner der Burg sahen das alles mit großer Verwunderung, und daß sie immer weinte, wenn sie bei der Frau stand, und auch, daß sie dieser sehr ähnlich sah. Und da ward auch des Ritters Herz bewegt, daß er das Mägdlein näher betrachtete, und sah die Aehnlichkeit mit seiner Frau, und sah auch an ihrem Halse das qüldne Kettlein. Und ließ das Dirnlein vor sich treten und fragte es: "Mein liebes Kind, sage mir, von wannen bist Du und von wannen kömmst Du her? Wer sind Deine Aeltern und wie hast Du die Schwanen so gezähmt, daß sie aus Deinem Schooße essen?" Da erseufzete das arme Kind aus tiefstem Herzensgrund und sprach: "Lieber Herr! die Aeltern, die ich hatte, habe ich nicht gekannt. Ich weiß auch nicht, ob ich sie gesehen habe? Wenn Du aber nach den Schwanen fragst, das sind meine Brüder, die mit mir ernährt wurden von der Milch der Hindinnen im Walde. Zu einer Zeit geschah es, daß meine Brüder ihre goldenen Ketten ablegten, weil sie baden wollten, da wurden sie in Schwäne verwandelt; und weil die Ketten geraubt wurden, konnten sie die Menschengestalt nicht wieder erlangen, und mußten Schwäne bleiben." Diese Rede vernahmen das falsche untreue Weib und der Knecht, ihr Helfershelfer, und erschraken heftiglich und wurden beide bleich im Bewußtsein ihrer Schuld. Der Ritter nahm das wahr, und dachte darüber nach, indem er von der Burg herab spazieren ging. Die Alte aber hetzte den Knecht auf, er sollte das Mägdlein tödten. Und er nahm ein blankes Schwert und folgte dem Mägdlein, als es na