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Der Hahn und der Fuchs

In einer kalten Winternacht kroch ein hungriger Fuchs aus seinem Bau und ging dem Fange nach. Da hörte er auf einem Meierhofe einen Hahn fort und fort krähen, der saß auf einem Kirschenbaum, und hatte schon den ganzen Tag gekräht. Jetzt strich der Fuchs hin nach dem Baum und fragte: "Herr Hahn, was singst Du in dieser kalten und finstern Nacht?" Der Hahn sprach: "Ich verkünde den Tag, dessen Kommen meine Natur mich erkennen lehrt." Darauf versetzte der Fuchs: "O Hahn, so hast Du etwas Göttliches in Dir, daß Du zukünftig kommende Dinge weißt!" und alsbald begann der Fuchs zu tanzen. Jetzt fragte der Hahn: "Herr Fuchs, warum tanzest Du?" Ihm antwortete der Fuchs: "So Du singest, o Du weiser Meister, so ist es billig, daß ich tanze, denn es ziemet, sich zu freuen mit den Fröhlichen. O Hahn, Du edler Fürst aller Vögel, Du bist nicht allein begabt zu fliegen in den Lüften, nein, auch hohe Prophetengaben lieh Dir die Natur! O wie bevorzugte sie Dich vor allen andern Tieren! Wie glücklich wär' ich, gönntest Du mir Deine Gunst! Wie gerne küßt' ich Dein weisheitdurchdrungenes verehrtes Haupt! O wie beneidenswerth, wenn ich dann künden könnte meinen Freunden: ich war der Glückliche dem ein Prophet sein Haupt zum Kusse hingeneigt!" Der alberne Hahn glaubte dem Schmeichelwort des arglistigen Fuchses, flog vom Baum und hielt ihm seinen Kopf zum Küssen hin. Mit einem Schnapper war er abgebissen, und lachend sprach der Fuchs: "Ich habe den Propheten ohne alle Vernunft befunden." Als das Mäuslein diese Fabel geendigt hatte, fuhr es fort zum Raben zu sprechen: "Ich habe Dir dieß nicht gesagt, weil ich glaube, daß ich der Hahn sei und Du der Fuchs, ich die Speise und Du der Fresser, vielmehr will ich glauben, daß Deine Worte nicht mit zweigespaltener Schlangenzunge gesprochen sind." Und darauf ging die Maus an die Oeffnung ihres Thürloches. Der Rabe fragte: "Warum stellst Du Dich unter die Thüre? Was macht Dich so zaghaft, zu mir heraus zu gehen? Hegst Du immer noch Furcht vor mir?" Darauf antwortete das Mäuslein: "Ich habe meinen Glauben und mein Vertrauen auf Dich gesetzt, denn Du gefällst mir, und nicht Furcht vor Deiner Unredlichkeit hält mich ab, hervorzukommen. Aber Du hast viele Gesellen Deiner Art, doch vielleicht nicht Deines Gemüthes, und deren Freundschaft ist nicht mit mir, wie die Deine. Sieht mich einer, so muß ich fürchten, daß er mich frißt." Dagegen sprach der Rabe: "Zu treuer Genossenschaft gehört doch vor allem, daß einer sei seines Genossen treuer Freund, und Feind seines Feindes; sei gewiß, o Freundin Sambar, daß mir kein Freund lebt, der nicht ein eben so treuer Freund Dir sein soll, wie ich selbst. Auch habe ich Macht und Kraft genug, Dich zu schützen und zu schirmen." Nun endlich ging das Mäuslein Sambar hervor aus seinem Löchlein, und verschwur sich mit dem Raben zu einem unverbrüchlichen Freundschaftsbündniß, und als das geschehen war, wohnten sie bei- und nebeneinander friedsam und freundlich, und erzählten einander alle Tage schöne Märchen. Endlich aber zu einer Zeit sprach der Rabe zur Maus: "Höre, meine liebe Freundin Sambar, Deine Wohnung ist doch gar lautbar und zu nahe am Weg; ich besorge, es kommt einmal Einer, der Dich oder mich schießt oder schädigt, auch fällt es mir schwer, hier meine Nahrung zu finden. Aber ich weiß einen lustigen und nützlicheren Aufenthalt, da giebt es Wasser und Wiesen, Früchte und Futter, und dort in dem Wasser wohnt auch noch eine alte Freundin von mir, gar eine treue Genossin; ich wünschte, Du zögest mit mir an jenen Ort." "Das will ich Dir gern zu Liebe tun," sprach die Maus, "denn ich bin hier selbst scheu und halte mich nicht recht sicher, deshalb siehst Du auch die vielen Ein- und Ausgänge meiner Wohnung. Glaube nur, lieber Freund, mir sind schon gar mancherlei Fährlichkeiten begegnet, davon ich Dir erzählen will, wenn wir an den neuen Aufenthalt kommen." Darauf nahmen beide Abschied von ihrem alten Wohnort, und der Rabe faßte die Maus am Schwänzlein in seinen Schnabel, und flog mit ihr dahin an den Ort, den er meinte. Da guckte ein Thier mit dem Kopf aus dem Wasser, das erschrak vor der Maus, denn es kannte sie nicht, wie sie der Rabe aus dem Schnabel ließ, und tauchte schnell unter. Der Rabe flog auf einen Baum und rufte: "Korax,Korax!" Da kam das Tier aus dem Wasser hervor, das war seine Freundin, eine Schildkröte, die freute sich, den Raben wieder zu sehen, und fragte ihn, was ihn zu seinem langen Außenbleiben bewogen? Da erzählte ihr der Rabe die Geschichte von der Taube und der Maus, und stellte seine Freundinnen einander vor, und die Schildkröte verwunderte sich über die hohe Vernunft der Maus, kroch zu ihr, gab ihr die Hand, und freute sich sehr, ihre Bekanntschaft zu machen. Hernach bat der Rabe die Maus, ihm und seiner alten Freundin doch ihre Lebensgeschichte zu erzählen, und sie ließ sich dazu gern bereit und willig finden, und erzählte wie folgt:

 

Die Lebensgeschichte der Maus Sambar

"Ich bin geboren in dem Hause eines frommen Einsiedels; es waren unsrer viele Geschwister und außer meinen lieben verstorbenen Aeltern lebten auch deren Geschwister, Vettern und Muhmen, und deren Kinder allzumal in diesem Hause. Es fehlte uns niemals an Nahrungsmitteln aller Art, denn die gutthätigen Leute in der Nachbarschaft trugen dem Einsiedel alle Tage Brod, Mehl, Käse, Eier, Butter, Früchte und Gemüse zu, viel mehr als er brauchte, darum, daß er für sie beten solle. Ob er für sie gebetet, und ob das ihnen etwas geholfen hat, weiß ich nicht. Nun gönnte der Einsiedel mir und meinen Verwandten doch nicht alles, und hing deshalb einen Korb mitten in seine Küche, wo wir nicht dazu konnten. Da ich mich aber schon als junges Mäuslein durch Muth, gepaart mit List und Vorsicht, vortheilhaft auszeichnete, so sprang ich von der nahen Wand dennoch in den Korb, aß, so viel mir nur schmeckte, und warf das Uebrige meinen lieben Verwandten herunter, die an jenem Tag einen wahren Festtag feierten. Als der Einsiedel herein kam, und sah, was geschehen war, traf er Anstalt, den Korb noch höher zu hängen. Da besuchte ihn ein Wallbruder, den bewirthete er nach seinem Vermögen, und als sie mit einander gegessen und getrunken hatten, that der Einsiedel die Speisereste in den Korb, und hing ihn an den neuen Ort, und gedachte, Acht zu haben, ob das Mäuslein auch da hinein kommen möchte? Indeß begann der Gast zu reden und zu erzählen von seinen Fahrten zu Land und zu Meer, und seinen Abenteuern, die er erlebt und bestanden, aber er nahm wahr, daß der Gastfreund immer nur mit halbem Ohr auf ihn hörte, und immer dem Korbe mit Leib und Blicken halb zugewendet blieb. Da ward der Waller unwillig und sprach: "Ich erzähle Dir die schönsten Abenteuer, und Du achtest nicht darauf, und scheinst keine Lust daran zu haben."-"Mit Nichten," erwiederte der Einsiedel, "ich höre gar gern Deine Reden, aber ich muß Acht haben, ob die Mäuse wieder in den Speisekorb kommen, denn dieses Ungeziefer frißt mir alles weg, daß kaum etwas für mich übrig bleibt, und besonders ist eine, die springt in den Korb für alle Andern." Damit meinte er mich, die kleine Sambar. Darauf sagte der Wallbruder: "Bei Deiner Rede machst Du mich der Fabel eingedenk von einer Frau, die zu ihrer Freundin sprach: Diese Frau giebt nicht ohne Ursache den ausgeschwungenen Waizen für den unausgeschwungenen." - "Wie so? Wie war das?" fragte der Einsiedel, und der Waller sagte: "Laß Dir erzählen. Einstmals auf meiner Wanderschaft herbergte ich bei einem ehrbaren Manne, den hörte ich des Nachts, da ich nebenan schlief, zu seiner Frau sprechen: "Frau, morgen will ich etliche Freunde zu Gaste laden." Dem antwortete das Weib: "Du vermagst nicht alle Tage Gäste zu haben und Wirthschaft zu machen; damit verthust Du, was wir haben, und zuletzt bleibt uns im Haus und Hof gar nichts mehr." Da sprach der Mann: "Hausfrau, laß Dir das nicht mißfallen, was mein Wille ist, besonders in solchen Sachen! Ich sage Dir, wer allewege karg ist, und nur immer einnehmen und zusammenscharren, aber niemals wieder ausgeben will, und dessen, was er hat, nicht recht froh wird, der nimmt ein Ende, wie der Wolf." "Wie war denn das Ende von dem Wolf?" fragte die Frau, und ihr Mann erzählte: "Es war einmal, so sagt man, ein Jäger, der ging nach dem Walde mit seinem Schießzeug, Pfeil und Armbrust, da begegnete ihm ein Rehbock, den schoß er und lud sich denselben auf, ihn heimzutragen. Darauf aber begegnete ihm ein Bär, der eilte auf ihn zu, und der Jäger, sich seiner zu erwehren, spannte in Eile die Armbrust, legte den Pfeilbogen darauf, aber er vermochte nicht, die Armbrust anzulegen, weil ihn der Rehbock hinderte, und legte geschwind die Armbrust nieder, zückte sein Weidmesser und begann den Kampf mit dem Bären, und er rannte ihm das Messer durch den Leib in dem Augenblick, wo der Bär ihn umfaßte und ihn todt drückte. Wie der Bär die schwere Wunde fühlte, brüllte er und riß sie aus Wuth noch weiter auf, so daß er sich bald verblutete. Abends ging ein Wolf des Wegs, der fand nun einen todten Rehbock, einen Bären und einen todten Jäger. Darüber ward er herzlich froh und sprach in seinem Herzen: Das alles was ich hier finde, das soll alles allein mein bleiben, davon kann ich mich lange nähren. Meine Brüder sollen nichts davon bekommen. Vorrath ist Herr, sagt das Sprichwort. Heute will ich sparen und nichts davon anrühren, daß der Schatz lange dauert, obschon mich sehr hungert. Da liegt aber eine Armbrust, deren Sehne könnte ich abnagen. Und da machte sich der Wolf mit der gespannten Armbrust zu schaffen, die schnappte los, und der aufgelegte Strahl oder Bogenpfeil fuhr ihm mitten durchs Herz. - "Siehe, Frau," so fuhr der Mann fort, dem ich zuhörte, sprach der Wallbruder zu dem Einsiedel, von welchem das Mäuslein Sambar ihren Freunden, dem Raben und der Schildkröte erzählte: - "Siehe, Frau, da hast Du ein Beispiel, daß es nicht immer gut sei, zu sammeln, und das Gesammelte treue Freunde nicht mit genießen lassen zu wollen. Darauf sprach die Frau: "Du magst Recht haben." Als nun der Morgen kam, stand sie auf, nahm ausgehülsten Waizen, wusch ihn, breitete den aus, daß er trockne, und setzte ihr Kind dazu, ihn zu hüten, und dann ging sie weiter zur Besorgung ihrer übrigen Geschäfte. Aber das Kind that wie Kinder thun, es spielte und hatte nicht Acht auf den Waizen, und da kam die Sau fraß davon, und verunreinigte den übrigen Waizen, den sie nicht fraß. Als die Frau hernach kam, und das sah, ekelte ihr für den übrigen Waitzen, nahm ihn und ging auf den Markt, und bot ihn feil gegen ungehülsten zu gleichem Maß. Da hörte ich eine Nachbarsfrau jener, die gesehen hatte, was vorgegangen war, spöttisch zu einer Dritten sagen: "Schau, wie giebt die Frau so wohlfeil den gehülsten Waizen gegen den ungehülsten! Es hat alles seine Ursach." - So ist's auch mit der Maus, von der Du sagst, sie springe in den Korb für die andern Mäuse alle zusammen, und das muß wohl seine Ursache haben. Gieb mir eine Haue, so will ich dem Mausloch nachgraben, und die Ursache wohl finden."-"Diese Rede hörte ich," so erzählte Sambar weiter, "im Löchlein einer meiner Gespielinnen; in meiner Höhle aber lagen tausend Goldgülden verborgen, ohne daß ich noch der Einsiedel wußten, wer sie hinein gelegt, mit denen spielte ich täglich und hatte damit meine Kurzweil. Der Waller grub und fand bald das Gold, nahm es und sprach: "Siehe, die Kraft des Goldes hat der Maus solche Stärke verliehen, so kecklich in den hohen Korb zu springen. Sie wird es nun nicht mehr vermögen." Diese Worte vernahm ich mit Bekümmerniß und leider befand ich sie bald wahr. Als es Morgen wurde, kamen die andern Mäuse alle zu mir, daß ich sie, wie gewohnt, wieder füttere, und waren hungriger als je; ich aber vermochte nicht, wie ich sonst gekonnt und gethan, in den Korb zu springen, denn die Kraft war von mir gewichen, und alsbald sah ich mich von den Mäusen, meinen nächsten Freunden und Verwandten, ganz schnöd behandelt; ja sie besorgten sich, am Ende mir etwas geben und mich ernähren zu müssen, deshalb ging eine jede ihres Wegs, und keine sah mich mehr an, als ob ich sie auf das bitterste beleidigt hätte. "Da sprach ich zu mir traurig in meinem Gemüth diese Worte: Gute Freunde in der Noth, gehn fünfundzwanzig auf ein Loth; soll es aber ein harter Stand sein, so gehen fünfzig auf ein Quintlein. Wer keine Habe hat, hat auch keine guten Brüder; wer keine Brüder hat, hat keine Verwandtschaft; wer keine Verwandtschaft hat, hat auch keine Freundschaft, und wer keine Freundschaft hat, der wird vergessen. Armuth ist ein harter Stand; Armuth macht das Leben krank. Keine Wunde brennt so heftig, als Armuth. Vieles Lob wird dem Reichen; wenn aber der Reiche arm wird, dann wird ihm doppelter und dreifacher Tadel; war er mild und gastfrei, so ist er ein Verschwender gewesen; war er edel und freisinnig, so heißt er nun stolz und streitsüchtig; ist er still und verschlossen, so heißt er tiefsinnig; ist er gesprächig, so heißt er ein Schwätzer. Tod ist minder hart als Armuth. Dem armen Mann ist eher geholfen, wenn er seine Hand in den offenen Rachen einer giftigen Schlange steckt, als wenn er Hülfe begehrt von einem Geizhals. "Weiter sah ich nun, daß der Waller und der Einsiedel die gefundnen Goldgülden zu gleichen Hälften unter sich theilten, und fröhlich von einander schieden; und der Einsiedel legte sein Geld unter das Kopfkissen, darauf er schlief. Ich aber gedachte, mir etwas davon zuzueignen, um meine verlorne Kraft wieder zu ersetzen, aber der Einsiedel erwachte von meinem leisen Geräusch und gab mir einen Schlag, daß ich nicht wußte, wo mir der Kopf stand, und wie ich in mein Loch kam. Dennoch hatte ich keine Ruhe vor meiner Gier nach dem Gold, und machte einen zweiten Versuch; da traf mich der Einsiedel abermals so hart, daß ich blutete und todtwund in meine Höhle entrann. Da hatte ich genug, und dachte nur mit Schrecken an Gold und Geld, und sagte mir vier Sprüche der Weisen vor in meinen Schmerzen und in meiner Traurigkeit: Keine Vernunft ist besser, als die, seine eignen Sachen wohl betrachten und nicht nach fremden streben. Niemand ist edel ohne gute Sitten. Kein bessrer Reichthum als Genügsamkeit. Weise ist der, welcher nicht nach dem strebt, was ihm unerreichbar ist. So beschloß ich, in Armuth und edlem Sinn zu beharren, verließ des Einsiedels Haus und wanderte in die Einöde. Dort richtete ich mir ein wohnlich Wesen ein, und lernte die friedsame Taube kennen, die ihre Hülfe bei mir suchte, dadurch sich auch Du, Freund Rabe, zu mir gesellt hast, der mir von seiner Freundschaft zu Dir, Schildkröte Korax, viel erzählte, so daß ich gern Verlangen trug, Dich kennen zu lernen, denn es ist auf der Welt nichts schöneres, als Gesellschaft treuer Freunde und keine größere Betrübniß giebt's, als einsam und freundlos sein." Damit endete das kluge Mäuslein Sambar seine Lebensgeschichte , und die Schildkröte nahm das Wort und sprach gar mild und freundlich: "Ich sage Dir besten Dank für Deine so lehrreiche Geschichte; viel hast Du erfahren und Dein Schatz ist Weisheit geworden, die mehr ist als Gold. Nun vergiß hier bei uns Dein Leiden und Deinen Verlust, und denke, daß das edle Gemüth man ehrt, auch wenn an irdischem Besitz es Mangel hat. Der Löwe, ob er schlafe, ob er wache, bleibt gefürchtet, und seine Stärke geht mit ihm, wohin er geh