Das goldne Königreich
Ein reicher Herr hatte einen einzigen Sohn. Als dieser zwanzig Jahre alt war, sprach er: 'Vater, ich will reisen und die Welt sehn.' Der Alte war damit zufrieden, gab ihm einen Wagen und Pferde, einen Bedienten, viel Geld und noch mehr gute Lehren und der Jüngling zog dahin. Eines Abends kamen sie in einen großen Wald und weil es dunkel war geriethen sie vom Wege ab und gelangten zu einem kleinen Hause. Der Jüngling trat hinein und da saß eine Frau beim Feuer und kochte sich ihr Abendbrod. 'Kann ich bei euch übernachten?' frug er. 'Ei mit Freuden,' sprach die Frau, 'setzet euch hin und thut als ob ihr zu Hause wäret.' Das war dem Jüngling gerade recht, er aß und trank nach Herzenslust, denn er hatte den ganzen Tag noch nichts in den Magen bekommen, und schlief wie ein Prinz bis die Sonne schon hoch am Himmel stand. Er sprang empor und schaute durch das Fenster in den schönen grünen Wald; da liefen Hirsche und Rehe und Hasen in ganzen Heerden herum und wilde Vögel aller Arten flogen von Baum zu Baum; dazu sangen die Lerchen und Finken und Nachtigallen, daß es ihm so wohl ward wie ihm nie gewesen war und er beschloß, den schönen Wald nicht so bald zu verlassen. Beim Frühstück frug der Jüngling die Frau, wem der Wald gehöre? ' Der Wald gehört mein,' sprach sie. Da frug er weiter ob er wohl darin jagen dürfe, denn die Jagd sei seine größte Lust und Freude. 'Das mögt ihr, soviel euch beliebt, doch ich rathe euch, thut es nicht,' erwiederte die Frau. Er schlug den Rath aber in den Wind, denn er sah keinen Grund dazu, ergriff eine Büchse und sprang fröhlich in den Wald hinein. Da rief die Frau seinen Diener und sprach: 'Geh und folge deinem Herrn schnell, so lieb dir sein Leben ist. Wenn ihr auf den freien Waldplatz kommt, dann springen drei weiße Hirsche vor euch her, doch darf dein Herr keinen schießen, übrigens mag er tödten, was ihm vor den Lauf kommt. Du darfst deinem Herrn aber nicht sagen, daß ich dir dieß verrathen habe, sonst ist es um dich geschehen.' Der Diener dankte der Frau von Herzen für ihren Rath, denn er liebte seinen Herrn über alles. Kaum waren Beide einige hundert Schritte im Walde fortgegangen, da wurde es lichter und immer lichter und sie kamen auf eine große Wiese, da sprang ein Bächlein lustig über weiße Kiesel und die Vögel sangen, daß dem Jüngling das Herz im Leibe hüpfte. Da raschelte es plötzlich im Gebüsch und drei prächtige schneeweiße Hirsche mit stolzem Geweih sprangen heraus und liefen quer über die Wiese hin. Der Jüngling legte an, aber ehe der Schuß noch fiel, schlug der treue Diener ihm die Flinte in die Höhe, so daß die Kugel in einen Baum fuhr und die Hirsche unversehrt davonsprangen. Der Jüngling fuhr den Diener hart an, warum er das gethan habe, doch dieser entschuldigte sich und sprach, eine Biene habe ihn in die Hand gestochen und darüber sei er aufgefahren. Sie gingen weiter und der Jüngling schoß noch allerlei Wild, aber die Freude war ihm verdorben, denn die drei weißen Hirsche wollten ihm nicht aus dem Kopfe. In dem Waldhäuschen nahm die Frau den Diener bei Seite und lobte ihn, er habe seinem Herrn das Leben gerettet. Sie trug in ihrer Freude die köstlichsten Speisen aller Art auf, schenkte Wein aus aller Herren Ländern ein und dem Jüngling gefiel es immer besser bei ihr. Am andern Morgen griff er wieder zur Flinte und ging in den Wald. Da sprach die Frau zu dem Diener: 'Geh und folge schnell deinem Herrn; wenn ihr auf den freien Waldplatz kommt, dann springen drei braune Hirsche daher, aber verhüte, daß dein Herr sie schießt, so lieb dir sein Leben ist, und verrathe nicht, daß ich dir dieß gesagt habe, sonst ist es um dich geschehn.' Der Jüngling ging ganz denselben Weg, wie Tags vorher, wie sehr auch der Diener suchte, ihn anderswohin zu führen. Bald kamen sie auf die schöne Waldwiese mit dem muntern Bächlein und all den tausend Vögeln. Da raschelte es wieder im Gebüsch und drei braune Hirsche mit prächtigem stolzem Geweih setzten quer über die Wiese hin. Der Jüngling schlug an, aber zugleich gab der Diener ihm einen Stoß, daß die Kugel in die Luft pfiff. Da fuhr der Jüngling zornig auf und rief: 'Wenn du dieß noch einmal wagst, dann schieße ich dich nieder;' und was der treue Diener auch sagen und wie er sich auch entschuldigen mochte, Alles half nichts, sein Herr blieb dabei. Er konnte nicht verschmerzen, daß die drei Hirsche ihm durchgegangen waren, denn schönere hatte er sein Leben lang nicht gesehn. Die Frau in dem Waldhäuschen trug heute noch viel köstlicheres Essen auf als am Tage vorher und die guten Weine aller Art standen die Hülle und Fülle auf dem Tische. Zum Diener aber sprach sie heimlich, er habe seine Sache gut gemacht und sein Herr gehe einem großen Glück entgegen. Als der Jüngling am folgenden Morgen wieder in den Wald sprang, sprach die Frau zu dem Diener: 'Gehe und folge deinem Herrn und laß ihn nur nicht schießen, wenn er heute drei schwarze Hirsche auf dem Waldplatz sieht; heute ist der gefährlichste Tag und sein Leben hängt daran; verrathe mich aber nicht, so dir dein Leben lieb ist.' Der Diener versprach ihr es willig und eilte seinem Herrn nach. Aber heute war es ihm so traurig zu Muthe, er wußte selbst nicht wie und warum; der Wald schien ihm nicht mehr so schön und die Vöglein nicht mehr so lustig und das Bächlein nicht mehr so munter. Er versuchte wohl seinen Herrn einen andern Weg zu führen, aber der Jüngling wollte nicht, er hatte die drei Hirsche im Kopf und drohte dem treuen Diener: 'Heute rathe ich dir aber gut, stoße mich nicht, sonst geht es dir schlimm.' Also kamen sie an die Waldwiese und kaum standen sie da, da brachen drei schwarze Hirsche mit mächtigem Geweih aus den Büschen und sprangen quer über die Wiese daher. Der Jüngling schlug an, da gab ihm der treue Diener einen Ruck, die Kugel sauste in den Wald und die drei Hirsche entsprangen. 'Das sollst du mir büßen,' schrie der Jüngling und lud von Neuem. Wie sehr der treue Diener auch jammerte und um sein Leben bat, Alles half nichts, der Jüngling schoß ihn in seinem Zorne nieder. Als die blasse Leiche aber so vor ihm lag, da verrauchte der Zorn bald und die Reue kam. Vergebens rief er den treuen Diener mit hundert schönen Namen, er weinte und rang die Hände, er war todt und blieb todt. Da stürzte er wild und wie, ein wahnsinniger Mann durch den Wald zurück zu dem Waldhäuschen, doch es war öd und einsam, die freundliche Frau war verschwunden. Er sattelte im Stall eins seiner Pferde, sprang darauf und ritt verzweiflungsvoll weg, wohin, das wußte er selber nicht. Also war er in tiefster Betrübniß Stunde an Stunde dahingesprengt auf wilden Waldwegen. Die Sonne stand im Mittag und sie ging zur Rüste und der Wald wurde immer dichter; weder Dorf noch Haus war zu sehen, Hunger und noch mehr Durst quälten ihn. Die ganze Nacht ritt er fort bis an den Wipfeln der Bäume der Schein des Morgenroths wiederstrahlte, da öffnete sich der Wald und er kam auf eine große Wiese, darauf sprang eine klare frische Quelle. Er bückte sich zu ihr, um seinen brennenden Gaumen zu letzen und trank lange Züge. Als er sich aber wieder erhob, da siehe standen drei wunderschöne Jungfrauen vor ihm. Er zog seinen Hut zum Gruße ab, doch sie schauten ihn finster und zornig an und sprachen: "Du hast in deinem bösen Zorne dein Glück verscherzt und unsere Erlösung auf lange Zeit verschoben. Jetzt wärest du im goldnen Königreich, wenn du gutem Rathe und freundlichen Bitten gefolgt hättest, nun aber mußt du noch lange wandern und viel kämpfen, bis du dahin kommen kannst.' Da stürzte der Jüngling vor ihnen auf die Kniee und rief voll Reue: 'Ich will gern Alles dulden und ertragen, wenn ich nur meine That wieder gut machen kann, saget mir nur was ich thun soll.' ' Das ist uns nicht gegeben,' sprachen die Jungfrauen, 'doch wollen wir dir beistehen, so viel uns erlaubt ist.' Da gab die Aelteste ihm ein Schwert, dem konnte nichts widerstehen und wer von ihm getroffen wurde, der sank todt zu Boden. Die zweite gab ihm eine Börse, die blieb immer mit blanken Goldstücken gefüllt, wie viel man auch herausnehmen mochte. Die Jungfrau aber, welche die Schönste war und zu der er sogleich in Liebe entbrannte, gab ihm einen goldnen Ring, daß er ihrer nicht vergesse. Dann verschwanden sie. Jetzt fiel dem Jüngling wie ein Stein vom Herzen, er faßte sich einen frischen Muth und dachte an weiter nichts, als an das goldne Königreich und die drei Jungfrauen, besonders an die Jüngste. Er schwang sich auf sein Pferd und ritt ruhigern Sinnes in den Wald hinein. Noch war er keine hundert Schritte weit, als er ein schreckliches Zischen und jämmerliches Brüllen in dem Gebüsch hörte. Er sprang darauf zu und da war es ein scheußlicher Lindwurm, der seinen langen Schweif um einen Löwen geschlagen hatte und ihm sein Gift entgegenspie. Kurz entschlossen faßte der Jüngling sein Schwert und that einen schweren Schlag, so daß er dem Lindwurm den Schweif abschlug und das abgehauene Stück fuhr mit solcher Gewalt in die Bäume hinein, daß es ganze Aeste zerbrach. Mit einem zweiten Schlage traf er den Kopf des Drachen, so daß das Unthier hinstürzte und die Zunge armslang aus dem Halse streckte. Der Löwe aber schüttelte sich und sprang vor Freuden, wie ein getreuer Hund zu seinem Befreier, drückte seinen zottigen Kopf an ihn und suchte ihm auf jede Art seinen Dank zu beweisen, folgte ihm auch seit dem Augenblicke überall hin. Da wuchs dem Jüngling der Muth, denn nun erkannte er die Kraft seines Schwertes und er ritt heiter manche Woche lang seines Weges fort bis er endlich an das Wasser Irrewellen kam, welches so groß und breit ist, daß man sein Ende gar nicht absehen kann. Da lag am Ufer ein Schiff vor Anker und nicht weit davon stand des Schiffers Haus. Der trat heraus, grüßte den Jüngling und bot ihm Speise und Trank. Das nahm der Jüngling dankbar an, denn er hatte seit vielen Tagen nur von Wurzeln und Kräutern gelebt. Dann frug er den Schiffer, ob er nicht wisse, wo das goldne Königreich liege? Der Schiffer sprach: 'Wenn ihr dahin wollt, dann seit ihr schlecht berathen; das liegt weit, weit jenseits des Wassers und der Riesenländer und der Weg dahin ist schwer und gefährlich, denn die Riesen fordern von jedem, der durch ihr Land will, eine Hand oder einen Fuß als Zoll.' 'Ich fürchte mich nicht vor den Riesen,' erwiederte der Jüngling, 'wenn ich nur in das goldne Königreich kommen kann.' 'Wenn ihr nicht anders wollt, dann fahre ich euch über,' sprach der Schiffer. Der Jüngling trat mit seinem Pferde und dem Löwen in das Schiff, der Wind blies in die weißen Segel und es flog über die Wellen dahin. Bald aber verfinsterte sich der Himmel, der Sturm erhob sich und warf das Schiff auf und nieder, wie einen Spielball, so daß man jeden Augenblick meinte, es müsse versinken, doch der Jünglin