Foley betrachtete die Fregatte durch ein Fernglas.»Vielleicht hat ihn eine Frau auf die See getrieben. «Er duckte sich unwillkürlich, als der Feind feuerte und die Kugel hoch über ihre Köpfe wimmerte, bevor sie auf der anderen Seite eine Fontäne aus Gischt aufwarf.
«Er hat sich jetzt auf uns eingeschossen, Mr. Tyrell. Lassen Sie die Flagge setzen.»
Bolitho sah, wie die scharlachrote Flagge sich an der Gaffel entfaltete.
«Mr. Dalkeith, Ihre Gehilfen sollen die Verwundeten auf die Backbordseite tragen. «Er schnitt den unausgesprochenen Protest des Arztes ab.»Besser jetzt als später, wenn wir wirklich in Schwierigkeiten sind.»
Graves kam nach achtern gerannt.
«Geschütze ausrennen, Sir?»
«Nein. «Er blickte auf, als wieder ein Geschoß über das Deck heulte.»Lassen Sie die Steuerbordbatterie laden, Kartätschen mit doppelter Ladung.»
Er beachtete nicht den verwirrten Gesichtsausdruck des Leutnants und wandte sich an Foley.
«Wenn wir feuern müssen, dann wird es nur diese eine Breitseite sein. Sie sind selbst unter Deck gewesen. Mit dem Schiff, das randvoll mit Kranken beladen ist, können wir uns nicht in einen Nahkampf einlassen.»
Foley schaute weg.»Es tut mir leid, Kapitän.»
Bolitho sah ihn ernst an.»Es soll Ihnen nicht leid tun. In meinen Befehlen steht wenig von Kämpfen geschrieben. Mein Auftrag befaßt sich nur mit Beförderung. «Er lächelte mühsam.»Leider hat ihn der Franzmann nicht gelesen. «Er blickte aufs Geschützdeck hinunter, wo die Verwundeten auf die andere Seite getragen wurden. Inzwischen überwachten Graves und Yule, der Batterieführer, das sorgfältige Laden aller Steuerbordgeschütze.
Schließlich erschien Graves an der Leiter zum Achterdeck und meldete, daß alle Kanonen außer vieren geladen und schußbereit seien. Er brach mit heiserem Keuchen ab, als ein langgezogenes Kreischen die Luft erfüllte. Es klang, als ob plötzlich tausend Teufel aus der See gestiegen seien.
Die Wanten, das ganze Rigg zuckte wild. Männer duckten sich nieder und hielten die Hände über die Köpfe. Zerfetztes Tauwerk und abgerissene Blöcke prasselten auf sie nieder.
Bolitho preßte die Hände hinter seinem Rücken noch fester zusammen, bis der Schmerz ihm half, sich wieder zu beruhigen. Drahtkugeln, wie sie die große Bonaventure verwendet hatte! Sie waren bösartig und gefährlich und bestanden aus Eisenteilen, die miteinander verbunden waren. Mit Leichtigkeit konnten sie Teile des Riggs und Spieren abtrennen. Aber im Gegensatz zu Kettenkugeln, die sonst meist benützt wurden, konnten sie Männer, die nicht durch Reling oder Schanzkleid gedeckt waren, oft grauenhaft zurichten. Offensichtlich beabsichtigte der Franzose, die Sparrow zu entmasten und sie dann ohne allzu große Beschädigungen mitsamt ihrer Last als Prise zu nehmen. Mit dem Gold konnten viele künftige Ausgaben beglichen werden, und die Sparrow würde eine wertvolle Verstärkung für die feindliche Flotte abgeben. All das war früher schon oft geschehen. In der nächsten Stunde würde er es selbst erleiden.
Das Buggeschütz spuckte wieder eine Rauchwolke aus, und das Großsegel der Sparrow platzte in einer sirrenden Explosion auseinander. Durch den Winddruck riß sich das getroffene Segel von selbst in tausend Fetzen, bevor noch das Geschoß ins Wasser geplatscht war.
Bolitho spürte den Unterschied sofort. Die Schiffsbewegungen in den Wellen wurden schwerfälliger, und die Rudergänger mußten mit verstärktem Drehen des Rades hart kämpfen, um das Schiff auf Kurs zu halten.
Schon wieder das dämonische Aufkreischen wirbelnder Eisenteile, das Klatschen und Klappern heruntergerissener Taue und Fallen. Hoch über Deck arbeiteten die Toppsgasten fieberhaft, um das zerrissene Rigg wieder auszubessern, aber inzwischen war die Fregatte viel näher gekommen, und Bolitho sah deutlich, wie ihre drei vordersten Geschütze Feuer und Rauch ausspien. Er wußte, daß der Feind immer mehr aufholte und bald seine ganze Artillerie zum Tragen bringen konnte.
Geschosse winselten und heulten über das Schiff, und eines fetzte durch das Besanbramsegel. Es klang wie ein auf Holz klatschender Peitschenschlag. Schreiend und fluchend versuchten die Seeleute das beschädigte Segel zu bergen, doch der Wind schlitzte es mit einem Knall von oben bis unten auseinander.
Bolithos Hände krampften sich um die Reling. Wenn doch nur ein britisches Segel in Sicht käme oder irgend etwas, das der Fregatte den Mut nehmen würde und sie zwänge, wenigstens für ein paar Augenblicke den Bug zu wechseln.
Er sah, wie eine Kugel über die Wellenkämme daherschlitterte. Die hochstäubenden Federn aus Gischt markierten deutlich ihre Flugbahn. Unter Bolithos Füßen zuckte das Deck, als das Geschoß in die Wasserlinie krachte.
Aus der Tiefe des Schiffsrumpfes erklang gedämpftes Geschrei, und in Bolithos Gedanken tauchten grauenhafte Bilder auf. Er sah die Kranken und Verwundeten, einige, denen soeben erst von Dalkeith ein Glied amputiert worden war und die nun das drohende Kanonengebrüll und die von Schuß zu Schuß sich steigernde Genauigkeit des feindlichen Feuers ertragen mußten.
Bethune kam vom Niedergang her gerannt.
«Herr Kapitän, der General wünscht laufend Meldung…«Er bückte sich, als ein Geschoß durch die Reling schmetterte und zwei Seeleute in einem Durcheinander von zerfetzten Gliedern und sprudelndem Blut über das Deck schleuderte.
Bolitho wandte sich ab. Vor wenigen Minuten erst hatte er mit einem von ihnen gesprochen. Nun war er nur noch ein zerrissenes, blutiges Bündel.
«Sagen Sie dem General, er soll unter Deck bleiben und…»
Er brach ab, als mit splitterndem Krachen die Großbramstenge überkippte. Das Segel peitschte wild im Gewebe zerrissenen Tauwerks. Die Rah selbst zerbrach in zwei gleiche Teile, bevor sie aufs Deck polterte. Männer rannten in panischer Verwirrung davon. Dann polterte die Lawine aus Holz und Tauen über die Backbordreling und schleppte im wirbelnden Gischt längsseits nach. Ein Mann, es mußte der Ausguck gewesen sein, wurde zur Großmastrah geschleudert. Sogar über all dem Lärm hörte Bolitho seine schrillen Schreie, bevor er überkippte und auf das Geschützdeck aufschlug.
Wieder blitzten die Mündungsfeuer auf. Tilby sprang zwischen seine strauchelnden Leute. Er schwang seine Arme wie Dreschflegel und schob und trieb sie an, damit sie das Schiff mit den Äxten vom zerfetzten Rigg befreiten.
«Wir werden Kurs ändern müssen, Sir«, schrie Tyrell. Er brüllte laut, um sich Gehör zu verschaffen. Mit maskenhaft verzerrten Gesichtern rannten die Männer an ihm vorbei, sie sahen nicht einmal die blutigen Leichen in den Speigatten.
Bolitho starrte ihn an.»Wieviel Wasser steht dort über den Sandbänken?»
Tyrell glaubte, falsch verstanden zu haben.»Zu dieser Stunde? So gut wie nichts!«Er spähte mit wilden Augen zu den Segeln hinauf, als wieder eine Eisenladung heulend durch die Takelage fuhr. Ein Toppsgast hatte den Halt verloren. Zwei seiner Kameraden hielten seine Hände gepackt, während seine Beine hilflos in der Luft strampelten. Schweiß, Angst oder ein sausender Splitter mochten schuld sein, daß ihn die beiden plötzlich fallen ließen. Mit einem kurzen Schrei stürzte der Mann kopfüber scheinbar ganz langsam, bis er neben dem Schiffsrumpf in die See platschte. Bolitho sah ihn mit ausgebreiteten Armen wie ein Schatten am Achterdeck vorbeihuschen. Seine Augen waren verzerrt, so daß man das Weiße sehen konnte. Dann schlossen sich die Wogen über ihm.
«Ich muß es wagen!«brüllte Bolitho laut. Er merkte nicht, daß es in dem wilden Getöse nur wie Gemurmel klang.»Welchen Kurs wir ausfahren, immer kann uns die Fregatte mit ihren Geschützen bestreichen.»
Tyrell nickte heftig.»Sie haben recht. Ich werde einen Mann mit der Lotleine.»
Bolitho packte ihn am Arm.»Nein, wenn Sie das tun oder Segel reffen lassen, dann wird der verfluchte Hund merken, was wir vorhaben. «Er schüttelte ihn heftig.»Sollte ich fallen, müssen Sie versuchen, mit dem Schiff durchzukommen.»