Ein Geschoß krachte hinter ihm in die Reling. Splitter und Holzteile flogen durch die Luft, und Bolitho sah, wie Foley mit einer Hand nach seiner Schulter griff, wo die Epaulette sauber herausgetrennt worden war.
«Heiße Arbeit heute, Kapitän!»
Bolitho starrte ihn an. Er fühlte, daß sein Mund sich zu demselben grausigen Grinsen verspannte. Gleich seinen Gesichtszügen verhielt sich auch das Schiff wie ein unbeherrschbares Ding. Die übriggebliebenen Segel trieben es ständig auf die verborgene Gefahr der Sandbänke zu. Er baute seinen Plan ganz auf Tyrells Kenntnis und auf die Hoffnung, daß der Franzose sich der Gefahr nicht bewußt war oder daß er in blindwütiger Verfolgung nur noch an raschen Sieg zu denken vermochte.
Bolitho brachte es fertig, trotz des ununterbrochenen Geschützfeuers, des Krachens und Splitterns, mit dem die Geschosse ihr Ziel trafen, alle kleinen, aber wichtigen Einzelheiten auf beiden Seiten wahrzunehmen.
Ein schrecklich verwundeter Seemann, dessen Schulter zu blutigem Brei zerschmettert war, lag in den Armen eines Soldaten mit verbundenem Gesicht, der bei einem früheren Gefecht geblendet worden war. Doch seine Hände kümmerten sich nicht um das schreckliche Durcheinander. Beruhigend hielten und beschirmten sie den Seemann und tasteten nach einer Wasserflasche, um seine Schmerzen zu lindern. Und Dalkeith! Er hatte seine Perücke in eine Tasche gestopft und kniete neben einem Verwundeten. Mit seinen blutigen Fingern, die roten Klauen glichen, tastete er die Verletzung ab, während seine Augen bereits auf dem nächsten und übernächsten Opfer ruhten.
Und durch all das schritt Graves hinter den geladenen Geschützen auf und ab. Sein Kinn hatte er gegen die Brust gepreßt. Er unterbrach seine Wanderung nur, um eine Geschützbedienung zu überprüfen oder um über einen Toten oder über niedergebrochene Teile des Riggs hinwegzusteigen.
Vom Bug her erscholl ein verzweifelter Schrei:»Ich kann den Grund sehen!»
Bolitho beugte sich über das Schanzkleid. Im blendenden Licht sprühte der Gischt am Rumpf hoch. Tauwerk und ein zerschmetterter Kutter schleppten längsseits im Wasser. Dann bemerkte er die in der Tiefe vorbeiflitzenden schattenhaften Gebilde, Algen und Felsrippen, von denen sich einige wie aufgescheuchte Ungeheuer gegen den Kiel aufzubäumen schienen.
Wenn das Schiff nun auf Grund rannte, dann würden ihm die Masten fortgerissen werden. Knirschend und berstend würde es in die See sinken.
Er wandte sich um und suchte den Feind. Wie nahe er schon war! Weniger als drei Kabellängen querab! Seine ganze Batterie hatte er ausgerannt, um den ungleichen Kampf mit einer vollen Breitseite zu beenden.
Mit heiserer Stimme murmelte Buckle:»Beim allmächtigen Gott, der Franzose hat einen sicheren Kanal gefunden. «Seine Stimme klang wie zerbrochen.»Die Hunde haben uns erledigt.»
Bolitho schaute Tyrell an.»Lassen Sie die Bramsegel wegnehmen. «Er konnte die Verzweiflung in der Stimme nicht mehr verbergen.
«Sie hatten keine andere Wahl, Sir..»
Er brach plötzlich ab, als Buckle und Fähnrich Heyward gleichzeitig aufschrien.
«Er ist aufgefahren!»
Bolitho sprang zwischen sie und starrte wie irr und voll Unglauben auf das feindliche Schiff.
Es hatte gerade auf den anderen Bug gehen wollen. Entweder hatte sein Kapitän die furchtbare Gefahr bemerkt, oder er wollte die Korvette jetzt mit der ersten vollen Breitseite bestreichen. In diesem Augenblick war die Fregatte mit großer Geschwindigkeit auf die Klippen gerannt.
Über die See her konnten sie das berstende Krachen und das fürchterliche Gerumpel hören, als der Rumpf am Grund aufschlug. Dann warf sich das Schiff zur Seite, und gleichzeitig kam in einem mächtigen Vorhang aufschäumenden Gischtes sein Fockmast, verheddert mit den Groß- und Besanstengen von oben.
Bolitho mußte mehrmals rufen, um das Hurra- und Freudengebrüll seiner Leute zum Schweigen zu bringen. Ihnen selbst drohte doch dieselbe Gefahr!
«Ändern Sie den Kurs fünf Strich steuerbord!»
Er wischte sich den Schweiß aus den Augen und blickte auf den Kompaß. Seine Gedanken waren vom Krachen der Spieren und Ächzen der Planken wie benommen.
«Steuern Sie Süd-Südost!»
Nur unter der zerrissenen Fock und den Marssegeln schwenkte die Sparrow träge ein, als ob auch sie ohne Vernunft und Verstand wäre. Das Tauwerk ächzte, Blöcke klapperten, und im Bemühen, den Befehlen zu gehorchen, kletterten die Männer wie verwirrte Tiere über die Trümmer.
Bolitho hob seine Hände an den Mund.
«Mr. Graves, Geschütze ausrennen!»
Die Pforten öffneten sich knarrend, und die Kanonen wurden auf ihren Rollen ins blitzende Sonnenlicht geschoben. Auf dem neuen Kurs legte sich die Korvette etwas über. Die Kanonen rumpelten schnell über die Decksplanken.
«Geschütze ausgerannt!«meldete Graves und blickte zu Bolitho hinauf.
Mit zusammengekniffenen Augen hob Bolitho die Hand. Er zwang sich, das feindliche Schiff als Ziel zu betrachten und nicht als ein vor kurzem noch lebendiges Geschöpf, das sich nun in Todesqualen wand.
«Geschütze richten, Mr. Graves. Volle Erhöhung!»
Er peilte die entmastete Fregatte, die hinter dem Steuerbordbug der Sparrow zurückfiel. Der aufgewühlte Sand rings um das Wrack zeigte die Gewalt, mit der es aufgerammt war.
Seine Hand zuckte nach unten.»Feuer!»
Der Schiffsrumpf bebte und bockte, als Geschütz nach Geschütz seine doppelte Ladung über die Wellenkämme spie und in den hilflosen Feind schmetterte. Die Fregatte beantwortete das Feuer aus einigen Drehbassen. Als ihr aber die ersten schweren Geschosse zusammen mit den Kartätschen in die Flanken und über das Deck fuhren, schwiegen auch diese.
Bolitho hob wieder die Hand.»Feuer einstellen! Geschütze sichern!«Dann wandte er sich an Buckle:»Wir gehen sofort über Stag. Kurs Nordost zu Nord!«Er blickte zum rauchenden Wrack zurück.»Es wird dort liegen bleiben, bis jemand kommt. Freund oder Feind, es macht keinen Unterschied mehr.»
Tyrell sah ihn ernst an.»Aye, Aye, Sir!«Er schien noch auf irgend etwas zu warten.
Bolitho ging zur Reling und blickte auf die Leute hinunter. Sie zurrten die Kanonen fest, begannen die Schäden zu flicken und das durcheinandergebrachte Rigg zu klarieren. Überall wurde gearbeitet, um die Sparrow für die nächste Herausforderung bereitzumachen. Es gab kein Freudengebrüll. Alles ging sehr still vonstatten. Nur ein paar Seeleute grinsten, als sie Freunde noch lebend antrafen. Hier ein Nicken, dort ein Schulterklopfen. All dies erzählte Bolitho mehr, als Worte es vermocht hätten.
«Die Männer haben eine Menge gelernt, Mr. Tyrell.»
Er sah Dalkeith aufs Achterdeck heraufsteigen und nahm all seinen Mut zusammen, um die Liste der Toten und Sterbenden in Empfang zu nehmen.
«Von diesem Tag an werden sie zu allem bereit sein. «Er übergab seinen Degen an Stockdale. Obwohl er sich nicht erinnern konnte, ihn bemerkt zu haben, hatte er sich doch die ganze Zeit über in seiner Nähe gehalten.»Bereit, wie ich es will.»
VIII Des Kapitäns Entscheidung
Der Aufenthalt der Sparrow in New York war die enttäuschendste und langweiligste Zeit, an die sich Bolitho erinnern konnte. Er hatte gehofft, mit einigen Wochen für Reparaturarbeiten und Auffüllen der Vorräte davonzukommen. Statt dessen aber mußte er mit wachsender Ungeduld warten und zusehen, wie alle anderen Schiffe vor ihm klar gemacht wurden. Jedenfalls kam es ihm so vor.
Als sich die Zeit in den zweiten Wartemonat hineinschleppte, war er bereit, eher zu verhandeln als zu fordern, ja, die ihm zustehende Unterstützung von den Hafenbehörden eher zu erbitten als zu erwarten. Und den Gerüchten nach, die er da und dort aufschnappte, waren alle kleineren Schiffe in derselben Lage.
Die Arbeiten an Bord schritten ständig voran, schon glich die Sparrow einem erprobten Veteran. Die Segel wurden sorgfältig geflickt und keineswegs großzügig erneuert. Anscheinend wußte niemand, wann Nachschub aus England eintreffen würde, und was bereits in New York lagerte, wurde eifersüchtig bewacht, oder, wie Bolitho befürchtete, fir entsprechende Trinkgelder gehortet. Die zerbrochene Großbramstenge war aus dem Wasser gefischt und repariert worden. Von Deck aus schien sie so gut wie neuwertig zu sein. Ob sie aber einem wirklichen Sturm widerstehen oder wie sie sich bei der Jagd auf einen Blockadebrecher bewähren würde, beschäftigte oft Bolithos Gedanken. Dazu kamen noch der ständige Strom fälliger Berichte, die Ersatzteil- und Lebensmittellisten, die endlos mit den Leuten der Ausrüstungsdepots besprochen werden mußten. Schließlich fing er an zu glauben, daß weder er noch sein Schiff jemals diesen Hafen wieder verlassen würden.