Tyrell trat dicht an ihn heran. Er hatte den Kopf gesenkt, so daß sich ihre Gesichter fast berührten.
«Hören Sie zu, General, was der Käptn sagt, ist richtig. Der Feind ist allem, was wir ihm entgegensetzen können, weit überlegen, und dieser Indienfahrer hier ist noch verdammt viel schlimmer dran.»
«Das geht mich nichts an, und ich warne Sie, achten Sie auf Ihr Benehmen!»
«Sie mich warnen, General?«Tyrell lachte lautlos.»Hätten Sie die Reparaturarbeiten der Sparrow in Sandy Hook nicht hinausgezögert, wären wir schon seit einem Monat wieder auf See. Und dann wären Sie nun allein hier draußen und säßen da wie eine fette Ente, die drauf wartet, für den Kochtopf abgeknallt zu werden. «Sein Ton wurde härter.»Achten Sie also auf Ihr eigenes verdammtes Benehmen!»
Bolitho stand etwas abseits und hörte nur halb auf ihre Zornausbrüche. Wiederum sollte Blundells Erscheinen ihn und sein Schiff in wirkliche Gefahr bringen. Es blieb ihm nur noch zu hoffen, daß die Bonaventure ihn nicht finden würde, daß er den angeschlagenen Westindienfahrer wieder seeklar machen und dieses Gebiet mit größtmöglicher Eile verlassen könnte.
Jennis kam wieder nach achtern.»Ich habe die Leute dazu bringen können, ein neues Vorsegel anzuschlagen, Sir. Aber sonst haben wir kaum noch zusätzliches Segeltuch an Bord. Dies hier ist ein Kompanieschiff, und es sollte, sobald es Bristol erreicht hat, vollkommen überholt werden. Deshalb segelten wir unterbemannt und ohne genügend Offiziere.»
Er strich mit der Hand über sein zerfurchtes Gesicht.»Wenn Sie uns nicht gefunden hätten, so wären wohl noch mehr Leute verrückt geworden und zu den Meuterern übergelaufen. Neben etlichen Anständigen haben wir unter den Passagieren einen ziemlich großen Haufen von Gaunern an Bord.»
Bolitho blickte auf, als ein pendelnder Block gegen die Besan-stenge klapperte. Er sah die zerrissenen Segel wie zerfetzte Fahnen flappen und bemerkte, daß die helle Kompaniefahne anfing, lustig zu wehen. Er runzelte die Stirn. Der Wind frischte auf, ganz leicht nur, aber es erschwerte die Umstände, wenn er vor der Entscheidung stand, die unerbittlich auf ihn zukam.
Und dennoch, es gab immer noch eine Chance, daß er sich irrte. In diesem Fall entstanden lediglich mehr Unannehmlichkeiten und Entbehrungen für die Passagiere.
Er zog seine Uhr und klickte den Deckel auf. Keine vier Stunden mehr Tageslicht.
«Mr. Tyrell, lassen Sie sofort alle Boote der Royal Anne zu Wasser. Schicken Sie eine Botschaft an Graves, daß ohne Verzögerung unsere Boote mit fünfzig Mann herüberkommen sollen. Wir müssen wie die Teufel arbeiten, wenn wir dieses Schiff so weit reparieren wollen, daß es wieder Segel setzen kann.»
Er wartete, bis Tyrell und der unglückliche Steuermann weggeeilt waren. Dann wandte er sich an den Generaclass="underline" »Nun, Sir James, ich werde sehen, daß ich das Nötigste tun kann.»
Der General rief hinter ihm her:»Und wenn, wie Sie befürchten, der Feind aufkreuzt, wollen Sie sich dann davonstehlen und uns allein lassen?«Seine Stimme klang heiser vor unterdrücktem Zorn.»Werden Ihre schriftlichen Befehle Sie vor der Schande bewahren können, wenn Sie das vorhaben?»
Bolitho blieb stehen und blickte ihn an.»Nein, Sir James, wenn es uns die Zeit erlaubt, werde ich alle Passagiere und Seeleute der Royal Anne auf mein Schiff bringen lassen.»
Dem General quollen fast die Augen aus dem Kopf.»Was? Die Ladung zurücklassen und ohne sie absegeln?«Er schien vor Ungläubigkeit fast gelähmt zu sein.
Bolitho ließ seine Augen über die See gleiten. Er sah die Boote längsseits dümpeln und bemerkte, wie allmählich die Ordnung zurückkehrte, da seine eigenen Leute alles beaufsichtigten.
Natürlich, das hätte er sich gleich denken sollen. Die Beute des Generals war ebenfalls hier an Bord. Zu seiner Überraschung half ihm dieser Gedanke, seine Gelassenheit wiederzugewinnen. Er konnte sogar lächeln, als er zu sich selbst sprach:»Sie, General, werden die Notwendigkeit größter Eile wohl zu schätzen wissen. In beiderseitigem Interesse.»
Tyrell trat an seine Seite.»Das hat ihm den Wind aus den Segeln genommen.»
«Es war kein Scherz, Tyrell. Wenn wir zusammen mit dem Kauffahrer bei Einbruch der Dunkelheit weitersegeln können, haben wir ganz gute Chancen. Es könnte ja sein, daß die Bonaventure schließlich ihren Kurs geändert hat, nachdem sie uns aus den Augen verlor. Vielleicht ist sie nun schon viele Seemeilen weit weg.»
Tyrell blickte ihn ernst an.»Aber Sie glauben selbst nicht so recht daran, Sir?»
«Nein. «Er trat zur Seite, als zerrissene Riggteile wie schwarze Schlangen von einem umgestürzten Kutter weggezerrt wurden.»Das Wann macht mir eher Sorgen als das Ob.»
Tyrell deutete über das Schanzkleid hinaus.»Graves schickt soeben die ersten Leute herüber. «Er zog eine Grimasse.»Auf der Sparrow ist nun nicht genug Besatzung. Das Schiff kann so kaum unter Segeln gehalten werden.»
Bolitho zuckte die Achseln.»Wenn die Hälfte der Besatzung durch Fieber umgekommen wäre, dann müßte es der Rest auch irgendwie schaffen. «Dann fügte er hinzu:»Gehen wir jetzt zu den Damen. Sie werden wohl noch verzweifelter sein als der General. Glauben Sie nicht auch?»
Es waren etwa fünfzig Frauen an Bord. Sie waren unter den hohen Aufbauten des Achterdecks zusammengedrängt, doch nach Rang und Stellung in jener anderen Welt auf dem Festland voneinander getrennt. Ob alt oder jung, häßlich oder schön, sie betrachteten Bolitho schweigend, als ob er aus der See gestiegen sei wie ein Bote Neptuns.
«Meine Damen!«Er leckte seine Lippen, als ein aufregend schönes Mädchen in einem gelbseidenen Gewand ihn anlächelte. Er versuchte es noch einmal.»Meine Damen, ich muß bedauern, Ihnen Ungelegenheiten zu bereiten, aber es gibt noch sehr viel zu tun, bevor Sie sicher Weiterreisen können.»
Sie lächelte immer noch, unverhohlen, belustigt, genau in der Art, die ihn immer in Verwirrung gebracht hatte.
«Sollte jemand von Ihnen verletzt sein, so wird mein Schiffsarzt das Beste für Sie tun. Gerade wird eine Mahlzeit bereitet, und meine eigenen Leute werden vor Ihren Quartieren Posten beziehen.»
Das schöne Mädchen fragte:»Glauben Sie, daß der Feind kommen wird, Kapitän?»
Sie hatte eine kühle, selbstbewußte Stimme, der Erziehung und gute Herkunft anzuhören waren.
Er zögerte.»Das ist immer möglich.»
Sie zeigte ihre ebenmäßigen Zähne.»Nun, was für tiefschürfende Worte von solch einem jungen Offizier des Königs!»
Einige andere lächelten, manche lachten sogar laut.
«Wollen Sie mich bitte entschuldigen, meine Damen«, er warf einen zornigen Blick auf das Mädchen,»ich habe zu tun.»
Tyrell verbarg ein Lächeln, als er hinter ihm herging. Er mußte an Stockdales Worte denken.»So zornig, daß kein Totschläger sich in seine Nähe getraut hätte. «Jetzt war er zornig, in heller Wut!
Es ist gut so, dachte Tyrell. Es würde seine Gedanken von der wirklichen Gefahr ablenken.
Eine Bedienstete berührte Bolithos Arm.»Bitte um Verzeihung, Sir. Aber unten in einer Kajüte ist eine Dame ziemlich übel dran. Fieber!»
Bolitho blieb stehen und schaute zurück.»Holen Sie den Arzt. «Er spannte sich, als das schöne Mädchen wieder auf ihn zutrat. Ihr Gesicht war plötzlich ernst.
«Es tut mir leid, daß ich Sie so zornig gemacht habe, Kapitän. Es ist unverzeihlich.»
«Zornig?«Bolitho zerrte an seinem Gürtel.»Ich kann mich nicht erinnern.»
Sie berührte seine Hand.»Das ist jetzt unter Ihrer Würde, Kapitän. Vielleicht etwas unsicher, aber hochfahrend sind Sie nicht. Ich sehe Sie ganz anders.»
«Wenn Sie endlich ausgeredet haben..»
Wieder hielt sie ihn auf, ohne auch nur die Stimme zu erheben.
«Die anderen Frauen waren der Hysterie ziemlich nahe, Kapitän. Der Sturm warf uns durcheinander wie zerlumpte Puppen. Dann ertönte das Geschrei der Aufrührer und Meuterer. Männer kämpften miteinander um Rum oder um das, was sie uns in ihrer Tollheit abnehmen wollten.»