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«Der Kapitän hat befohlen, daß die Barkentine Segel setzen und rekognoszieren soll, Sir.»

Der Geschützführer neben Bolitho gab seiner Mannschaft Erklärungen:»Ich kenne diese Gewässer, Jungs. Überall Riffe und Untiefen. Unser Kapitän hat bestimmt schon zwei gute Männer auf Lotstation, die regelmäßig die Tiefe nehmen. Wir müssen uns richtig in die Küste hineintasten.»

Bolitho hörte nicht weiter hin. Er dachte an die aufgegebene Barkentine und an den toten Mann in ihrer Kajüte. Ob wohl Tergorren deshalb so schlechter Laune war, weil ein anderer das Kommando über die Athen bekommen hatte?

Der Dritte Leutnant, Tergorrens unmittelbarer Vorgesetzter, kommandierte sie statt seiner, und Grenfell, der dienstälteste Midshipman, war sein Adjutant. Wenn alles gut ging, würde dieses bißchen Sonderverantwortung dem Midshipman auf dem Weg zu seiner Beförderung ein Stück weiterhelfen. Bolitho freute sich für ihn, wenn er ihn auch um seine Freiheit beneidete. Grenfell hatte sich seinerzeit alle Mühe gegeben, um ihm und den anderen unsicheren Neulingen den Anfang leichter zu machen. Es kam oft genug vor, daß sich Männer in Grenfells Stellung wie kleine Tyrannen benahmen.

Zwei Schiffe vor Anker, hatte Knibb gesagt. Piraten oder Sklavenhändler? Sie würden beide einen schönen Schreck kriegen, wenn die Gorgon aufkreuzte.

Dumpfes Fußgetrampel von oben, und das Quietschen von Taljen und Blöcken — die Segel wurden entsprechend der Kursänderung umgebraßt.

Er verließ die Stückpforte und stützte sich auf das große Spill, mit dem schwere Spieren oder Boote in Stellung gehievt wurden, und lauschte auf Tergorrens grobe Stimme, der mit Wellesley und Midshipman Pearce sprach. Auf der gegenüberliegenden Schiffsseite hoben sich jetzt die offenen Stückpforten schärfer ab, und einen Moment lang glaubte Bolitho, daß ihn seine Augen täuschten: das Land schien sich der Gorgon entgegenzustrecken, um sie zu grüßen aber das war natürlich unmöglich, denn das Land lag ja, wie deutlich zu sehen, hier an seiner Seite. Doch plötzlich fiel ihm wieder ein, daß der Kapitän von einer Insel gesprochen hatte. Das mußte sie sein, und das Schiff steuerte in die Enge zwischen Insel und Festland hinein. Die ankernden Schiffe mußten direkt voraus liegen, so daß sie von den beiden Geschützdecks aus nicht zu sehen waren.

Tergorren sagte eben:»Seht mal, da steht ja eine Festung auf der Insel. Muß so alt sein wie Moses. «Er lachte glucksend.»Wartet bloß, bis ihr die schwarzen Weiber zu sehen kriegt. Manche sind so schön wie. . «Er kam nicht weiter.

Bolitho sah etwas über die kabbelige, landein strömende See springen erst dachte er, es sei ein Delphin, aber dann hörte er, weit weg, das Dröhnen einer Explosion. Die Linie der weiß beschäumten, anbrechenden Wellen war auf einmal nicht mehr da, und unter einem Chor von Schreien und Flüchen schlug eine große Kanonenkugel hart neben dem Schiffsrumpf ein.

Ungläubig brüllte der alte Geschützführer:»Diese Teufels-bande hat uns zuerst beschossen, bei Gott!»

Das ganze Schiff wurde lebendig. Ein Tohuwabohu von Befehlen. . Eine Trompete gellte ein Signal für die Seesoldaten. . Taljen knarrten, die Haltegiens der schweren Geschütze wurden angeholt, und dann kam der Ruf:»Alle Geschütze laden und klar zum Ausrennen! Steuerbordbatterie feuert zuerst!»

Tergorren starrte auf die Kniehose des Gefechtsläufers, die sich kreideweiß vom dunklen Niedergang abhob; anscheinend konnte er nicht glauben, was er da gehört hatte.

Aber dann stieß er einen Grunzer aus und brüllte:»Steuerbordbatterie klar zum Laden!»

Der Matrose Fairweather rannte hinter Bolitho her zur Gegenseite, wo die halbnackten Geschützbedienungen die mächtigen Pulverkartuschen und die Pfropfen in die Rohre rammten und die Geschützführer an den Halterungen standen und sich die Kugeln aussuchten, tastend ihre Rundung prüfend; mancher schliff sogar noch schnell eine rauhe Stelle nach, ehe er sie zum Einrammen und Bepfropfen an die wartende Mannschaft weitergab.

Nacheinander kamen die Handzeichen von den einzelnen Geschützen, und aller Augen waren auf den bulligen Leutnant gerichtet.

«Alles geladen, Sir!»

«Ausfahren!»

Die Männer warfen sich auf die Taljen und verholten die schweren Geschütze zu den offenen Stückpforten; jedes einzelne Haltegien protestierte quietschend wie ein Schwein, das zum Markt soll.

Eine Stimme gellte:»Steuerbord klar zum Feuern! Maximale Elevation, Abziehen bei steigendem Rumpf!»

Ein Deckoffizier versetzte einem Matrosen einen so heftigen Stoß gegen die Schulter, daß dieser hochsprang wie von einer Kugel getroffen.

«Wickel dir dein Halstuch um die Ohren, Mensch, wenn du nicht dein Leben lang taub sein willst!»

Er blinzelte Bolitho zu. Vermutlich war die Warnung für ihn bestimmt gewesen; aber sogar Midshipmen haben Anspruch auf ein bißchen Respekt.

«Klar zum Schuß!»

Das Schiff rollte unter dem Einfluß von Wind und Ruder, und hinter jeder Kanone kauerte der Geschützführer, das Auge über das lange schwarze Rohr zum Himmel und zur Festung gerichtet.

«Feuer!»

V Wechselndes Kriegsglück

Von Deck zu Deck wurde der Feuerbefehl weitergegeben. Jeder Geschützführer stieß seine Lunte ins Zündloch und sprang zur Seite. Nur ein Sekundenbruchteil, aber Bolitho, der zwischen zwei Zweiunddreißigpfündern stand, kam es wie eine Ewigkeit vor. Nur einen Augenblick — aber der wollte kein Ende nehmen sah er das alles wie ein Gemälde, kristallklar, wie inmitten der Bewegung erstarrt: die nackten Rücken der Seeleute, die gebückt an den Taljen standen oder mit Handspeichen arbeiteten; die einzelnen Geschützführer, den Blick in grimmiger Konzentration nur auf die eigene Stückpforte und das Ziel gerichtet. Und durch jede der quadratischen Stückpforten sah man die Festung in der Sonne liegen, unter dem bleichen Himmel, über den auch nicht das kleinste Federwölkchen zog.

Und dann auf einmal war alles anders. Das untere Geschützdeck schien zu bersten, der Schiffsrumpf bockte, als hätte ihn eine Lawine gestreift. Ein Geschütz nach dem anderen rannte donnernd auf seiner Lagerung zurück, die Mannschaft stürzte sich darauf, um das Rohr mit dem Schwamm auszuputzen, die neue Pulverkartusche und die nächste mattglänzende Kugel hineinzurammen. Der Wind erfaßte den dicken Pulverqualm, trieb ihn in Wolken am Schiff vorbei, bis er die Festung einhüllte und den klaren Himmel mit braunem Nebel bedeckte.

«Entlüftungen stopfen! Ausputzen! Laden!«brüllte Tergorren. Aber seine Stimme klang, als käme sie durch einen Vorhang, denn die erste Salve hatte alle Trommelfelle bis fast zur Taubheit gelähmt.

Doch war deutlich zu sehen, wie das Abfeuern der Steuerbordbatterie auf die Männer wirkte. Die Nervosität der ersten Minuten war verflogen; statt dessen lag so etwas wie grimmige Wildheit in der Luft. Triumphierend grinsten sich die Geschützbedienungen an und schwenkten die Arme wie Kinder, die einander durch Gesten und Handzeichen aufregende Dinge mitzuteilen haben. Das war kein bloßes Geschützexerzieren wie sonst, das war Wirklicheit, ernsthaftes Schießen.

«Ausrennen!»

Aufs neue knarrten und quietschten die Haltegiens an beiden Decks, wütend stürzten sich die Mannschaften an die Taljen, jede wollte ihr Geschütz als erstes draußen haben.

«Jetzt werden sie eine andere Melodie pfeifen, beim Himmel!«rief Wellesley aufgeregt. Und Tergorren ergänzte knurrend:»Wer sie auch immer sein mögen, verdammt!»

Während die Mannschaften in Erwartung des Feuerbefehls über die elevierten Rohre starrten, hörte Bolitho oben das Trampeln der Matrosen beim Segelmanöver. Die Gorgon mußte einen großartigen Anblick bieten, aber dafür hatte wohl im Moment kaum jemand Sinn. Zweifellos mußte sie unter verkürzten Segeln und mit ihren in der Morgensonne blitzenden Kanonen schon dicht unter der Küste sein. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wer das Schiff beschossen hatte, oder warum — aber das war ihm, wie er zu seiner eigenen Überraschung feststellte, auch ganz gleichgültig. In diesen kurzen Minuten war das ganze Schiff mit allen Männern darin zu einer Einheit geworden.