«Befehl weitergeben: Mr. Tergorren führt das Enterkommando. Klar zum Ablegen!«Immer noch schwenkte seine Nase herum, während der Befehl von Mann zu Mann weitergegeben wurde.»Die beiden Midshipmen da! Waffen empfangen und mitfahren!»
Bolitho faßte an den Hut.»Aye, aye, Sir!«Er versetzte Dancer einen heimlichen Rippenstoß.»Ich wußte ja, er würde sich die greifen, die gerade in der Nähe waren!»
Dancers Augen glänzten vor Erregung.»Endlich mal was anderes«, grinste er.
Am Fallreep drängten sich die rasch zusammengeholten Rudergasten und die bewaffnete Entermannschaft und starrten über das blaue Wasser auf das etwa eine halbe Meile entfernte Schiff, das jetzt beinahe querab trieb. Mr. Hope rief:»Ich kann den Namen erkennen, Sir!«Aber es klang etwas zurückhaltend — er hatte Verlings Sarkasmus von vorhin noch nicht vergessen. In der schweren Dünung hatte er einen sehr unsicheren Stand, aber er behielt das Teleskop am Auge und ließ das Schiff nicht aus dem Blickfeld.»Kein Zeichen von Leben an Bord.»
Am Fallreep erschien Leutnant Tergorren. Jetzt, da er sich nicht wie in der niedrigen Batterie ständig bücken mußte, wirkte er noch größer und massiger. Mit einem raschen Blick musterte er das Prisenkommando.
«Daß mir keiner aus Versehen seine Pistole oder Muskete abfeuert!«sagte er grob.»Seid auf alles gefaßt.»
Dann blieb sein Blick auf Bolitho haften.»Und was Siebetrifft. .»
Aber er unterbrach sich, als er die scharfe Stimme des Kapitäns vom Achterdeck vernahm:»Bemannen Sie Ihr Boot, Mr. Tergorren!«Seine Augen glänzten wie Glas in der hellen Sonne.»Wenn Fieber an Bord ist, will ich nichts damit zu schaffen haben. Ansonsten tun Sie, was Sie können, und beeilen Sie sich!»
Bolitho sah den Kapitän nachdenklich an. Er kannte ihn eigentlich nur von weitem, oder allenfalls von der Arbeit mit seinen Offizieren.
Und doch war er ziemlich sicher, daß Kapitän Conway nervös war, so nervös, daß er zu seinem Leutnant vor den Ohren der Mannschaft in so scharfen Ton sprach. Er wurde rot, als die kalten Augen auf ihm haften blieben.
«Sie da!«Der Kapitän hob die Hand.»Wie war doch gleich Ihr Name?»
«Bolitho, Sir. «Komisch — kein Mensch merkte sich den Namen eines Midshipman.
«Schön, also Bolitho. Wenn Sie Ihren Tagtraum ausgeträumt haben, beziehungsweise mit dem Gedicht an Ihre Liebste fertig sind, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie ins Boot gingen.»
Ein paar Matrosen auf dem Decksgang feixten verstohlen, und Tergorren knurrte wütend:»Hab' ich mir doch gedacht, daß ich mit Ihnen auffalle!«Er versetzte Bolitho einen Stoß mit der Handfläche.»Wir sprechen uns noch!»
Aber als Bolitho erst im Boot saß, einem der 28-Fuß-Kutter der Gorgon, wandte er keinen Gedanken mehr an des Kapitäns Launen, an Tergorrens Feindseligkeit und an die Strapazen der sechs Wochen auf hoher See. Von der überfüllten Achterplicht, von den Männern und ihren Waffen, von Tergorrens massigem Schatten, der über den hart pullenden Ruderern schwankte, wandte er seinen Blick zurück. Wie riesig und unverwundbar die Gorgon von so einem niedrigen Boot aus wirkte! Über ihrem Spiegelbild in der leichtbewegten See wuchsen die Masten kraftvoll und schwarz in den Himmel — ein Symbol der Seemacht.
Bolitho konnte Dancer ansehen, daß er ebenfalls erregt war. Er war schlanker geworden seit damals im Blue Post's Inn, aber auch zäher und selbstsicherer.
«Ruft den Kerl an!«blaffte Tergorren. Er stand aufrecht im Boot, das heftig stampfte, doch das schien ihm gar nichts auszumachen.
Der Mann im Bug legte die Hände an den Mund.»Schiff ahoi!«Aber die einzige Antwort war das Echo seiner Stimme.
«Was hältst du davon?«flüsterte Dancer.
Bolitho schüttelte den Kopf.»Ich weiß nicht recht.»
Hoch über den schwitzenden Ruderern schwankten die Rahen an Groß- und Besanmast des Fremdlings müde knarrend in der Brise.
«Riemen an!»
Die Ruderer hielten das Boot auf der Stelle, und der Bugmann schleuderte einen Draggen hoch über das Schanzkleid des Schiffes.
«Belegen!«kommandierte Tergorren. Er blickte ein Weilchen aufmerksam auf das Schanzkleid, ob sich nicht doch noch jemand zeigte. Dann:»Entern!»
Der Bootsmann hatte nur erfahrene Matrosen ausgesucht; in ein paar Sekunden waren alle Mann über das sonnengedörrte Schanzkleid geklettert und standen dichtgedrängt unter den Segeln, die wie Eulenflügel flappten.
«Mr. Dancer!«befahl Tergorren.»Nehmen Sie die Luke im Vorschiff!«Er deutete auf einen der Bootsmannsmaaten — es war derselbe, der seinerzeit die Prügelstrafe an dem Matrosen vollstreckt hatte.»Thorne, Sie sorgen dafür, daß die Hauptluke sicher ist. «Zu Bolithos Überraschung zog er eine Pistole aus dem Gürtel und spannte sie sorgfältig. »Mister Bolitho, und ihr beide da — mit mir zum Achterdeck!»
Bolitho warf seinem Freund einen raschen Blick zu, aber der zuckte nur die Schultern und ging mit seinen zwei Mann zur Vorschiffsluke.
Jetzt lächelte keiner mehr. Die Barkentine war wie ein Gespensterschiff, verlassen und aufgegeben, die Mannschaft wie durch Zauber verschwunden. Er schaute zur Gorgon hinüber, aber auch die schien weiter weg zu sein — man fühlte sich ihres Schutzes nicht mehr sicher.
Tergorren knurrte:»Dieser blutiggottverdammte Kasten stinkt!«Er stand über einem Niedergang und spähte, den Kopf zur Seite geneigt, in das Dunkel.»Jemand da unten?»
Aber nur die See und das melancholische Knarren des unbemannten Ruders waren zu vernehmen.
Tergorren blickte zu Bolitho hin.»Gehen Sie runter!«Schon wandte sich Bolitho zum Gehen, aber Tergorren faßte ihn am Handgelenk und sagte wütend:»Mensch, machen Sie Ihre Pistole schußfertig, verdammt noch mal!»
Bolitho zog die schwere Waffe aus dem Gürtel und starrte sie ratlos an.»Und gehen Sie gefälligst nicht rückwärts die Leiter runter!«sagte der Leutnant noch.
Unterhalb des Sills blieb Bolitho einen Moment stehen, um seine Augen an das Halbdunkel unter Deck zu gewöhnen. Jetzt, im Schiffsraum, hörte er die Geräusche, die man dort immer hört; aber es fiel ihm nicht ganz leicht zu glauben, daß es völlig normal war, was er da hörte: das Schlappen des Wassers in der Bilge, das Reiben und Klappern losen Gutes. Er roch Kerzentalg, modrige Luft, den fauligen Gestank des Bilgewassers, abgestandenes Essen.
Oben rief ein Mann:»Alles klar im Vorschiff, Sir!«, und er entspannte sich ein wenig. Gedämpft, aber unverkennbar hörte er Tergorrens stampfende Schritte oben auf den Decksplanken, der anscheinend ziellos hin- und herging. Vermutlich wußte er nicht recht, wie es weitergehen sollte. Immerhin, dachte Bolitho, hatte es Tergorren mächtig eilig gehabt, ihn allein, ohne einen zweiten Mann, unter Deck zu schicken. Vielleicht interessierte es den Leutnant, was es mit diesem merkwürdigen, verlassenen Schiff auf sich hatte; aber die Sicherheit seines Midshipman interessierte ihn ganz bestimmt nicht.
Bolitho stieß eine kleine Kajütentür auf und trat gebückt ein. Der Raum mit den tiefgezogenen Decksbalken war so niedrig, daß er in der Finsternis krumm wie ein Buckliger umherschleichen und sich mit den Händen festhalten mußte, damit das dümpelnde Schiff ihn nicht aus dem Gleichgewicht warf. Dicht vor seinem Kopf stieß seine tastende Hand an eine Laterne, die von der Decke hing. Sie war eiskalt. Jemand öffnete ein Oberlicht, und es wurde hell. Vom blendenden Sonnenlicht umrahmt, blickte Tergorrens massiges Gesicht auf ihn nieder.
«Was, zum Teufel, machen Sie da, Mister Bolitho?»
Aber er brach erschrocken ab, und als Bolitho seinem starren Blick folgte, sah er auch, warum. Hingestreckt in der Ecke lag ein Mann — oder was noch von ihm übrig war. Er hatte mehrere fürchterliche Hiebe mit einem Beil oder Entermesser über den Kopf bekommen; auch in Brust und Flanken hatte er mehrere Wunden. In dem Strahl vom Oberfenster sah es aus, als habe er die Augen vor dem plötzlich blendenden Licht zusammengekniffen und starre Bolitho durch die Schlitze voller Entsetzen an.