Man bereichert in diesem Zustande Alles aus seiner eignen Fülle: was man sieht, was man will, man sieht es geschwellt, gedrängt, stark, überladen mit Kraft. Der Mensch dieses Zustandes verwandelt die Dinge, bis sie seine Macht wiederspiegeln, — bis sie Reflexe seiner Vollkommenheit sind. Dies Verwandeln müssen in's Vollkommne ist — Kunst. Alles selbst, was er nicht ist, wird trotzdem ihm zur Lust an sich; in der Kunst geniesst sich der Mensch als Vollkommenheit. — Es wäre erlaubt, sich einen gegensätzlichen Zustand auszudenken, ein spezifisches Antikünstlerthum des Instinks, — eine Art zu sein, welche alle Dinge verarmte, verdünnte, schwindsüchtig machte. Und in der That, die Geschichte ist reich an solchen Anti-Artisten, an solchen Ausgehungerten des Lebens: welche mit Nothwendigkeit die Dinge noch an sich nehmen, sie auszehren, sie magerer machen müssen. Dies ist zum Beispiel der Fall des echten Christen, Pascal's zum Beispieclass="underline" ein Christ, der zugleich Künstler wäre, kommt nicht vor ... Man sei nicht kindlich und wende mir Raffael ein oder irgend welche homöopathische Christen des neunzehnten Jahrhunderts: Raffael sagte Ja, Raffael machte Ja, folglich war Raffael kein Christ ...
Was bedeutet der von mir in die Aesthetik eingeführte Gegensatz-Begriff apollinisch und dionysisch, beide als Arten des Rausches begriffen? — Der apollinische Rausch hält vor Allem das Auge erregt, so dass es die Kraft der Vision bekommt. Der Maler, der Plastiker, der Epiker sind Visionäre par excellence. Im dionysischen Zustande ist dagegen das gesammte Affekt-System erregt und gesteigert: so dass es alle seine Mittel des Ausdrucks mit einem Male entladet und die Kraft des Darstellens, Nachbildens, Transfigurirens, Verwandelns, alle Art Mimik und Schauspielerei zugleich heraustreibt. Das Wesentliche bleibt die Leichtigkeit der Metamorphose, die Unfähigkeit, nicht zu reagiren (- ähnlich wie bei gewissen Hysterischen, die auch auf jeden Wink hin in je de Rolle eintreten). Es ist dem dionysischen Menschen unmöglich, irgend eine Suggestion nicht 'zu verstehn, er übersieht kein Zeichen des Affekts, er hat den höchsten Grad des verstehenden und errathenden Instinkts, wie er den höchsten Grad von Mittheilungs-Kunst besitzt. Er geht in jede Haut, in jeden Affekt ein: er verwandelt sich beständig. — Musik, wie wir sie heute verstehn, ist gleichfalls eine Gesammt-Erregung und —Entladung der Affekte, aber dennoch nur das Überbleibsel von einer viel volleren Ausdrucks-Welt des Affekts, ein blosses residuum des dionysischen Histrionismus. Man hat, zur Ermöglichung der Musik als Sonderkunst, eine Anzahl Sinne, vor Allem den Muskelsinn still gestellt (relativ wenigstens: denn in einem gewissen Grade redet noch aller Rhythmus zu unsern Muskeln): so dass der Mensch nicht mehr Alles, was er fühlt, sofort leibhaft nachahmt und darstellt. Trotzdem ist Das der eigentlich dionysische Normalzustand, jedenfalls der Urzustand; die Musik ist die langsam erreichte Spezifikation desselben auf Unkosten der nächstverwandten Vermögen.
Der Schauspieler, der Mime, der Tänzer, der Musiker, der Lyriker sind in ihren Instinkten grundverwandt und an sich Eins, aber allmählich spezialisirt und von einander abgetrennt — bis selbst zum Widerspruch. Der Lyriker blieb am längsten mit dem Musiker geeint; der Schauspieler mit dem Tänzer. — Der Architekt stellt weder einen dionysischen, noch einen apollinischen Zustand dar: hier ist es der grosse Willensakt, der Wille, der Berge versetzt, der Rausch des grossen Willens, der zur Kunst verlangt. Die mächtigsten Menschen haben immer die Architekten inspirirt; der Architekt war stets unter der Suggestion der Macht. Im Bauwerk soll sich der Stolz, der Sieg über die Schwere, der Wille zur Macht versichtbaren; Architektur ist eine Art Macht-Beredsamkeit in Formen, bald überredend, selbst schmeichelnd, bald bloss befehlend. Das höchste Gefühl von Macht und Sicherheit kommt in dem zum Ausdruck, was grossen Stil hat. Die Macht, die keinen Beweis mehr nöthig hat; die es verschmäht, zu gefallen; die schwer antwortet; die keinen Zeugen um sich fühlt; die ohne Bewusstsein davon lebt, dass es Widerspruch gegen sie giebt; die in sich ruht, fatalistisch, ein Gesetz unter Gesetzen: Das redet als grosser Stil von sich. —
Ich las das Leben Thomas Carlyle's, diese farce wider Wissen und Willen, diese heroisch-moralische Interpretation dyspeptischer Zustände. — Carlyle, ein Mann der starken Worte und Attitüden, ein Rhetor aus Noth, den beständig das Verlangen nach einem starken Glauben agaçirt und das Gefühl der Unfähigkeit dazu (- darin ein typischer Romantiker!). Das Verlangen nach einem starken Glauben ist nicht der Beweis eines starken Glaubens, vielmehr das Gegentheil. Hat man ihn, so darf man sich den schönen Luxus der Skepsis gestatten: man ist sicher genug, fest genug, gebunden genug dazu. Carlyle betäubt Etwas in sich durch das fortissimo seiner Verehrung für Menschen starken Glaubens und durch seine Wuth gegen die weniger Einfältigen: er bedarf des Lärms. Eine beständige leidenschaftliche Unredlichkeit gegen sich — das ist sein proprium, damit ist und bleibt er interessant. — Freilich, in England wird er gerade wegen seiner Redlichkeit bewundert ... Nun, das ist englisch; und in Anbetracht, dass die Engländer das Volk des vollkommnen cant sind, sogar billig, und nicht nur, begreiflich. Im Grunde ist Carlyle ein englischer Atheist, der seine Ehre darin sucht, es nicht zu sein.
Emerson. — Viel aufgeklärter, schweifender, vielfacher, raffinirter als Carlyle, vor Allem glücklicher ... Ein Solcher, der sich instinktiv bloss von Ambrosia nährt, der das Unverdauliche in den Dingen zurücklässt. Gegen Carlyle gehalten ein Mann des Geschmacks. — Carlyle, der ihn sehr liebte, sagte trotzdem von ihm: »er giebt uns nicht genug zu beissen«: was mit Recht gesagt sein mag, aber nicht zu Ungunsten Emerson's. — Emerson hat jene gütige und geistreiche Heiterkeit, welche allen Ernst entmuthigt; er weiss es schlechterdings nicht, wie alt er schon ist und wie jung er noch sein wird, — er könnte von sich mit einem Wort Lope de Vega's sagen: »yo me sucedo a mi mismo«. Sein Geist findet immer Gründe, zufrieden und selbst dankbar zu sein; und bisweilen streift er die heitere Transscendenz jenes Biedermanns, der von einem verliebten Stelldichein tamquam re bene gesta zurückkam. »Ut desint vires, sprach er dankbar, tamen est laudanda voluptas.« —
Anti-Darwin. — Was den berühmten Kampf um's Leben betrifft, so scheint er mir einstweilen mehr behauptet als bewiesen. Er kommt vor, aber als Ausnahme; der Gesammt-Aspekt des Lebens ist nicht die Nothlage, die Hungerlage, vielmehr der Reichthum, die Üppigkeit, selbst die absurde Verschwendung, — wo gekämpft wird, kämpft man um Macht ... Man soll nicht Malthus mit der Natur verwechseln. — Gesetzt aber, es giebt diesen Kampf — und in der That, er kommt vor —, so läuft er leider umgekehrt aus als die Schule Darwin's wünscht, als man vielleicht mit ihr wünschen dürfte: nämlich zu Ungunsten der Starken, der Bevorrechtigten, der glücklichen Ausnahmen. Die Gattungen wachsen nicht in der Vollkommenheit: die Schwachen werden immer wieder über die Starken Herr, — das macht, sie sind die grosse Zahl, sie sind auch klüger ... Darwin hat den Geist vergessen (- das ist englisch!), die Schwachen haben mehr Geist ... Man muss Geist nöthig haben, um Geist zu bekommen, — man verliert ihn, wenn man ihn nicht mehr nöthig hat. Wer die Stärke hat, entschlägt sich des Geistes (- »lass fahren dahin! denkt man heute in Deutschland — das Reich muss uns doch bleiben« ... ). Ich verstehe unter Geist, wie man sieht, die Vorsicht, die Geduld, die List, die Verstellung, die grosse Selbstbeherrschung und Alles, was mimicry ist (zu letzterem gehört ein grosser Theil der sogenannten Tugend).