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23.

Plato geht weiter. Er sagt mit einer Unschuld, zu der man Grieche sein muss und nicht »Christ«, dass es gar keine platonische Philosophie geben würde, wenn es nicht so schöne Jünglinge in Athen gäbe: deren Anblick sei es erst, was die Seele des Philosophen in einen erotischen Taumel versetze und ihr keine Ruhe lasse, bis sie den Samen aller hohen Dinge in ein so schönes Erdreich hinabgesenkt habe. Auch ein wunderlicher Heiliger! — man traut seinen Ohren nicht, gesetzt selbst, dass man Plato traut. Zum Mindesten erräth man, dass in Athen anders philosophirt wurde, vor Allem öffentlich. Nichts ist weniger griechisch als die Begriffs-Spinneweberei eines Einsiedlers, amor intellectualis dei nach Art des Spinoza. Philosophie nach Art des Plato wäre eher als ein erotischer Wettbewerb zu definiren, als eine Fortbildung und Verinnerlichung der alten agonalen Gymnastik und deren Voraussetzungen ... Was wuchs zuletzt aus dieser philosophischen Erotik Plato's heraus? Eine neue Kunstform des griechischen Agon, die Dialektik. — Ich erinnere noch, gegen Schopenhauer und zu Ehren Plato's, daran, dass auch die ganze höhere Cultur und Litteratur des klassischen Frankreichs auf dem Boden des geschlechtlichen Interesses aufgewachsen ist. Man darf überall bei ihr die Galanterie, die Sinne, den Geschlechts-Wettbewerb, das »Weib« suchen, — man wird nie umsonst suchen ...

24.

L'art pour l'art. — Der Kampf gegen den Zweck in der Kunst ist immer der Kampf gegen die moralisirende Tendenz in der Kunst, gegen ihre Unterordnung unter die Moral. L'art pour l'art heisst: »der Teufel hole die Moral!« — Aber selbst noch diese Feindschaft verräth die Übergewalt des Vorurtheils. Wenn man den Zweck des Moralpredigens und Menschen-Verbesserns von der Kunst ausgeschlossen hat, so folgt daraus noch lange nicht, dass die Kunst überhaupt zwecklos, ziellos, sinnlos, kurz l'art pour l'art — ein Wurm, der sich in den Schwanz beisst — ist. »Lieber gar keinen Zweck als einen moralischen Zweck!« — so redet die blosse Leidenschaft. Ein Psycholog fragt dagegen: was thut alle Kunst? lobt sie nicht? verherrlicht sie nicht? wählt sie nicht aus? zieht sie nicht hervor? Mit dem Allen stärkt oder schwächt sie gewisse Werthschätzungen ... Ist dies nur ein Nebenbei? ein Zufall? Etwas, bei dem der Instinkt des Künstlers gar nicht betheiligt wäre? Oder aber: ist es nicht die Voraussetzung dazu, dass der Künstler kann ...? Geht dessen unterster Instinkt auf die Kunst oder nicht vielmehr auf den Sinn der Kunst, das Leben? auf eine Wünschbarkeit von Leben?- Die Kunst ist das grosse Stimulans zum Leben: wie könnte man sie als zwecklos, als ziellos, als l'art pour l'art verstehn? — Eine Frage bleibt zurück: die Kunst bringt auch vieles Hässliche, Harte, Fragwürdige des Lebens zur Erscheinung, — scheint sie nicht damit vom Leben zu entleiden? — Und in der That, es gab Philosophen, die ihr diesen Sinn liehn: »loskommen vom Willen« lehrte Schopenhauer als Gesammt-Absicht der Kunst, »zur Resignation stimmen« verehrte er als die grosse Nützlichkeit der Tragödie. — Aber dies — ich gab es schon zu verstehn — ist Pessimisten-Optik und »böser Blick« —: man muss an die Künstler selbst appelliren. Was theilt der tragische Künstler von sich mit? Ist es nicht gerade der Zustand ohne Furcht vor dem Furchtbaren und Fragwürdigen, das er zeigt? — Dieser Zustand selbst ist eine hohe Wünschbarkeit; wer ihn kennt, ehrt ihn mit den höchsten Ehren. Er theilt ihn mit, er muss ihn mittheilen, vorausgesetzt, dass er ein Künstler ist, ein Genie der Mittheilung. Die Tapferkeit und Freiheit des Gefühls vor einem mächtigen Feinde, vor einem erhabenen Ungemach, vor einem Problem, das Grauen erweckt — dieser siegreiche Zustand ist es, den der tragische Künstler auswählt, den er verherrlicht. Vor der Tragödie feiert das Kriegerische in unserer Seele seine Saturnalien; wer Leid gewohnt ist, wer Leid aufsucht, der heroische Mensch preist mit der Tragödie sein Dasein, — ihm allein kredenzt der Tragiker den Trunk dieser süssesten Grausamkeit. —

25.

Mit Menschen fürlieb nehmen, mit seinem Herzen offen Haus halten, das ist liberal, das ist aber bloss liberal. Man erkennt die Herzen, die der vornehmen Gastfreundschaft fähig sind, an den vielen verhängten Fenstern und geschlossenen Läden: ihre besten Räume halten sie leer. Warum doch? — Weil sie Gäste erwarten, mit denen man nicht »fürlieb nimmt«

26.

Wir schätzen uns nicht genug mehr, wenn wir uns mittheilen. Unsre eigentlichen Erlebnisse sind ganz und gar nicht geschwätzig. Sie könnten sich selbst nicht mittheilen, wenn sie wollten. Das macht, es fehlt ihnen das Wort. Wofür wir Worte haben, darüber sind wir auch schon hinaus. In allem Reden liegt ein Gran Verachtung. Die Sprache, scheint es, ist nur für Durchschnittliches, Mittleres, Mittheilsames erfunden. Mit der Sprache vulgarisirt sich bereits der Sprechende. — Aus einer Moral für Taubstumme und andere Philosophen.

27.

»Dies Bildniss ist bezaubernd schön!« ... Das Litteratur-Weib, unbefriedigt, aufgeregt, öde in Herz und Eingeweide, mit schmerzhafter Neugierde jederzeit auf den Imperativ hinhorchend, der aus den Tiefen seiner Organisation »aut liberi aut libri« flüstert: das Litteratur-Weib, gebildet genug, die Stimme der Natur zu verstehn, selbst wenn sie Latein redet und andrerseits eitel und Gans genug, um im Geheimen auch noch französisch mit sich zu sprechen »je me verrai, je me lirai, je m'extasierai et je dirai: Possible, que j'aie eu tant d'esprit?«

28.

Die »Unpersönlichen« kommen zu Wort. — »Nichts fällt uns leichter, als weise, geduldig, überlegen zu sein. Wir triefen vom Oel der Nachsicht und des Mitgefühls, wir sind auf eine absurde Weise gerecht, wir verzeihen Alles. Eben darum sollten wir uns etwas strenger halten; eben darum sollten wir uns, von Zeit zu Zeit, einen kleinen Affekt, ein kleines Laster von Affect züchten. Es mag uns sauer angehn; und unter uns lachen wir vielleicht über den Aspekt, den wir damit geben. Aber was hilft es! Wir haben keine andre Art mehr übrig von Selbstüberwindung: dies ist unsre Asketik, unser Büsserthum« ... Persönlich werden — die Tugend des »Unpersönlichen«...

29.

Aus einer Doctor-Promotion. — »Was ist die Aufgabe alles höheren Schulwesens?« — Aus dem Menschen eine Maschine zu machen. — »Was ist das Mittel dazu?« — Er muss lernen, sich langweilen. — »Wie erreicht man das?« — Durch den Begriff der Pflicht. — »Wer ist sein Vorbild dafür?« — Der Philolog: der lehrt ochsen. — »Wer ist der vollkommene Mensch?« — Der Staats-Beamte. — »Welche Philosophie giebt die höchste Formel für den Staats-Beamten?« — Die Kant's: der Staats-Beamte als Ding an sich zum Richter gesetzt über den Staats-Beamten als Erscheinung. —

30.

Das Recht auf Dummheit. — Der ermüdete und langsam athmende Arbeiter, der gutmüthig blickt, der die Dinge gehen lässt, wie sie gehn: diese typische Figur, der man jetzt, im Zeitalter der Arbeit (und des »Reichs«! —) in allen Klassen der Gesellschaft begegnet, nimmt heute gerade die Kunst für sich in Anspruch, eingerechnet das Buch, vor Allem das Journal, — um wie viel mehr die schöne Natur, Italien ... Der Mensch des Abends, mit den »entschlafenen wilden Trieben«, von denen Faust redet, bedarf der Sommerfrische, des Seebads, der Gletscher, Bayreuth's ... In solchen Zeitaltern hat die Kunst ein Recht auf reine Thorheit, — als eine Art Ferien für Geist, Witz und Gemüth. Das verstand Wagner. Die reine Thorheit stellt wieder her ...