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31.

Noch ein Problem der Diät. — Die Mittel, mit denen Julius Cäsar sich gegen Kränklichkeiten und Kopfschmerz vertheidigte: ungeheure Märsche, einfachste Lebensweise, ununterbrochner Aufenthalt im Freien, beständige Strapazen — das sind, in's Grosse gerechnet, die Erhaltungs- und Schutz-Maassregeln überhaupt gegen die extreme Verletzlichkeit jener subtilen und unter höchstem Druck arbeitenden Maschine, welche Genie heisst. —

32.

Der Immoralist redet. — Einem Philosophen geht Nichts mehr wider den Geschmack als der Mensch, sofern er wünscht ... Sieht er den Menschen nur in seinem Thun, sieht er dieses tapferste, listigste, ausdauerndste Thier verirrt selbst in labyrinthische Nothlagen, wie bewunderungswürdig erscheint ihm der Mensch! Er spricht ihm noch zu ... Aber der Philosoph verachtet den wünschenden Menschen, auch den »wünschbaren« Menschen — und überhaupt alle Wünschbarkeiten, alle Ideale des Menschen. Wenn ein Philosoph Nihilist sein könnte, so würde er es sein, weil er das Nichts hinter allen Idealen des Menschen findet. Oder noch nicht einmal das Nichts, — sondern nur das Nichtswürdige, das Absurde, das Kranke, das Feige, das Müde, alle Art Hefen aus dem ausgetrunkenen Becher seines Lebens ... Der Mensch, der als Realität so verehrungswürdig ist, wie kommt es, dass er keine Achtung verdient, sofern er wünscht? Muss er es büssen, so tüchtig als Realität zu sein? Muss er sein Thun, die Kopf- und Willensanspannung in allem Thun, mit einem Gliederstrecken im Imaginären und Absurden ausgleichen? — Die Geschichte seiner Wünschbarkeiten war bisher die partie honteuse des Menschen: man soll sich hüten, zu lange in ihr zu lesen. Was den Menschen rechtfertigt, ist seine Realität, — sie wird ihn ewig rechtfertigen. Um wie viel mehr werth ist der wirkliche Mensch, verglichen mit irgend einem bloss gewünschten, erträumten, erstunkenen und erlogenen Menschen? mit irgend einem idealen Menschen? ... Und nur der ideale Mensch geht dem Philosophen wider den Geschmack.

33.

Naturwerth des Egoismus. — Die Selbstsucht ist so viel werth, als Der physiologisch werth ist, der sie hat: sie kann sehr viel werth sein, sie kann nichtswürdig und verächtlich sein. Jeder Einzelne darf darauf hin angesehen werden, ob er die aufsteigende oder die absteigende Linie des Lebens darstellt. Mit einer Entscheidung darüber hat man auch einen Kanon dafür, was seine Selbstsucht werth ist. Stellt er das Aufsteigen der Linie dar, so ist in der That sein Werth ausserordentlich, — und um des Gesammt-Lebens willen, das mit ihm einen Schritt weiter thut, darf die Sorge um Erhaltung, um Schaffung seines optimum von Bedingungen selbst extrem sein. Der Einzelne, das »Individuum«, wie Volk und Philosoph das bisher verstand, ist ja ein Irrthum: er ist nichts für sich, kein Atom, kein »Ring der Kette«, nichts bloss Vererbtes von Ehedem, — er ist die ganze Eine Linie Mensch bis zu ihm hin selber noch ... Stellt er die absteigende Entwicklung, den Verfall, die chronische Entartung, Erkrankung dar (- Krankheiten sind, in's Grosse gerechnet, bereits Folgeerscheinungen des Verfalls, nicht dessen Ursachen), so kommt ihm wenig Werth zu, und die erste Billigkeit will, dass er den Wohlgerathenen so wenig als möglich wegnimmt. Er ist bloss noch deren Parasit ...

34.

Christ und Anarchist. — Wenn der Anarchist, als Mundstück niedergehender Schichten der Gesellschaft, mit einer schönen Entrüstung »Recht«, »Gerechtigkeit«, »gleiche Rechte« verlangt, so steht er damit nur unter dem Drucke seiner Unkultur, welche nicht zu begreifen weiss, warum er eigentlich leidet, — woran er arm ist, an Leben ... Ein Ursachen-Trieb ist in ihm mächtig: Jemand muss schuld daran sein, dass er sich schlecht befindet ... Auch thut ihm die »schöne Entrüstung« selber schon wohl, es ist ein Vergnügen für alle armen Teufel, zu schimpfen, — es giebt einen kleinen Rausch von Macht. Schon die Klage, das Sich-Beklagen, kann dem Leben einen Reiz geben, um dessentwillen man es aushält: eine feinere Dosis Rache ist in jeder Klage, man wirft sein Schlechtbefinden, unter Umständen selbst seine Schlechtigkeit Denen, die anders sind, wie ein Unrecht, wie ein unerlaubtes Vorrecht vor. »Bin ich eine canaille, so solltest du es auch sein«: auf diese Logik hin macht man Revolution. — Das Sich-Beklagen taugt in keinem Falle etwas: es stammt aus der Schwäche. Ob man sein Schlecht-Befinden Andern oder sich selber zu misst —. Ersteres thut der Socialist, Letzteres zum Beispiel der Christ —, macht keinen eigentlichen Unterschied. Das Gemeinsame, sagen wir auch das Unwürdige daran ist, dass jemand schuld daran sein soll, dass man leidet — kurz, dass der Leidende sich gegen sein Leiden den Honig der Rache verordnet. Die Objekte dieses Rach-Bedürfnisses als eines Lust-Bedürfnisses sind Gelegenheits-Ursachen: der Leidende findet überall Ursachen, seine kleine Rache zu kühlen, — ist er Christ, nochmals gesagt, so findet er sie in sich ... Der Christ und der Anarchist — Beide sind décadents. — Aber auch wenn der Christ die »Welt« verurtheilt, verleumdet, beschmutzt, so thut er es aus dem gleichen Instinkte, aus dem der socialistische Arbeiter die Gesellschaft verurtheilt, verleumdet, beschmutzt: das »jüngste Gericht« selbst ist noch der süsse Trost der Rache — die Revolution, wie sie auch der socialistische Arbeiter erwartet, nur etwas ferner gedacht ... Das »Jenseits« selbst — wozu ein Jenseits, wenn es nicht ein Mittel wäre, das Diesseits zu beschmutzen?...

35.

Kritik der Décadence-Moral. Eine »altruistische« Moral, eine Moral, bei der die Selbstsucht verkümmert —, bleibt unter allen Umständen ein schlechtes Anzeichen. Dies gilt vom Einzelnen, dies gilt namentlich von Völkern. Es fehlt am Besten, wenn es an der Selbstsucht zu fehlen beginnt. Instinktiv das Sich-Schädliche wählen, Gelockt-werden durch »uninteressirte« Motive giebt beinahe die Formel ab für décadence. »Nicht seinen Nutzen suchen« — das ist bloss das moralische Feigenblatt für eine ganz andere, nämlich physiologische Thatsächlichkeit: »ich weiss meinen Nutzen nicht mehr zu finden« Disgregation der Instinkte! — Es ist zu Ende mit ihm, wenn der Mensch altruistisch wird. — Statt naiv zu sagen, »ich bin nichts mehr werth«, sagt die Moral Lüge im Munde des décadent: »Nichts ist etwas werth, — das Leben ist nichts werth« ... Ein solches Urtheil bleibt zuletzt eine grosse Gefahr, es wirkt ansteckend, — auf dem ganzen morbiden Boden der Gesellschaft wuchert es bald zu tropischer Begriffs-Vegetation empor, bald als Religion (Christenthum), bald als Philosophie (Schopenhauerei). Unter Umständen vergiftet eine solche aus Fäulniss gewachsene Giftbaum-Vegetation mit ihrem Dunste weithin, auf Jahrtausende hin das Leben...

36.

Moral für Ärzte. — Der Kranke ist ein Parasit der Gesellschaft. In einem gewissen Zustande ist es unanständig, noch länger zu leben. Das Fortvegetiren in feiger Abhängigkeit von Ärzten und Praktiken, nachdem der Sinn vom Leben, das Recht zum Leben verloren gegangen ist, sollte bei der Gesellschaft eine tiefe Verachtung nach sich ziehn. Die Ärzte wiederum hätten die Vermittler dieser Verachtung zu sein, — nicht Recepte, sondern jeden Tag eine neue Dosis Ekel vor ihrem Patienten ... Eine neue Verantwortlichkeit schaffen, die des Arztes, für alle Fälle, wo das höchste Interesse des Lebens, des aufsteigenden Lebens, das rücksichtsloseste Nieder- und Beiseite-Drängen des entartenden Lebens verlangt — zum Beispiel für das Recht auf Zeugung, für das Recht, geboren zu werden, für das Recht, zu leben ... Auf eine stolze Art sterben, wenn es nicht mehr möglich ist, auf eine stolze Art zu leben. Der Tod, aus freien Stücken gewählt, der Tod zur rechten Zeit, mit Helle und Freudigkeit, inmitten von Kindern und Zeugen vollzogen: so dass ein wirkliches Abschiednehmen noch möglich ist, wo Der noch da ist, der sich verabschiedet, insgleichen ein wirkliches Abschätzen des Erreichten und Gewollten, eine Summirung des Lebens — Alles im Gegensatz zu der erbärmlichen und schauderhaften Komödie, die das Christenthum mit der Sterbestunde getrieben hat. Man soll es dem Christenthume nie vergessen, dass es die Schwäche des Sterbenden zu Gewissens-Nothzucht, dass es die Art des Todes selbst zu Werth-Urtheilen über Mensch und Vergangenheit gemissbraucht hat! — Hier gilt es, allen Feigheiten des Vorurtheils zum Trotz, vor Allem die richtige, das heisst physiologische Würdigung des sogenannten natürlichen Todes herzustellen: der zuletzt auch nur ein »unnatürlicher«, ein Selbstmord ist. Man geht nie durch jemand Anderes zu Grunde, als durch sich selbst. Nur ist es der Tod unter den verächtlichsten Bedingungen, ein unfreier Tod, ein Tod zur unrechten Zeit, ein Feiglings Tod. Man sollte, aus Liebe zum Leben —, den Tod anders wollen, frei, bewusst, ohne Zufall, ohne Überfall ... Endlich ein Rath für die Herrn Pessimisten und andere décadents. Wir haben es nicht in der Hand, zu verhindern, geboren zu werden: aber wir können diesen Fehler — denn bisweilen ist es ein Fehler — wieder gut machen. Wenn man sich abschafft, thut man die achtungswürdigste Sache, die es giebt: man verdient beinahe damit, zu leben ... Die Gesellschaft, was sage ich! Das Leben selber hat mehr Vortheil davon, als durch irgend welches »Leben« in Entsagung, Bleichsucht und andrer Tugend —, man hat die Andern von seinem Anblick befreit, man hat das Leben von einem Einwand befreit ... Der Pessimismus, pur, vert, beweist sich erst durch die Selbst-Widerlegung der Herrn Pessimisten: man muss einen Schritt weiter gehn in seiner Logik, nicht bloss mit »Wille und Vorstellung«, wie Schopenhauer es that, das Leben verneinen —, man muss Schopenhauern zuerst verneinen ... Der Pessimismus, anbei gesagt, so ansteckend er ist, vermehrt trotzdem nicht die Krankhaftigkeit einer Zeit, eines Geschlechts im Ganzen: er ist deren Ausdruck. Man verfällt ihm, wie man der Cholera verfällt: man muss morbid genug dazu schon angelegt sein. Der Pessimismus selbst macht keinen einzigen décadent mehr; ich erinnere an das Ergebniss der Statistik, dass die Jahre, in denen die Cholera wüthet, sich in der Gesammt-Ziffer der Sterbefälle nicht von andern Jahrgängen unterscheiden.